Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.Gine erfreuliche Seite unsrer Parteikämpfe. andern Fällen die "geschäftlichen Gründe" nur einen Vorwand abgeben, um sich So festgewurzelt sind diejenigen Anschauungen, welche zu Anfang dieses Unser Volk befindet sich von innen heraus in einem mächtigen Umdenkungs- Gine erfreuliche Seite unsrer Parteikämpfe. andern Fällen die „geschäftlichen Gründe" nur einen Vorwand abgeben, um sich So festgewurzelt sind diejenigen Anschauungen, welche zu Anfang dieses Unser Volk befindet sich von innen heraus in einem mächtigen Umdenkungs- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0450" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195839"/> <fw type="header" place="top"> Gine erfreuliche Seite unsrer Parteikämpfe.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1588" prev="#ID_1587"> andern Fällen die „geschäftlichen Gründe" nur einen Vorwand abgeben, um sich<lb/> auch die kleinste Selbstüberwindung ersparen und an der zur Gewohnheit ge-<lb/> wordnen Lektüre festhalten zu können) trotz entschieden konservativer Gesinnung<lb/> liberale Zeitungen halten und lesen. Nun gehört aber schon ein ganz außer¬<lb/> gewöhnlicher Grad geistiger Selbständigkeit dazu, täglich ein Blatt von aus¬<lb/> geprägter Richtung zu lesen, ohne sich dadurch beeinflussen zu lassen. Noch<lb/> schlimmer, weil viel einschmeichelnder und den Leuten gleichwohl viel weniger<lb/> zum Bewußtsein kommend, ist die Lektüre der liberalen Unterhaltungsblätter,<lb/> die gleichwohl (leider!) in unzähligen konservativen Familien immer noch als<lb/> eine höchst unbedenkliche, harmlose Sache betrachtet werden. Und doch giebt es<lb/> gerade unter diesen Blättern solche, die mit raffinirtester Absichtlichkeit sich im<lb/> Dienste des fortgeschrittensten Liberalismus abmühen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1589"> So festgewurzelt sind diejenigen Anschauungen, welche zu Anfang dieses<lb/> Jahrhunderts von Frankreich her sich einnisteten, in den zwanziger und dreißiger<lb/> Jahren neue Verstärkung erhielten und in den mittelstaatlichcn Kammern ihren<lb/> Einfluß auf das Volk zu üben begannen, im Jahre 1848 zu einer vorüber¬<lb/> gehenden Herrschaft gelangten, in den fünfziger Jahren aber erst für unser<lb/> ganzes öffentliches Leben und für das Denken und Empfinden unsers Volkes<lb/> maßgebend wurden, heute noch in demselben, selbst in solchen Kreisen, welche<lb/> sich längst mit Bewußtsein von dem liberalen Prinzip als solchem abgewandt<lb/> haben. Was haben wir nun erlebt? Wir haben in gewaltigen geschichtlichen<lb/> Vorgängen erprobt, daß der Liberalismus eine politische Unfähigkeit an den<lb/> Tag legte, die nur noch von seinem Hochmute übertroffen wurde, daß aber der<lb/> altprcußische Staatsgedanke und das preußische Heer eine Zähigkeit und Lei¬<lb/> stungsfähigkeit an den Tag legten, welche niemand zu finden erwartet hatte, und<lb/> daß Ideen, welche teils direkt dem Kreise der geschmähten Junker und Pfaffen<lb/> angehörten, teils wenigstens den Ideen dieses Kreises durchaus parallel liefen,<lb/> das Material zu einer großartigen Reformbewegung und zu mächtigen Erneue-<lb/> rungsanläuscn in unserm ganzen Volkstum lieferten. Ist es da zu verwundern,<lb/> daß einerseits der bewußte prinzipielle Liberalismus seine ganze Kraft zum<lb/> Widerstände sammelt, und daß andrerseits noch große, große Teile unsers<lb/> Volkes nicht recht zN sich selbst kommen können und immer noch meinen, Bis-<lb/> marck, deutsches Reich und Neformpolitik vertrüge sich am Ende doch ganz<lb/> gut mit so ein bischen Eugen Richterschem Wesen und mit demokratischen<lb/> Abscheu vor aller Reaktion? Daß niemand recht weiß, wo die letztere eigent¬<lb/> lich steckt, schadet ja bekanntlich garnichts.</p><lb/> <p xml:id="ID_1590" next="#ID_1591"> Unser Volk befindet sich von innen heraus in einem mächtigen Umdenkungs-<lb/> Prozesse. Aber je bedeutsamer und tiefgreifender, durch je gewaltigere praktische<lb/> Tagesfragen angestachelt dieser Prozeß ist, desto lebhafter ringt sich alles nach<lb/> oben, was von Gährungsstvffen in ihm vorhanden ist. Da wird und kann es<lb/> der Opposition, auch einer verbissenen, kleinlichen und geistig überlebten, nie-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0450]
Gine erfreuliche Seite unsrer Parteikämpfe.
andern Fällen die „geschäftlichen Gründe" nur einen Vorwand abgeben, um sich
auch die kleinste Selbstüberwindung ersparen und an der zur Gewohnheit ge-
wordnen Lektüre festhalten zu können) trotz entschieden konservativer Gesinnung
liberale Zeitungen halten und lesen. Nun gehört aber schon ein ganz außer¬
gewöhnlicher Grad geistiger Selbständigkeit dazu, täglich ein Blatt von aus¬
geprägter Richtung zu lesen, ohne sich dadurch beeinflussen zu lassen. Noch
schlimmer, weil viel einschmeichelnder und den Leuten gleichwohl viel weniger
zum Bewußtsein kommend, ist die Lektüre der liberalen Unterhaltungsblätter,
die gleichwohl (leider!) in unzähligen konservativen Familien immer noch als
eine höchst unbedenkliche, harmlose Sache betrachtet werden. Und doch giebt es
gerade unter diesen Blättern solche, die mit raffinirtester Absichtlichkeit sich im
Dienste des fortgeschrittensten Liberalismus abmühen.
So festgewurzelt sind diejenigen Anschauungen, welche zu Anfang dieses
Jahrhunderts von Frankreich her sich einnisteten, in den zwanziger und dreißiger
Jahren neue Verstärkung erhielten und in den mittelstaatlichcn Kammern ihren
Einfluß auf das Volk zu üben begannen, im Jahre 1848 zu einer vorüber¬
gehenden Herrschaft gelangten, in den fünfziger Jahren aber erst für unser
ganzes öffentliches Leben und für das Denken und Empfinden unsers Volkes
maßgebend wurden, heute noch in demselben, selbst in solchen Kreisen, welche
sich längst mit Bewußtsein von dem liberalen Prinzip als solchem abgewandt
haben. Was haben wir nun erlebt? Wir haben in gewaltigen geschichtlichen
Vorgängen erprobt, daß der Liberalismus eine politische Unfähigkeit an den
Tag legte, die nur noch von seinem Hochmute übertroffen wurde, daß aber der
altprcußische Staatsgedanke und das preußische Heer eine Zähigkeit und Lei¬
stungsfähigkeit an den Tag legten, welche niemand zu finden erwartet hatte, und
daß Ideen, welche teils direkt dem Kreise der geschmähten Junker und Pfaffen
angehörten, teils wenigstens den Ideen dieses Kreises durchaus parallel liefen,
das Material zu einer großartigen Reformbewegung und zu mächtigen Erneue-
rungsanläuscn in unserm ganzen Volkstum lieferten. Ist es da zu verwundern,
daß einerseits der bewußte prinzipielle Liberalismus seine ganze Kraft zum
Widerstände sammelt, und daß andrerseits noch große, große Teile unsers
Volkes nicht recht zN sich selbst kommen können und immer noch meinen, Bis-
marck, deutsches Reich und Neformpolitik vertrüge sich am Ende doch ganz
gut mit so ein bischen Eugen Richterschem Wesen und mit demokratischen
Abscheu vor aller Reaktion? Daß niemand recht weiß, wo die letztere eigent¬
lich steckt, schadet ja bekanntlich garnichts.
Unser Volk befindet sich von innen heraus in einem mächtigen Umdenkungs-
Prozesse. Aber je bedeutsamer und tiefgreifender, durch je gewaltigere praktische
Tagesfragen angestachelt dieser Prozeß ist, desto lebhafter ringt sich alles nach
oben, was von Gährungsstvffen in ihm vorhanden ist. Da wird und kann es
der Opposition, auch einer verbissenen, kleinlichen und geistig überlebten, nie-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |