Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.Gute Leute -- schlechte Musikanten. die Gewohnheit aller Parteien; der wunderliche Irrtum, daß das Interesse Schnlbubenweisheit! hören wir sagen. Ja wohl, und schlimm genug ist es, Gute Leute — schlechte Musikanten. die Gewohnheit aller Parteien; der wunderliche Irrtum, daß das Interesse Schnlbubenweisheit! hören wir sagen. Ja wohl, und schlimm genug ist es, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0427" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195816"/> <fw type="header" place="top"> Gute Leute — schlechte Musikanten.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1510" prev="#ID_1509"> die Gewohnheit aller Parteien; der wunderliche Irrtum, daß das Interesse<lb/> irgendeiner guten Sache durch dilettantische und ohnmächtige Versuche gefördert<lb/> werden könne, macht sich immer aufs neue geltend. Wie oft begegnen wir in<lb/> Kritiken einer Einleitung, daß angesichts der materialistischen Grundanschauung,<lb/> der Frivolität und Rohheit eines großen Teils der modernen Literatur das<lb/> Buch des Herrn T und die Dichtung der Fran von A durch reine und edle<lb/> Absichten, durch sittliche oder religiöse Tendenz geadelt seien, eine Einleitung,<lb/> hinter der die schüchterne Bemerkung folgt, daß gedachtes Buch oder besagte<lb/> Dichtung freilich nur bescheidne Ansprüche erhebe. Hinter der Anpreisung<lb/> hinkt das Zugeständnis drein, daß hier wieder einmal das Zeichen für die<lb/> Sache gesetzt werde, aber da das Zeichen löblich sei, dürfe man den Mangel<lb/> der Sache nicht zu hoch anschlagen. Diese sophistische Auseinandersetzung ist<lb/> uralt, kehrt unablässig wieder und richtet unsägliches Unheil an. Beinahe<lb/> dürfte man sie in ihr Gegenteil verkehren und sagen: wenn es bei niedriger<lb/> Absicht, bei alltäglichen armseligen Stoffen allenfalls erlaubt wäre, mittelmäßig<lb/> und platt zu sein, so ist das bei edler Tendenz und gegenüber großen Stoffen<lb/> ganz unerträglich. Die Freude am ethischen Gehalt, an der moralischen Vor¬<lb/> trefflichkeit kann und darf ans künstlerischem Gebiet von der ästhetischen Frende<lb/> nicht getrennt werden, und wo es dennoch geschieht, trifft das oben zitirte<lb/> Heimische Spvttwort die Wohlmeinenden mit allem Recht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1511" next="#ID_1512"> Schnlbubenweisheit! hören wir sagen. Ja wohl, und schlimm genug ist es,<lb/> daß diese einfachsten Sätze, die jeder auf Bildung Anspruch machende sich in<lb/> der Sekunda eingeprägt haben sollte, immer wieder aufgefrischt werden müssen.<lb/> Als allgemeine Sätze werden sie zugegeben, in jedem konkreten Falle bleiben<lb/> sie unbeachtet. Da gefällt es wieder einmal zwei „Dichtern," den erhabensten,<lb/> wichtigsten und tiefsten Stoff, die in den Evangelien enthaltene Lebens- und<lb/> Leidensgeschichte Christi, in modernen Dichtungen ohne Gestalt, ohne seelische<lb/> Gewalt und künstlerische Form, in schwächlichen Versen als epische Dichtungen<lb/> zu publiziren, und auf der Stelle beeilt sich ein Teil der wohlmeinenden Presse,<lb/> die gelind gesagt überflüssigen Reproduktionen in jenen allgemeinen Redensarten<lb/> zu loben und zu empfehlen, welche die Verlegenheit verraten, die durch gute<lb/> Leute und schlechte Musikanten beinahe immer verursacht wird. Als die ersten<lb/> Gesänge des Klopstockscher „Messias" veröffentlicht wurden, ließ sich Gottsched<lb/> in seinem „Bescheidenen Gutachten, was von den bisherigen christlichen Epopöen<lb/> der Deutschen zu halten sei," zu der Behauptung hinreißen, daß die neuen geist¬<lb/> lichen Dichtungen i« eiuer zu Freigeisterei und Religionsspötterei geneigten Zeit<lb/> notwendig unendlichen Schaden anrichten müßten. Der Leipziger Geschmacks¬<lb/> diktator war im Unrecht, doppelt sogar, denn erstens stammte Klopstocks poetische<lb/> Auffassung seines heiligen Stoffes aus einer Seele, die reiner, frömmer, von<lb/> echter Religiosität viel durchdrungener war, als die Seele des Warners, der<lb/> „Messias," welches auch immer seine ästhetischen Borzüge und Mängel sein</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0427]
Gute Leute — schlechte Musikanten.
die Gewohnheit aller Parteien; der wunderliche Irrtum, daß das Interesse
irgendeiner guten Sache durch dilettantische und ohnmächtige Versuche gefördert
werden könne, macht sich immer aufs neue geltend. Wie oft begegnen wir in
Kritiken einer Einleitung, daß angesichts der materialistischen Grundanschauung,
der Frivolität und Rohheit eines großen Teils der modernen Literatur das
Buch des Herrn T und die Dichtung der Fran von A durch reine und edle
Absichten, durch sittliche oder religiöse Tendenz geadelt seien, eine Einleitung,
hinter der die schüchterne Bemerkung folgt, daß gedachtes Buch oder besagte
Dichtung freilich nur bescheidne Ansprüche erhebe. Hinter der Anpreisung
hinkt das Zugeständnis drein, daß hier wieder einmal das Zeichen für die
Sache gesetzt werde, aber da das Zeichen löblich sei, dürfe man den Mangel
der Sache nicht zu hoch anschlagen. Diese sophistische Auseinandersetzung ist
uralt, kehrt unablässig wieder und richtet unsägliches Unheil an. Beinahe
dürfte man sie in ihr Gegenteil verkehren und sagen: wenn es bei niedriger
Absicht, bei alltäglichen armseligen Stoffen allenfalls erlaubt wäre, mittelmäßig
und platt zu sein, so ist das bei edler Tendenz und gegenüber großen Stoffen
ganz unerträglich. Die Freude am ethischen Gehalt, an der moralischen Vor¬
trefflichkeit kann und darf ans künstlerischem Gebiet von der ästhetischen Frende
nicht getrennt werden, und wo es dennoch geschieht, trifft das oben zitirte
Heimische Spvttwort die Wohlmeinenden mit allem Recht.
Schnlbubenweisheit! hören wir sagen. Ja wohl, und schlimm genug ist es,
daß diese einfachsten Sätze, die jeder auf Bildung Anspruch machende sich in
der Sekunda eingeprägt haben sollte, immer wieder aufgefrischt werden müssen.
Als allgemeine Sätze werden sie zugegeben, in jedem konkreten Falle bleiben
sie unbeachtet. Da gefällt es wieder einmal zwei „Dichtern," den erhabensten,
wichtigsten und tiefsten Stoff, die in den Evangelien enthaltene Lebens- und
Leidensgeschichte Christi, in modernen Dichtungen ohne Gestalt, ohne seelische
Gewalt und künstlerische Form, in schwächlichen Versen als epische Dichtungen
zu publiziren, und auf der Stelle beeilt sich ein Teil der wohlmeinenden Presse,
die gelind gesagt überflüssigen Reproduktionen in jenen allgemeinen Redensarten
zu loben und zu empfehlen, welche die Verlegenheit verraten, die durch gute
Leute und schlechte Musikanten beinahe immer verursacht wird. Als die ersten
Gesänge des Klopstockscher „Messias" veröffentlicht wurden, ließ sich Gottsched
in seinem „Bescheidenen Gutachten, was von den bisherigen christlichen Epopöen
der Deutschen zu halten sei," zu der Behauptung hinreißen, daß die neuen geist¬
lichen Dichtungen i« eiuer zu Freigeisterei und Religionsspötterei geneigten Zeit
notwendig unendlichen Schaden anrichten müßten. Der Leipziger Geschmacks¬
diktator war im Unrecht, doppelt sogar, denn erstens stammte Klopstocks poetische
Auffassung seines heiligen Stoffes aus einer Seele, die reiner, frömmer, von
echter Religiosität viel durchdrungener war, als die Seele des Warners, der
„Messias," welches auch immer seine ästhetischen Borzüge und Mängel sein
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