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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Trieft.

wohl auch in der althergebrachten Gleichgültigkeit der Bewohner des Binnen¬
landes für maritime Interessen, in der Ausnahmestellung, welche Trieft als
Freihafen in den kommerziellen Beziehungen der Monarchie einnimmt, sowie
darin zu suchen sein, daß der Platz bereits außerhalb des deutschen Sprach¬
gebietes liegt. Unter solchen Umständen und bei der Wichtigkeit, welche Trieft
als die künftige Kopfstation der neuen deutschen Dampferlinie wohl schon im
Laufe der nächsten Zeit für weitere Kreise auch in Deutschland gewinnen wird,
dürften einige zuverlässige, auf langjährige eigne Anschauung gestützte Andeu¬
tungen über Ort und Leute vielleicht nicht unwillkommen sein.

Zu den seltsamen Urteilen, die man zuweilen in Österreich über die See¬
stadt sogar in Kreisel? zu vernehmen Gelegenheit hat, bei denen man eine ge¬
nauere Kenntnis voraussetzen sollte, zählt in erster Reihe die Ansicht, die Tochter
des altrömischen Tergeste sei im Laufe ihrer fünfhundertjährigem Zugehörigkeit
zur österreichische!? Monarchie wenn auch nicht gerade germcmisirt, so doch ihres
frühern italienischen Charakters nach und nach entkleidet, sprachlich "kosmopo-
litisirt" und erst im Laufe der letzten Jahrzehnte wieder italienisirt worden. Man
denkt sich, es verhalte sich mit Trieft etwa so wie mit Prag, welches vor Acht¬
undvierzig eine fast ausschließlich dentschsprechende Stadt war, heute dagegen
bereits zu vier Fünfteln tschcchisirt ist. Die Vergleichung ist jedoch in keiner
Weise zutreffend. Durch ihre Handelsbeziehungen in fortwährender Berührung
mit einem deutschsprechenden Hinterkante und mit Deutschland, waren die Triestiner
allerdings von jeher darauf angewiesen, sich die Kenntnis des Deutschen zu er¬
werben. Da die staatlichen Lehranstalten hier wie in ganz Österreich früher deutsche
Unterrichtssprache hatten, so konnten sie dies ohne Mühe und Kosten thun.
Germcmisirt wurden sie dadurch jedoch keineswegs. Ihre Muttersprache blieb
stets die italienische, der sogenannte Triestiner Dialekt, eine mit etwas slavischen
und deutschen Elementen versetzte Abart des venezianischen. Von einer Ger-
mnnisation kann somit in keiner Weise die Rede sein, und wenn hiesige italie¬
nische Oppositionsblätter gelegentlich einmal von Aprill.MiiZ7.awri und wnävnM
Mrmimixi-Ätrlki reden, so sprechen sie eben gegen besseres Wissen lind Gewissen.
Dagegen zeigte und zeigt sich hier die auch anderswo früher oft wahrgenommene
Erscheinung, daß eingewanderte Deutsche sich in der zweiten Generation bereits
entuationalisirten, was bei dem eigentümlich insinnanten Wesen des Italienischen
ungemein leicht von statten geht. So mancher "Marburger" verwandelte sich
hier in einen "Marpurgo," so mancher "Pollak" in einen "Polaeeo," mancher
"Stern" in einen "sterni" u. s. w.; aber auch wo die Namen unverändert
blieben, verwandelte sich die Nationalität. Namentlich sind es Tuchter Juden
mit urdeutschen Namen, die sich heute als Vollblutitaliener aufspielen. In noch
ungleich Höheren Maße als das deutsche entnationalisirte sich das slawische Ele¬
ment. Gut die Hälfte der Triester Familiennamen sind slowenisch, aber die
meisten ihrer Trüger verstehen bellte kein Wort Slowenisch mehr oder wollen


Grenzbown II. 1885. 58
Trieft.

wohl auch in der althergebrachten Gleichgültigkeit der Bewohner des Binnen¬
landes für maritime Interessen, in der Ausnahmestellung, welche Trieft als
Freihafen in den kommerziellen Beziehungen der Monarchie einnimmt, sowie
darin zu suchen sein, daß der Platz bereits außerhalb des deutschen Sprach¬
gebietes liegt. Unter solchen Umständen und bei der Wichtigkeit, welche Trieft
als die künftige Kopfstation der neuen deutschen Dampferlinie wohl schon im
Laufe der nächsten Zeit für weitere Kreise auch in Deutschland gewinnen wird,
dürften einige zuverlässige, auf langjährige eigne Anschauung gestützte Andeu¬
tungen über Ort und Leute vielleicht nicht unwillkommen sein.

Zu den seltsamen Urteilen, die man zuweilen in Österreich über die See¬
stadt sogar in Kreisel? zu vernehmen Gelegenheit hat, bei denen man eine ge¬
nauere Kenntnis voraussetzen sollte, zählt in erster Reihe die Ansicht, die Tochter
des altrömischen Tergeste sei im Laufe ihrer fünfhundertjährigem Zugehörigkeit
zur österreichische!? Monarchie wenn auch nicht gerade germcmisirt, so doch ihres
frühern italienischen Charakters nach und nach entkleidet, sprachlich „kosmopo-
litisirt" und erst im Laufe der letzten Jahrzehnte wieder italienisirt worden. Man
denkt sich, es verhalte sich mit Trieft etwa so wie mit Prag, welches vor Acht¬
undvierzig eine fast ausschließlich dentschsprechende Stadt war, heute dagegen
bereits zu vier Fünfteln tschcchisirt ist. Die Vergleichung ist jedoch in keiner
Weise zutreffend. Durch ihre Handelsbeziehungen in fortwährender Berührung
mit einem deutschsprechenden Hinterkante und mit Deutschland, waren die Triestiner
allerdings von jeher darauf angewiesen, sich die Kenntnis des Deutschen zu er¬
werben. Da die staatlichen Lehranstalten hier wie in ganz Österreich früher deutsche
Unterrichtssprache hatten, so konnten sie dies ohne Mühe und Kosten thun.
Germcmisirt wurden sie dadurch jedoch keineswegs. Ihre Muttersprache blieb
stets die italienische, der sogenannte Triestiner Dialekt, eine mit etwas slavischen
und deutschen Elementen versetzte Abart des venezianischen. Von einer Ger-
mnnisation kann somit in keiner Weise die Rede sein, und wenn hiesige italie¬
nische Oppositionsblätter gelegentlich einmal von Aprill.MiiZ7.awri und wnävnM
Mrmimixi-Ätrlki reden, so sprechen sie eben gegen besseres Wissen lind Gewissen.
Dagegen zeigte und zeigt sich hier die auch anderswo früher oft wahrgenommene
Erscheinung, daß eingewanderte Deutsche sich in der zweiten Generation bereits
entuationalisirten, was bei dem eigentümlich insinnanten Wesen des Italienischen
ungemein leicht von statten geht. So mancher „Marburger" verwandelte sich
hier in einen „Marpurgo," so mancher „Pollak" in einen „Polaeeo," mancher
„Stern" in einen „sterni" u. s. w.; aber auch wo die Namen unverändert
blieben, verwandelte sich die Nationalität. Namentlich sind es Tuchter Juden
mit urdeutschen Namen, die sich heute als Vollblutitaliener aufspielen. In noch
ungleich Höheren Maße als das deutsche entnationalisirte sich das slawische Ele¬
ment. Gut die Hälfte der Triester Familiennamen sind slowenisch, aber die
meisten ihrer Trüger verstehen bellte kein Wort Slowenisch mehr oder wollen


Grenzbown II. 1885. 58
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[0462] Trieft. wohl auch in der althergebrachten Gleichgültigkeit der Bewohner des Binnen¬ landes für maritime Interessen, in der Ausnahmestellung, welche Trieft als Freihafen in den kommerziellen Beziehungen der Monarchie einnimmt, sowie darin zu suchen sein, daß der Platz bereits außerhalb des deutschen Sprach¬ gebietes liegt. Unter solchen Umständen und bei der Wichtigkeit, welche Trieft als die künftige Kopfstation der neuen deutschen Dampferlinie wohl schon im Laufe der nächsten Zeit für weitere Kreise auch in Deutschland gewinnen wird, dürften einige zuverlässige, auf langjährige eigne Anschauung gestützte Andeu¬ tungen über Ort und Leute vielleicht nicht unwillkommen sein. Zu den seltsamen Urteilen, die man zuweilen in Österreich über die See¬ stadt sogar in Kreisel? zu vernehmen Gelegenheit hat, bei denen man eine ge¬ nauere Kenntnis voraussetzen sollte, zählt in erster Reihe die Ansicht, die Tochter des altrömischen Tergeste sei im Laufe ihrer fünfhundertjährigem Zugehörigkeit zur österreichische!? Monarchie wenn auch nicht gerade germcmisirt, so doch ihres frühern italienischen Charakters nach und nach entkleidet, sprachlich „kosmopo- litisirt" und erst im Laufe der letzten Jahrzehnte wieder italienisirt worden. Man denkt sich, es verhalte sich mit Trieft etwa so wie mit Prag, welches vor Acht¬ undvierzig eine fast ausschließlich dentschsprechende Stadt war, heute dagegen bereits zu vier Fünfteln tschcchisirt ist. Die Vergleichung ist jedoch in keiner Weise zutreffend. Durch ihre Handelsbeziehungen in fortwährender Berührung mit einem deutschsprechenden Hinterkante und mit Deutschland, waren die Triestiner allerdings von jeher darauf angewiesen, sich die Kenntnis des Deutschen zu er¬ werben. Da die staatlichen Lehranstalten hier wie in ganz Österreich früher deutsche Unterrichtssprache hatten, so konnten sie dies ohne Mühe und Kosten thun. Germcmisirt wurden sie dadurch jedoch keineswegs. Ihre Muttersprache blieb stets die italienische, der sogenannte Triestiner Dialekt, eine mit etwas slavischen und deutschen Elementen versetzte Abart des venezianischen. Von einer Ger- mnnisation kann somit in keiner Weise die Rede sein, und wenn hiesige italie¬ nische Oppositionsblätter gelegentlich einmal von Aprill.MiiZ7.awri und wnävnM Mrmimixi-Ätrlki reden, so sprechen sie eben gegen besseres Wissen lind Gewissen. Dagegen zeigte und zeigt sich hier die auch anderswo früher oft wahrgenommene Erscheinung, daß eingewanderte Deutsche sich in der zweiten Generation bereits entuationalisirten, was bei dem eigentümlich insinnanten Wesen des Italienischen ungemein leicht von statten geht. So mancher „Marburger" verwandelte sich hier in einen „Marpurgo," so mancher „Pollak" in einen „Polaeeo," mancher „Stern" in einen „sterni" u. s. w.; aber auch wo die Namen unverändert blieben, verwandelte sich die Nationalität. Namentlich sind es Tuchter Juden mit urdeutschen Namen, die sich heute als Vollblutitaliener aufspielen. In noch ungleich Höheren Maße als das deutsche entnationalisirte sich das slawische Ele¬ ment. Gut die Hälfte der Triester Familiennamen sind slowenisch, aber die meisten ihrer Trüger verstehen bellte kein Wort Slowenisch mehr oder wollen Grenzbown II. 1885. 58

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/462>, abgerufen am 22.07.2024.