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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Um eine j)erke.

nicht was göttlich, sondern was menschlich ist! -- Wozu sind wir hier in der
Mühle des heiligen Petrus, wenn wir uns nicht auf ihn berufen dürfen? Er
war ein richtiger Granitfels, Signora, aber menschliche Schwächen hafteten ihm
doch an, und ich hoffe, die Gottesmutter wird mir's zugute halten, wenn ich
nicht besser bin als mein Schutzpatron.

Florida drückte der alten Müllerin die Hand; alles, was sie an geheimnis¬
vollen Lehren aus dem Munde der heiligen Agatha vernommen hatte, war wieder
in ihrem Geiste lebendig geworden, und wie man sich wohl der eignen Zweifel
zu erwehren sucht, indem mau diejenigen andrer entkräftet, begann sie von den
Engeln zu reden, denen man, ohne es zu ahnen, schon hinnieden begegne; dann
auch von der Unfähigkeit der Kinder dieser Erde, die Welt anders als körperlich
zu begreifen, während der Geist doch frei hindurchgehe; und endlich von der
Verwerflichkeit klügelnder Fragen, durch welche der Mensch seinem Geiste die
Fähigkeit benehme, die aus himmlischer Gnade an ihn gerichteten Botschaften
der höchsten Liebe zu vernehmen.

Die vorher mit Essen, Trinken und Erzählen vollauf beschäftigt gewesene
Alte hatte von ihren: vornehmen Gaste bis dahin nicht mehr als das blasse,
traurig ernste Gesicht beachtet, daneben oder eigentlich vor allem die nach da¬
maligem Adelsbrauche mit kostbaren Ringen bedeckten schöngeformten Hände.

Nun der Fremden so weise und fast unbegreifliche Worte absonderlicher
Gelehrsamkeit von den Lippen zu fließen begannen, kam über die Matrone
wieder etwas von der Zwiespältigkeit ihres Schutzpatrons. Msorioorclia! dachte
sie, wo habe ich denn meine fünf Sinne gehabt? Ihre Stimme ist ganz die
nämliche. In der Kirche der heiligen Lucia fand ich sie. Geweint hat sie, wie
nur eine Braut, die man ins Kloster steckte, weinen kann. Gewartet auf mich
hat sie, gefolgt in die Mühle ist sie mir ohne Widerstreben. Trägt sie mehr
Schmuck an den Händen, als sie bei Lebzeiten zu thun pflegte, so mag zum
Lohn für ihre Geduld die heilige Lucia von ihrem Überflusse ihn ihr geborgt
haben. Freilich, sie hat mit mir gegessen und getrunken und sollte doch nur
als Geist meinem armen Sohne erscheinen. Aber war der Herr Jesus nicht
auch schon aus dem Leben geschieden, als er mit den beiden Jüngern zu Emaus
einkehrte und mit ihnen zu Tische niedersaß, und hat er hernach in Jerusalem
nicht gar angesichts der Elfe gebratenen Fisch verzehrt und Honigseim? Es
ist Cesarina, wahr und wahrhaftig! Die heilige Lucia sei gepriesen! An ihrem
Festtage, wie sie es meinem Gervasio versprochen hatte, gewährt sie ihm die unschul-
dige Bitte! -- Aber die minder übersinnliche Seite der Alten kam daneben denn
doch anch zu Worte: Meiner Seel, redete sie vor sich hin, ähnlich sieht sie der
Cesarina -- vczns! -- und ihre Stimme klingt ganz so lieblich. Aber wenn
sie nun auch nicht Cesarinens Geist sein sollte -- denn Wunder werden doch
täglich seltener --, ließe die Gunst des Zufalls sich durch eine gescheite und
für ihren Sohn alles wagende Mutter nicht dann doch noch in segensreicher


Um eine j)erke.

nicht was göttlich, sondern was menschlich ist! — Wozu sind wir hier in der
Mühle des heiligen Petrus, wenn wir uns nicht auf ihn berufen dürfen? Er
war ein richtiger Granitfels, Signora, aber menschliche Schwächen hafteten ihm
doch an, und ich hoffe, die Gottesmutter wird mir's zugute halten, wenn ich
nicht besser bin als mein Schutzpatron.

Florida drückte der alten Müllerin die Hand; alles, was sie an geheimnis¬
vollen Lehren aus dem Munde der heiligen Agatha vernommen hatte, war wieder
in ihrem Geiste lebendig geworden, und wie man sich wohl der eignen Zweifel
zu erwehren sucht, indem mau diejenigen andrer entkräftet, begann sie von den
Engeln zu reden, denen man, ohne es zu ahnen, schon hinnieden begegne; dann
auch von der Unfähigkeit der Kinder dieser Erde, die Welt anders als körperlich
zu begreifen, während der Geist doch frei hindurchgehe; und endlich von der
Verwerflichkeit klügelnder Fragen, durch welche der Mensch seinem Geiste die
Fähigkeit benehme, die aus himmlischer Gnade an ihn gerichteten Botschaften
der höchsten Liebe zu vernehmen.

Die vorher mit Essen, Trinken und Erzählen vollauf beschäftigt gewesene
Alte hatte von ihren: vornehmen Gaste bis dahin nicht mehr als das blasse,
traurig ernste Gesicht beachtet, daneben oder eigentlich vor allem die nach da¬
maligem Adelsbrauche mit kostbaren Ringen bedeckten schöngeformten Hände.

Nun der Fremden so weise und fast unbegreifliche Worte absonderlicher
Gelehrsamkeit von den Lippen zu fließen begannen, kam über die Matrone
wieder etwas von der Zwiespältigkeit ihres Schutzpatrons. Msorioorclia! dachte
sie, wo habe ich denn meine fünf Sinne gehabt? Ihre Stimme ist ganz die
nämliche. In der Kirche der heiligen Lucia fand ich sie. Geweint hat sie, wie
nur eine Braut, die man ins Kloster steckte, weinen kann. Gewartet auf mich
hat sie, gefolgt in die Mühle ist sie mir ohne Widerstreben. Trägt sie mehr
Schmuck an den Händen, als sie bei Lebzeiten zu thun pflegte, so mag zum
Lohn für ihre Geduld die heilige Lucia von ihrem Überflusse ihn ihr geborgt
haben. Freilich, sie hat mit mir gegessen und getrunken und sollte doch nur
als Geist meinem armen Sohne erscheinen. Aber war der Herr Jesus nicht
auch schon aus dem Leben geschieden, als er mit den beiden Jüngern zu Emaus
einkehrte und mit ihnen zu Tische niedersaß, und hat er hernach in Jerusalem
nicht gar angesichts der Elfe gebratenen Fisch verzehrt und Honigseim? Es
ist Cesarina, wahr und wahrhaftig! Die heilige Lucia sei gepriesen! An ihrem
Festtage, wie sie es meinem Gervasio versprochen hatte, gewährt sie ihm die unschul-
dige Bitte! — Aber die minder übersinnliche Seite der Alten kam daneben denn
doch anch zu Worte: Meiner Seel, redete sie vor sich hin, ähnlich sieht sie der
Cesarina — vczns! — und ihre Stimme klingt ganz so lieblich. Aber wenn
sie nun auch nicht Cesarinens Geist sein sollte — denn Wunder werden doch
täglich seltener —, ließe die Gunst des Zufalls sich durch eine gescheite und
für ihren Sohn alles wagende Mutter nicht dann doch noch in segensreicher


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[0491] Um eine j)erke. nicht was göttlich, sondern was menschlich ist! — Wozu sind wir hier in der Mühle des heiligen Petrus, wenn wir uns nicht auf ihn berufen dürfen? Er war ein richtiger Granitfels, Signora, aber menschliche Schwächen hafteten ihm doch an, und ich hoffe, die Gottesmutter wird mir's zugute halten, wenn ich nicht besser bin als mein Schutzpatron. Florida drückte der alten Müllerin die Hand; alles, was sie an geheimnis¬ vollen Lehren aus dem Munde der heiligen Agatha vernommen hatte, war wieder in ihrem Geiste lebendig geworden, und wie man sich wohl der eignen Zweifel zu erwehren sucht, indem mau diejenigen andrer entkräftet, begann sie von den Engeln zu reden, denen man, ohne es zu ahnen, schon hinnieden begegne; dann auch von der Unfähigkeit der Kinder dieser Erde, die Welt anders als körperlich zu begreifen, während der Geist doch frei hindurchgehe; und endlich von der Verwerflichkeit klügelnder Fragen, durch welche der Mensch seinem Geiste die Fähigkeit benehme, die aus himmlischer Gnade an ihn gerichteten Botschaften der höchsten Liebe zu vernehmen. Die vorher mit Essen, Trinken und Erzählen vollauf beschäftigt gewesene Alte hatte von ihren: vornehmen Gaste bis dahin nicht mehr als das blasse, traurig ernste Gesicht beachtet, daneben oder eigentlich vor allem die nach da¬ maligem Adelsbrauche mit kostbaren Ringen bedeckten schöngeformten Hände. Nun der Fremden so weise und fast unbegreifliche Worte absonderlicher Gelehrsamkeit von den Lippen zu fließen begannen, kam über die Matrone wieder etwas von der Zwiespältigkeit ihres Schutzpatrons. Msorioorclia! dachte sie, wo habe ich denn meine fünf Sinne gehabt? Ihre Stimme ist ganz die nämliche. In der Kirche der heiligen Lucia fand ich sie. Geweint hat sie, wie nur eine Braut, die man ins Kloster steckte, weinen kann. Gewartet auf mich hat sie, gefolgt in die Mühle ist sie mir ohne Widerstreben. Trägt sie mehr Schmuck an den Händen, als sie bei Lebzeiten zu thun pflegte, so mag zum Lohn für ihre Geduld die heilige Lucia von ihrem Überflusse ihn ihr geborgt haben. Freilich, sie hat mit mir gegessen und getrunken und sollte doch nur als Geist meinem armen Sohne erscheinen. Aber war der Herr Jesus nicht auch schon aus dem Leben geschieden, als er mit den beiden Jüngern zu Emaus einkehrte und mit ihnen zu Tische niedersaß, und hat er hernach in Jerusalem nicht gar angesichts der Elfe gebratenen Fisch verzehrt und Honigseim? Es ist Cesarina, wahr und wahrhaftig! Die heilige Lucia sei gepriesen! An ihrem Festtage, wie sie es meinem Gervasio versprochen hatte, gewährt sie ihm die unschul- dige Bitte! — Aber die minder übersinnliche Seite der Alten kam daneben denn doch anch zu Worte: Meiner Seel, redete sie vor sich hin, ähnlich sieht sie der Cesarina — vczns! — und ihre Stimme klingt ganz so lieblich. Aber wenn sie nun auch nicht Cesarinens Geist sein sollte — denn Wunder werden doch täglich seltener —, ließe die Gunst des Zufalls sich durch eine gescheite und für ihren Sohn alles wagende Mutter nicht dann doch noch in segensreicher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/491>, abgerufen am 22.07.2024.