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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Die Zobalds.

Mädchen kennen und heimlich lieben gelernt, das er eben wegen seiner frühern
Absicht auf Hildegarde dem Bruder zuzuführen gedachte.

Dieses Mädchen ist die schon erwähnte Cäcilie Mendez, jene Jüdin, welche
zu ihm kam, die Taufe zu empfangen, die er ihr verweigerte, weil sie zu¬
nächst M Minderjährige ohne Zustimmung des Vaters nicht den Schritt
thun durfte, sodann weil er die Zeremonie für überflüssig hielt, "Sie gehören
zu uns schon vor Ihrem Entschluß, sagt er ihr u. a. In welcher Eltern-
rcligion mau auch geboren sei, Glied eines europäischen Kulturstaates und
nicht in allem wesentlichen auch Christ zu sein, ist ganz unmöglich. Es ist
geradeso unmöglich, als auf unserm Erdstern zu leben, ohne Wasser zu ge¬
nießen und sogar weit überwiegend aus Wasser zu bestehen. Wie auch der
eigensinnigste Sonderling, der sich jeden Tropfen dieses Lebenselcmeutes ver¬
böte, es in vielerlei Gestalt, in jedem anderen Getränk, jedem Nahrungsmittel,
ja mit jedem Atemzuge in sich aufnehmen und seinen Leib aus ihm zusammen¬
setzen muß, geradeso geht es mit dem Christentum sogar Ihrem Vater, welchen
übermäßigen Aufwand er auch treibe an Mühen und Selbstkasteiungen, um sich
durch Beobachtung veralteter Lebensregeln und Speisevorschriftcn so grell als
möglich von uns Christe" zu unterscheiden," Cäcilie wird nun auch ihrerseits
des Pastors Schülerin; ihren frvmmgläubigeu Vater weiß er auch für seine
freiere Weltanschauung zu gewinnen, sodaß derselbe am Schlüsse eine hohe
Summe zum Baue einer neuen Kirche, in der Ulrich sein geklärtes Christen¬
tum ver kündigen will, snbskribirt.

Wie nun die beiden Bruder, bei der Ankunft des Amerikaners Arnulf, sich
gegenseitig ihre Bräute zuführen wollen, werden sie ihres Irrtums gewahr --
eine Partie, die, wie bemerkt, Jordan viel zu kurz und das dankbare Motiv
schädigend dargestellt hat. Jeder behält schließlich die ihm wahlverwandte Frau:
der praktische Arnulf die in der Thätigkeit ihres landwirtschaftlichen Besitzes
glückliche Hildegard, der philosophische Ulrich die ästhetisch-kontemplative Cäcilie.
Ohne kirchliche Weihe, bloß vor dem Standesamt und dem Familienoberhaupt,
dem Grafen Udo, geschieht die Verbindung, bei der der heiratende Pastor selbst
die Festpredigt hält.

Auch die Sorge für den Majvratserben ist geschwunden; denn jener Knabe
Lothar, zu dessen Vormund Ulrich von der sterbenden Kunstreiterein bestellt
worden war, ist der eheliche Sohn derselben von dem Rittmeister Grafen Lothar
von Sebaldsheim. Der alte Graf Udo muß ihn umsomehr anerkennen, als er
eine Schuld gegen den Vater jener Kuustreitcriu fühlt.

Wir wiederholen: in den populär-wissenschaftlichen Exkursen, in dem Be¬
mühen, die historisch gegebenen Elemente der Kultur mit den neuen Erwerbungen
des Menschengeistes in versöhnliche Verbindungen zu bringen, in dem Geiste
der Humanität, der die Pflicht aller dichterischen Schöpfung immer bleibt, da
der Dichter uus aus dem Staube des politischen Kampfes in eine ideale Welt


Die Zobalds.

Mädchen kennen und heimlich lieben gelernt, das er eben wegen seiner frühern
Absicht auf Hildegarde dem Bruder zuzuführen gedachte.

Dieses Mädchen ist die schon erwähnte Cäcilie Mendez, jene Jüdin, welche
zu ihm kam, die Taufe zu empfangen, die er ihr verweigerte, weil sie zu¬
nächst M Minderjährige ohne Zustimmung des Vaters nicht den Schritt
thun durfte, sodann weil er die Zeremonie für überflüssig hielt, „Sie gehören
zu uns schon vor Ihrem Entschluß, sagt er ihr u. a. In welcher Eltern-
rcligion mau auch geboren sei, Glied eines europäischen Kulturstaates und
nicht in allem wesentlichen auch Christ zu sein, ist ganz unmöglich. Es ist
geradeso unmöglich, als auf unserm Erdstern zu leben, ohne Wasser zu ge¬
nießen und sogar weit überwiegend aus Wasser zu bestehen. Wie auch der
eigensinnigste Sonderling, der sich jeden Tropfen dieses Lebenselcmeutes ver¬
böte, es in vielerlei Gestalt, in jedem anderen Getränk, jedem Nahrungsmittel,
ja mit jedem Atemzuge in sich aufnehmen und seinen Leib aus ihm zusammen¬
setzen muß, geradeso geht es mit dem Christentum sogar Ihrem Vater, welchen
übermäßigen Aufwand er auch treibe an Mühen und Selbstkasteiungen, um sich
durch Beobachtung veralteter Lebensregeln und Speisevorschriftcn so grell als
möglich von uns Christe» zu unterscheiden," Cäcilie wird nun auch ihrerseits
des Pastors Schülerin; ihren frvmmgläubigeu Vater weiß er auch für seine
freiere Weltanschauung zu gewinnen, sodaß derselbe am Schlüsse eine hohe
Summe zum Baue einer neuen Kirche, in der Ulrich sein geklärtes Christen¬
tum ver kündigen will, snbskribirt.

Wie nun die beiden Bruder, bei der Ankunft des Amerikaners Arnulf, sich
gegenseitig ihre Bräute zuführen wollen, werden sie ihres Irrtums gewahr —
eine Partie, die, wie bemerkt, Jordan viel zu kurz und das dankbare Motiv
schädigend dargestellt hat. Jeder behält schließlich die ihm wahlverwandte Frau:
der praktische Arnulf die in der Thätigkeit ihres landwirtschaftlichen Besitzes
glückliche Hildegard, der philosophische Ulrich die ästhetisch-kontemplative Cäcilie.
Ohne kirchliche Weihe, bloß vor dem Standesamt und dem Familienoberhaupt,
dem Grafen Udo, geschieht die Verbindung, bei der der heiratende Pastor selbst
die Festpredigt hält.

Auch die Sorge für den Majvratserben ist geschwunden; denn jener Knabe
Lothar, zu dessen Vormund Ulrich von der sterbenden Kunstreiterein bestellt
worden war, ist der eheliche Sohn derselben von dem Rittmeister Grafen Lothar
von Sebaldsheim. Der alte Graf Udo muß ihn umsomehr anerkennen, als er
eine Schuld gegen den Vater jener Kuustreitcriu fühlt.

Wir wiederholen: in den populär-wissenschaftlichen Exkursen, in dem Be¬
mühen, die historisch gegebenen Elemente der Kultur mit den neuen Erwerbungen
des Menschengeistes in versöhnliche Verbindungen zu bringen, in dem Geiste
der Humanität, der die Pflicht aller dichterischen Schöpfung immer bleibt, da
der Dichter uus aus dem Staube des politischen Kampfes in eine ideale Welt


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[0042] Die Zobalds. Mädchen kennen und heimlich lieben gelernt, das er eben wegen seiner frühern Absicht auf Hildegarde dem Bruder zuzuführen gedachte. Dieses Mädchen ist die schon erwähnte Cäcilie Mendez, jene Jüdin, welche zu ihm kam, die Taufe zu empfangen, die er ihr verweigerte, weil sie zu¬ nächst M Minderjährige ohne Zustimmung des Vaters nicht den Schritt thun durfte, sodann weil er die Zeremonie für überflüssig hielt, „Sie gehören zu uns schon vor Ihrem Entschluß, sagt er ihr u. a. In welcher Eltern- rcligion mau auch geboren sei, Glied eines europäischen Kulturstaates und nicht in allem wesentlichen auch Christ zu sein, ist ganz unmöglich. Es ist geradeso unmöglich, als auf unserm Erdstern zu leben, ohne Wasser zu ge¬ nießen und sogar weit überwiegend aus Wasser zu bestehen. Wie auch der eigensinnigste Sonderling, der sich jeden Tropfen dieses Lebenselcmeutes ver¬ böte, es in vielerlei Gestalt, in jedem anderen Getränk, jedem Nahrungsmittel, ja mit jedem Atemzuge in sich aufnehmen und seinen Leib aus ihm zusammen¬ setzen muß, geradeso geht es mit dem Christentum sogar Ihrem Vater, welchen übermäßigen Aufwand er auch treibe an Mühen und Selbstkasteiungen, um sich durch Beobachtung veralteter Lebensregeln und Speisevorschriftcn so grell als möglich von uns Christe» zu unterscheiden," Cäcilie wird nun auch ihrerseits des Pastors Schülerin; ihren frvmmgläubigeu Vater weiß er auch für seine freiere Weltanschauung zu gewinnen, sodaß derselbe am Schlüsse eine hohe Summe zum Baue einer neuen Kirche, in der Ulrich sein geklärtes Christen¬ tum ver kündigen will, snbskribirt. Wie nun die beiden Bruder, bei der Ankunft des Amerikaners Arnulf, sich gegenseitig ihre Bräute zuführen wollen, werden sie ihres Irrtums gewahr — eine Partie, die, wie bemerkt, Jordan viel zu kurz und das dankbare Motiv schädigend dargestellt hat. Jeder behält schließlich die ihm wahlverwandte Frau: der praktische Arnulf die in der Thätigkeit ihres landwirtschaftlichen Besitzes glückliche Hildegard, der philosophische Ulrich die ästhetisch-kontemplative Cäcilie. Ohne kirchliche Weihe, bloß vor dem Standesamt und dem Familienoberhaupt, dem Grafen Udo, geschieht die Verbindung, bei der der heiratende Pastor selbst die Festpredigt hält. Auch die Sorge für den Majvratserben ist geschwunden; denn jener Knabe Lothar, zu dessen Vormund Ulrich von der sterbenden Kunstreiterein bestellt worden war, ist der eheliche Sohn derselben von dem Rittmeister Grafen Lothar von Sebaldsheim. Der alte Graf Udo muß ihn umsomehr anerkennen, als er eine Schuld gegen den Vater jener Kuustreitcriu fühlt. Wir wiederholen: in den populär-wissenschaftlichen Exkursen, in dem Be¬ mühen, die historisch gegebenen Elemente der Kultur mit den neuen Erwerbungen des Menschengeistes in versöhnliche Verbindungen zu bringen, in dem Geiste der Humanität, der die Pflicht aller dichterischen Schöpfung immer bleibt, da der Dichter uus aus dem Staube des politischen Kampfes in eine ideale Welt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/42>, abgerufen am 22.07.2024.