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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Um eine perle.

Das alles hörte Florida und hörte sie auch nicht, denn ihre Gedanken
schweiften unablässig umher, und eben jetzt hatten sie die Wanderung nach
Villafranca angetreten, wo ja, wie ihr nachträglich durch Eufemia verraten
worden war, Giuseppe ihrer zuerst ansichtig geworden war, und vor Beschämung
glühten Floridas Wangen. Dennoch war sie auch mit halbem Ohr dem Klngc-
liedc der alten Müllerin gefolgt, und als dieselbe, wie um um auch den Gast
zu Worte kommen zu lassen, innehielt, glaubte Florida ihre Teilnahme wenigstens
durch die Frage ausdrücken zu sollen, ob denn die arme Ccsariua nicht tot sei?

Liorirv! bestätigte die Matrone, aber was wollt Ihr -- mu, vim vvtsto,
Signora?

Und sie erzählte: Vor drei Jahren, bald "ach dem Erblinden ihres
Sohnes, sei sie, die Müllerin, mit ihm zum Feste der heiligen Lucia gegangen.
Dn habe ihr armer Gervasio aber eine Vision gehabt. Er, der nicht die Sonne
noch den Mond schimmern sah, wenn sie noch so strahlend am Himmel standen,
er hatte die heilige Lucia deutlich gesehen, und sie hatte gar keine ablehnende
Miene gemacht, als er gefleht, nur noch einmal im Leben die liebe Stimme
seiner Cesarina hören zu dürfen, nein, die Heilige hatte endlich gar dazu ge¬
nickt, und als er schüchtern gefragt hatte, wann ihm dies Glück zuteil werden
sollte, hatte er deutlich gehört: ^Ug. um tösta! An meinem Festtage! Und sie
hatte eine Bewegung gemacht, als solle auch ein sichtbares Pfand ihrer Nähe
in seinen Händen zurückbleiben.

Florida mußte ihres Traumes gedenken. Sie hatte seit ihrer Kindheit nur
Eufemia von Träumen reden hören, ihren Vater nie. Hier ward ihr von einer
Vision erzählt, die der ihr im Traume gewordene" ähnlich sah, n"d drei Jahre
schon harrte der mit der Verheißung der heiligen Lucia begnadete in Geduld
der Erfüllung. Wie anders war ihr Verhalten gewesen! Wenige Tage erst
waren seit dem Trostsprnche der beiden guten Heiligen ins Land gegangen, und
schon hatte sie verzagen wollen!

Redet weiter, gute Frau, bat sie; nicht wahr, die Heiligen halten Wort?
Ihr glaubt auch darau: sie halten Wort. O gewiß, sie halten Wort!

Seitdem, fuhr die bekümmerte Alte mit einem Achselzucken fort, seitdem ist
er, so oft der Tag der Heiligen wiederkehrt, voll freudiger Unruhe. Es ist
wahr, hat er wirklich sich nicht verhört, so müßte er eigentlich nicht auch außer
der Zeit in Mantuas Gassen nach seinem armen Schatze ans der Suche sein.
Aber so geht es den gläubigsten Seelen: fügt's nicht der oder die Heilige,
heißt es da, so fügt's vielleicht der Zufall. Nicht daß ich eine Heidin bin,
beste Signora. Sankt Petrus, tröste ich mich, war doch anch gewiß kein Heide,
und doch hatte er Anwandlungen von Unglauben wie die meinen. Oder sprach
der Herr Jesus nicht zu ihm, als Sankt Petrus meinte, der Herr dürfe nicht
auf die Verheißung des Auferstehens hin sich in Todesgefahr begeben, sprach
der Herr Jesus da nicht zu ihm: Hebe dich von mir, Satan, denn dn meinst


Um eine perle.

Das alles hörte Florida und hörte sie auch nicht, denn ihre Gedanken
schweiften unablässig umher, und eben jetzt hatten sie die Wanderung nach
Villafranca angetreten, wo ja, wie ihr nachträglich durch Eufemia verraten
worden war, Giuseppe ihrer zuerst ansichtig geworden war, und vor Beschämung
glühten Floridas Wangen. Dennoch war sie auch mit halbem Ohr dem Klngc-
liedc der alten Müllerin gefolgt, und als dieselbe, wie um um auch den Gast
zu Worte kommen zu lassen, innehielt, glaubte Florida ihre Teilnahme wenigstens
durch die Frage ausdrücken zu sollen, ob denn die arme Ccsariua nicht tot sei?

Liorirv! bestätigte die Matrone, aber was wollt Ihr — mu, vim vvtsto,
Signora?

Und sie erzählte: Vor drei Jahren, bald »ach dem Erblinden ihres
Sohnes, sei sie, die Müllerin, mit ihm zum Feste der heiligen Lucia gegangen.
Dn habe ihr armer Gervasio aber eine Vision gehabt. Er, der nicht die Sonne
noch den Mond schimmern sah, wenn sie noch so strahlend am Himmel standen,
er hatte die heilige Lucia deutlich gesehen, und sie hatte gar keine ablehnende
Miene gemacht, als er gefleht, nur noch einmal im Leben die liebe Stimme
seiner Cesarina hören zu dürfen, nein, die Heilige hatte endlich gar dazu ge¬
nickt, und als er schüchtern gefragt hatte, wann ihm dies Glück zuteil werden
sollte, hatte er deutlich gehört: ^Ug. um tösta! An meinem Festtage! Und sie
hatte eine Bewegung gemacht, als solle auch ein sichtbares Pfand ihrer Nähe
in seinen Händen zurückbleiben.

Florida mußte ihres Traumes gedenken. Sie hatte seit ihrer Kindheit nur
Eufemia von Träumen reden hören, ihren Vater nie. Hier ward ihr von einer
Vision erzählt, die der ihr im Traume gewordene» ähnlich sah, n»d drei Jahre
schon harrte der mit der Verheißung der heiligen Lucia begnadete in Geduld
der Erfüllung. Wie anders war ihr Verhalten gewesen! Wenige Tage erst
waren seit dem Trostsprnche der beiden guten Heiligen ins Land gegangen, und
schon hatte sie verzagen wollen!

Redet weiter, gute Frau, bat sie; nicht wahr, die Heiligen halten Wort?
Ihr glaubt auch darau: sie halten Wort. O gewiß, sie halten Wort!

Seitdem, fuhr die bekümmerte Alte mit einem Achselzucken fort, seitdem ist
er, so oft der Tag der Heiligen wiederkehrt, voll freudiger Unruhe. Es ist
wahr, hat er wirklich sich nicht verhört, so müßte er eigentlich nicht auch außer
der Zeit in Mantuas Gassen nach seinem armen Schatze ans der Suche sein.
Aber so geht es den gläubigsten Seelen: fügt's nicht der oder die Heilige,
heißt es da, so fügt's vielleicht der Zufall. Nicht daß ich eine Heidin bin,
beste Signora. Sankt Petrus, tröste ich mich, war doch anch gewiß kein Heide,
und doch hatte er Anwandlungen von Unglauben wie die meinen. Oder sprach
der Herr Jesus nicht zu ihm, als Sankt Petrus meinte, der Herr dürfe nicht
auf die Verheißung des Auferstehens hin sich in Todesgefahr begeben, sprach
der Herr Jesus da nicht zu ihm: Hebe dich von mir, Satan, denn dn meinst


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[0490] Um eine perle. Das alles hörte Florida und hörte sie auch nicht, denn ihre Gedanken schweiften unablässig umher, und eben jetzt hatten sie die Wanderung nach Villafranca angetreten, wo ja, wie ihr nachträglich durch Eufemia verraten worden war, Giuseppe ihrer zuerst ansichtig geworden war, und vor Beschämung glühten Floridas Wangen. Dennoch war sie auch mit halbem Ohr dem Klngc- liedc der alten Müllerin gefolgt, und als dieselbe, wie um um auch den Gast zu Worte kommen zu lassen, innehielt, glaubte Florida ihre Teilnahme wenigstens durch die Frage ausdrücken zu sollen, ob denn die arme Ccsariua nicht tot sei? Liorirv! bestätigte die Matrone, aber was wollt Ihr — mu, vim vvtsto, Signora? Und sie erzählte: Vor drei Jahren, bald »ach dem Erblinden ihres Sohnes, sei sie, die Müllerin, mit ihm zum Feste der heiligen Lucia gegangen. Dn habe ihr armer Gervasio aber eine Vision gehabt. Er, der nicht die Sonne noch den Mond schimmern sah, wenn sie noch so strahlend am Himmel standen, er hatte die heilige Lucia deutlich gesehen, und sie hatte gar keine ablehnende Miene gemacht, als er gefleht, nur noch einmal im Leben die liebe Stimme seiner Cesarina hören zu dürfen, nein, die Heilige hatte endlich gar dazu ge¬ nickt, und als er schüchtern gefragt hatte, wann ihm dies Glück zuteil werden sollte, hatte er deutlich gehört: ^Ug. um tösta! An meinem Festtage! Und sie hatte eine Bewegung gemacht, als solle auch ein sichtbares Pfand ihrer Nähe in seinen Händen zurückbleiben. Florida mußte ihres Traumes gedenken. Sie hatte seit ihrer Kindheit nur Eufemia von Träumen reden hören, ihren Vater nie. Hier ward ihr von einer Vision erzählt, die der ihr im Traume gewordene» ähnlich sah, n»d drei Jahre schon harrte der mit der Verheißung der heiligen Lucia begnadete in Geduld der Erfüllung. Wie anders war ihr Verhalten gewesen! Wenige Tage erst waren seit dem Trostsprnche der beiden guten Heiligen ins Land gegangen, und schon hatte sie verzagen wollen! Redet weiter, gute Frau, bat sie; nicht wahr, die Heiligen halten Wort? Ihr glaubt auch darau: sie halten Wort. O gewiß, sie halten Wort! Seitdem, fuhr die bekümmerte Alte mit einem Achselzucken fort, seitdem ist er, so oft der Tag der Heiligen wiederkehrt, voll freudiger Unruhe. Es ist wahr, hat er wirklich sich nicht verhört, so müßte er eigentlich nicht auch außer der Zeit in Mantuas Gassen nach seinem armen Schatze ans der Suche sein. Aber so geht es den gläubigsten Seelen: fügt's nicht der oder die Heilige, heißt es da, so fügt's vielleicht der Zufall. Nicht daß ich eine Heidin bin, beste Signora. Sankt Petrus, tröste ich mich, war doch anch gewiß kein Heide, und doch hatte er Anwandlungen von Unglauben wie die meinen. Oder sprach der Herr Jesus nicht zu ihm, als Sankt Petrus meinte, der Herr dürfe nicht auf die Verheißung des Auferstehens hin sich in Todesgefahr begeben, sprach der Herr Jesus da nicht zu ihm: Hebe dich von mir, Satan, denn dn meinst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/490>, abgerufen am 22.07.2024.