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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Die dramatische Kunst L. von Wildenbruchs.

tritt er beim Tode Eduards ohne Bedenken die Negierung an; sein Gewissen
mahnte ihn so wenig ab, als das englische Volk, welches den Vorgang kannte,
in dem aufgezwungenen Eide ein Hindernis erblickte. Nachdem er unter be¬
geisterter Zustimmung aller Teile seines Volkes die Krone aufgesetzt hat, trifft
er alsbald die notwendigen Maßregeln zur Sicherung derselben. Im Bunde
mit Wilhelm von der Normandie standen Harald Hardrada, der König von
Norwegen, und Tosti, Graf von Northumberland, der eigne Bruder Harolds,
der seiner Herrschaft verlustig gegangen, sich dessen Feinden zugesellt hatte.
Ihnen, die England von Norden her bedrohten, zog der König nach Jork hin
entgegen. Bevor es zur Schlacht kam, traten die Parteien in eine letzte Unter¬
handlung. Auf die Frage Tostis, was ihm der König von England, wenn er
Frieden halte, zu bieten habe, erwiederte dieser: "Die schöne Grafschaft Nor-
thumberland und die Verzeihung eines Bruders." Als dann die zweite An¬
frage erging, was seinem Verbündeten, dem Könige von Norwegen, zuteil werden
solle, lautete die Antwort: "Sieben Fuß englischer Erde zu einem Grabe,
doch da es heißt, daß Harald Hardrada ein Riese ist, so geben wir noch einen
Fuß zu." Das waren stolze Worte, würdig eines Königs und Helden, und
verraten nicht den Schatten eines Gewissensskrupels. Nachdem Harold seine
Feinde in einer glänzenden Schlacht besiegt hatte, eilte er nach Süden, wo
nach kurzer Zeit die Entscheidung bei Hastings fiel.

So der einfache Hergang in der Geschichte. Ich glaube, Wildenbruch
hätte gut gethan, wenn er sich an ihn gehalten hätte. Auch hierin würde er
ein Vorbild an Shakespeare gehabt haben. Dessen historische Schauspiele sind
im wesentlichen nichts anders als dramatisirte Geschichte, wozu allerdings noch
der sehr wichtige Umstand kommt, daß er den geschichtlichen Vorgängen in
glänzender poetischer Sprache die feinste psychologische Vertiefung gegeben hat.
An eine solche Vertiefung seiner Stoffe scheint auch Wildenbruch zu denken,
wenn es im Motto zu seinen "Karolingern" heißt:


Der Historiker liest im Buch der Geschichte die Zeilen,
Zwischen den Zeilen den Sinn liest und erklärt der Poet;

allein wenn dies in Wirklichkeit seine Meinung ist, so können wir es für "Harold"
nicht zugeben.

Als auf dem Felde von Hastings die Schaaren der Sachsen unter dem
Persönlichen Befehle ihres Königs sich zur Schlacht ordneten, da ritten die
Brüder desselben an ihn heran und beschworen ihn, seine Person vom Kampfe
fern zu halten. Es war der Aberglaube der damaligen Zeit, der auch aus
ihnen sprach, daß der, welcher einen Eid gebrochen hatte, auch wenn er dazu
das beste Recht hatte, sich nicht in persönlichen Kampf mit dem einlassen sollte,
dem er ihn einst geleistet hatte. Wie es vom Könige zu erwarten war, kehrte er
sich an diese Vorstellungen nicht, sondern wie er als Feldherr die Schlacht leitete,
so war er bis zu seinem Tode im Kampfe allen voran. Hier nun liegt der


Grcnzboien II. 1385. 6ü
Die dramatische Kunst L. von Wildenbruchs.

tritt er beim Tode Eduards ohne Bedenken die Negierung an; sein Gewissen
mahnte ihn so wenig ab, als das englische Volk, welches den Vorgang kannte,
in dem aufgezwungenen Eide ein Hindernis erblickte. Nachdem er unter be¬
geisterter Zustimmung aller Teile seines Volkes die Krone aufgesetzt hat, trifft
er alsbald die notwendigen Maßregeln zur Sicherung derselben. Im Bunde
mit Wilhelm von der Normandie standen Harald Hardrada, der König von
Norwegen, und Tosti, Graf von Northumberland, der eigne Bruder Harolds,
der seiner Herrschaft verlustig gegangen, sich dessen Feinden zugesellt hatte.
Ihnen, die England von Norden her bedrohten, zog der König nach Jork hin
entgegen. Bevor es zur Schlacht kam, traten die Parteien in eine letzte Unter¬
handlung. Auf die Frage Tostis, was ihm der König von England, wenn er
Frieden halte, zu bieten habe, erwiederte dieser: „Die schöne Grafschaft Nor-
thumberland und die Verzeihung eines Bruders." Als dann die zweite An¬
frage erging, was seinem Verbündeten, dem Könige von Norwegen, zuteil werden
solle, lautete die Antwort: „Sieben Fuß englischer Erde zu einem Grabe,
doch da es heißt, daß Harald Hardrada ein Riese ist, so geben wir noch einen
Fuß zu." Das waren stolze Worte, würdig eines Königs und Helden, und
verraten nicht den Schatten eines Gewissensskrupels. Nachdem Harold seine
Feinde in einer glänzenden Schlacht besiegt hatte, eilte er nach Süden, wo
nach kurzer Zeit die Entscheidung bei Hastings fiel.

So der einfache Hergang in der Geschichte. Ich glaube, Wildenbruch
hätte gut gethan, wenn er sich an ihn gehalten hätte. Auch hierin würde er
ein Vorbild an Shakespeare gehabt haben. Dessen historische Schauspiele sind
im wesentlichen nichts anders als dramatisirte Geschichte, wozu allerdings noch
der sehr wichtige Umstand kommt, daß er den geschichtlichen Vorgängen in
glänzender poetischer Sprache die feinste psychologische Vertiefung gegeben hat.
An eine solche Vertiefung seiner Stoffe scheint auch Wildenbruch zu denken,
wenn es im Motto zu seinen „Karolingern" heißt:


Der Historiker liest im Buch der Geschichte die Zeilen,
Zwischen den Zeilen den Sinn liest und erklärt der Poet;

allein wenn dies in Wirklichkeit seine Meinung ist, so können wir es für „Harold"
nicht zugeben.

Als auf dem Felde von Hastings die Schaaren der Sachsen unter dem
Persönlichen Befehle ihres Königs sich zur Schlacht ordneten, da ritten die
Brüder desselben an ihn heran und beschworen ihn, seine Person vom Kampfe
fern zu halten. Es war der Aberglaube der damaligen Zeit, der auch aus
ihnen sprach, daß der, welcher einen Eid gebrochen hatte, auch wenn er dazu
das beste Recht hatte, sich nicht in persönlichen Kampf mit dem einlassen sollte,
dem er ihn einst geleistet hatte. Wie es vom Könige zu erwarten war, kehrte er
sich an diese Vorstellungen nicht, sondern wie er als Feldherr die Schlacht leitete,
so war er bis zu seinem Tode im Kampfe allen voran. Hier nun liegt der


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[0526] Die dramatische Kunst L. von Wildenbruchs. tritt er beim Tode Eduards ohne Bedenken die Negierung an; sein Gewissen mahnte ihn so wenig ab, als das englische Volk, welches den Vorgang kannte, in dem aufgezwungenen Eide ein Hindernis erblickte. Nachdem er unter be¬ geisterter Zustimmung aller Teile seines Volkes die Krone aufgesetzt hat, trifft er alsbald die notwendigen Maßregeln zur Sicherung derselben. Im Bunde mit Wilhelm von der Normandie standen Harald Hardrada, der König von Norwegen, und Tosti, Graf von Northumberland, der eigne Bruder Harolds, der seiner Herrschaft verlustig gegangen, sich dessen Feinden zugesellt hatte. Ihnen, die England von Norden her bedrohten, zog der König nach Jork hin entgegen. Bevor es zur Schlacht kam, traten die Parteien in eine letzte Unter¬ handlung. Auf die Frage Tostis, was ihm der König von England, wenn er Frieden halte, zu bieten habe, erwiederte dieser: „Die schöne Grafschaft Nor- thumberland und die Verzeihung eines Bruders." Als dann die zweite An¬ frage erging, was seinem Verbündeten, dem Könige von Norwegen, zuteil werden solle, lautete die Antwort: „Sieben Fuß englischer Erde zu einem Grabe, doch da es heißt, daß Harald Hardrada ein Riese ist, so geben wir noch einen Fuß zu." Das waren stolze Worte, würdig eines Königs und Helden, und verraten nicht den Schatten eines Gewissensskrupels. Nachdem Harold seine Feinde in einer glänzenden Schlacht besiegt hatte, eilte er nach Süden, wo nach kurzer Zeit die Entscheidung bei Hastings fiel. So der einfache Hergang in der Geschichte. Ich glaube, Wildenbruch hätte gut gethan, wenn er sich an ihn gehalten hätte. Auch hierin würde er ein Vorbild an Shakespeare gehabt haben. Dessen historische Schauspiele sind im wesentlichen nichts anders als dramatisirte Geschichte, wozu allerdings noch der sehr wichtige Umstand kommt, daß er den geschichtlichen Vorgängen in glänzender poetischer Sprache die feinste psychologische Vertiefung gegeben hat. An eine solche Vertiefung seiner Stoffe scheint auch Wildenbruch zu denken, wenn es im Motto zu seinen „Karolingern" heißt: Der Historiker liest im Buch der Geschichte die Zeilen, Zwischen den Zeilen den Sinn liest und erklärt der Poet; allein wenn dies in Wirklichkeit seine Meinung ist, so können wir es für „Harold" nicht zugeben. Als auf dem Felde von Hastings die Schaaren der Sachsen unter dem Persönlichen Befehle ihres Königs sich zur Schlacht ordneten, da ritten die Brüder desselben an ihn heran und beschworen ihn, seine Person vom Kampfe fern zu halten. Es war der Aberglaube der damaligen Zeit, der auch aus ihnen sprach, daß der, welcher einen Eid gebrochen hatte, auch wenn er dazu das beste Recht hatte, sich nicht in persönlichen Kampf mit dem einlassen sollte, dem er ihn einst geleistet hatte. Wie es vom Könige zu erwarten war, kehrte er sich an diese Vorstellungen nicht, sondern wie er als Feldherr die Schlacht leitete, so war er bis zu seinem Tode im Kampfe allen voran. Hier nun liegt der Grcnzboien II. 1385. 6ü

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/526>, abgerufen am 22.07.2024.