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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Iwan Turgenjew in seinen Briefen.

Wird das für Euern Lo^rsmMuiK nützlicher sein, als wenn ich Euch in
Petersburg besuchte. Ich werde dir alles schicken, was ich hier schreibe, vor
allem eine Erzählung "Assja." die du, ich bürge dafür, noch vor Neujahr wirst
drucken können. Du kennst ja Rom und weißt, wie herrlich sich's dort arbeitet.
Ich sehne mich förmlich nach Einsamkeit und Arbeit."

In keiner Weise hatten sich die "Jungen" über Turgenjew zu beklagen.
Wo er konnte, setzte er seinen Einfluß ein, um ihre Ziele zu fördern. Er ver¬
wandte sich bei dem ihm befreundeten General Kowalewski, dem Bruder des
damaligen Ministers der Volksaufklärung, um die Einsetzung eines liberalen
Zensors in Moskau durchzusetzen. Ebenso befürwortete er die Gründung des
freisinnigen NoslcjgvsKij ^östnill bei derselben einflußreichen Persönlichkeit. Für
den unbemittelten Pissemski suchte er passende Beschäftigung, und die talentvolle
Kleinrusfin Markowitsch, die unter dem Pseudonym Marko Wowtschok eine
Reihe ergreifender Schilderungen aus dem Leben ihrer Heimat geschrieben hatte,
führte er bereitwilligst in die großrussische Literatur ein. Er übersetzte nicht nur
ihre Arbeiten ins Großrussische, sondern gab ihr auch die Mittel, sich auf
Reisen in Deutschland und England weiterzubilden. Er verschmähte es nicht,
mit den "Jungen" über seinen Gutsnachbar, den Lyriker Fee, zu spotten, welcher
inmitten der kraftgenialischen, realistischen Zeitströmung eine Art sentimentaler
Naturlhrik kultivirte, natürlich mit durchschlagenden Lacherfolge. Lebte er im
Auslande, so ließ er sich ständig durch eiuen seiner literarischen Freunde gegen
ein bestimmtes Honorar genauen Bericht über alle Details des literarischen und
sozialen Lebens erstatten. Selbst dem ultraradikalen Tschernyschewski wußte er
gerecht zu werden. Er verteidigt diesen ideenreichen Moralphilosophen der
neuen Schule mit Wärme gegen die konservativ gesinnten DruSinin und Leon
Tolstoj. "Seine Trockenheit und sein nüchterner Geschmack, schreibt er an
erster", gefallen mir zwar ebensowenig, wie sein rücksichtsloses Benehmen gegen
Personen, die noch leben. Dagegen finde ich in ihm durchaus nichts "Leichen-
Haftes," wie Sie es nennen. Im Gegenteil: ich spüre in ihm einen warmen
Lebensstrom, wenn auch nicht jenen, in den Sie gern unsre Kritik einlenken
sähen. Er hat ein schwaches Verständnis für Poesie -- nun, das ist kein
großer Fehler, denn der Kritiker kann weder Poeten machen, noch Poeten aus
der Welt schaffen. Wohl aber begreift er -- wie soll ich mich ausdrücken? --
die Bedürfnisse der wirklichen, lebendigen Gegenwart, und das ist bei ihm keines¬
wegs, wie Grigorowitsch sich einmal ausdrückte, ein Leberleiden, sondern die
Grundbedingung, die Wurzel seines Wesens. Alles in allem halte ich ihn für
nützlich; die Zukunft wird es lehren, ob ich Recht hatte."

Allmählich jedoch gelangte Turgenjew zu der Einsicht, daß die neue Schule
einem jähen Abgrunde zueile, in dem sie keinen Halt finden würde. Gegen feine
gemäßigten Freunde Tolstoj und Drusinin klagt er nicht selten, daß "der
Lovrkurjsnllill sich in schlechten Händen befinde," daß man sich bereits anschicke.


Iwan Turgenjew in seinen Briefen.

Wird das für Euern Lo^rsmMuiK nützlicher sein, als wenn ich Euch in
Petersburg besuchte. Ich werde dir alles schicken, was ich hier schreibe, vor
allem eine Erzählung »Assja.« die du, ich bürge dafür, noch vor Neujahr wirst
drucken können. Du kennst ja Rom und weißt, wie herrlich sich's dort arbeitet.
Ich sehne mich förmlich nach Einsamkeit und Arbeit."

In keiner Weise hatten sich die „Jungen" über Turgenjew zu beklagen.
Wo er konnte, setzte er seinen Einfluß ein, um ihre Ziele zu fördern. Er ver¬
wandte sich bei dem ihm befreundeten General Kowalewski, dem Bruder des
damaligen Ministers der Volksaufklärung, um die Einsetzung eines liberalen
Zensors in Moskau durchzusetzen. Ebenso befürwortete er die Gründung des
freisinnigen NoslcjgvsKij ^östnill bei derselben einflußreichen Persönlichkeit. Für
den unbemittelten Pissemski suchte er passende Beschäftigung, und die talentvolle
Kleinrusfin Markowitsch, die unter dem Pseudonym Marko Wowtschok eine
Reihe ergreifender Schilderungen aus dem Leben ihrer Heimat geschrieben hatte,
führte er bereitwilligst in die großrussische Literatur ein. Er übersetzte nicht nur
ihre Arbeiten ins Großrussische, sondern gab ihr auch die Mittel, sich auf
Reisen in Deutschland und England weiterzubilden. Er verschmähte es nicht,
mit den „Jungen" über seinen Gutsnachbar, den Lyriker Fee, zu spotten, welcher
inmitten der kraftgenialischen, realistischen Zeitströmung eine Art sentimentaler
Naturlhrik kultivirte, natürlich mit durchschlagenden Lacherfolge. Lebte er im
Auslande, so ließ er sich ständig durch eiuen seiner literarischen Freunde gegen
ein bestimmtes Honorar genauen Bericht über alle Details des literarischen und
sozialen Lebens erstatten. Selbst dem ultraradikalen Tschernyschewski wußte er
gerecht zu werden. Er verteidigt diesen ideenreichen Moralphilosophen der
neuen Schule mit Wärme gegen die konservativ gesinnten DruSinin und Leon
Tolstoj. „Seine Trockenheit und sein nüchterner Geschmack, schreibt er an
erster», gefallen mir zwar ebensowenig, wie sein rücksichtsloses Benehmen gegen
Personen, die noch leben. Dagegen finde ich in ihm durchaus nichts »Leichen-
Haftes,« wie Sie es nennen. Im Gegenteil: ich spüre in ihm einen warmen
Lebensstrom, wenn auch nicht jenen, in den Sie gern unsre Kritik einlenken
sähen. Er hat ein schwaches Verständnis für Poesie — nun, das ist kein
großer Fehler, denn der Kritiker kann weder Poeten machen, noch Poeten aus
der Welt schaffen. Wohl aber begreift er — wie soll ich mich ausdrücken? —
die Bedürfnisse der wirklichen, lebendigen Gegenwart, und das ist bei ihm keines¬
wegs, wie Grigorowitsch sich einmal ausdrückte, ein Leberleiden, sondern die
Grundbedingung, die Wurzel seines Wesens. Alles in allem halte ich ihn für
nützlich; die Zukunft wird es lehren, ob ich Recht hatte."

Allmählich jedoch gelangte Turgenjew zu der Einsicht, daß die neue Schule
einem jähen Abgrunde zueile, in dem sie keinen Halt finden würde. Gegen feine
gemäßigten Freunde Tolstoj und Drusinin klagt er nicht selten, daß „der
Lovrkurjsnllill sich in schlechten Händen befinde," daß man sich bereits anschicke.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/410>, abgerufen am 22.07.2024.