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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Die Sebalds.

abzusprechen sein. Wenn es diesem pedantischen Buche -- was schwerlich zu
erwarten steht -- gelingen sollte, sich ein großes Publikum zu schaffen, so
müßte man eigentlich eine gute Meinung von der bei uns herrschenden Durch¬
schnittsbildung gewinnen, denn es macht nicht geringe Ansprüche an die Vor¬
bildung und ausdauernde Aufmerksamkeit des Lesers. In seiner Intention, in
dem Freimut, mit dem Jordan in einer mannichfach verworrenen Zeit das
Panier der Freiheit des Geistes von allem dogmatischen Kirchentum entfaltet,
das Ideal der vou allem Jesuitismus und Muckertum freien Forschung ver¬
teidigt und positiv nach einer Ausgleichung der Resultate der Naturwissenschaften
mit der unvergänglichen Ethik des Christentums strebt -- in dieser seiner Ten¬
denz können wir nicht anders als ihm Beifall zollen, und die religionsstif-
terischen Allüren, die er gegen den Schluß des Werkes annimmt, können uns als
leichtverzeihliche Begeisterung eines enthusiastischen Denkers erscheinen, der bei
allen seinen Marotten doch ein ehrliches Streben zeigt.

Die Sebalds sind ein uraltes, seit der Reformation in zwei Linien ge¬
teiltes Adelsgeschlecht. Die eine Linie ist die der Pastoren an der Sebaldus-
kirche in Oderburg (lebhaft an Frankfurt a. M. gemahnend); diese Pastoren
haben das adliche Prädikat abgelegt. Die zweite Linie, welche unter dem Ein¬
flüsse des Wiener Hofes im vorigen Jahrhundert katholisch geworden ist, ist die
der Grafen Sebald von Sebaldsheim. Die beiden Linien leben seitdem fast
feindlich. Auch hier tritt das von Gustav Frehtag eingeführte Motiv auf, in
einem Geschlechte die Schicksale des deutschen Volkes zu schildern. Und da es
in der Tendenz des Dichters liegt, die Versöhnung aller in unfruchtbar kon¬
fessionellen Hader liegenden Parteien durch die Bildung einer edleren, mit den
Resultaten der Wissenschaften harmonirenden, einheitlichen Weltanschauung zu
postuliren, so müssen natürlich die beiden einander entfremdeten Linien durch
eine Heirat versöhnt werden. Selbstverständlich versäumt der Darwiuist Jordan
nicht, verwandte Eigenschaften der aus einem Stamme herkommenden zwei Ge¬
schlechter angelegentlich hervorzuheben.

Der letzte Pastor Sebald an der Sebalduskirche in Oderburg steht stark
in dem Verdachte der Häresie bei dem orthodox lutherischen Konsistorium; er
wagt es sogar von der Kanzel herab seine neologischen Lehren zu verkünden.
So z. B. ist seine Anschauung von Christus die: "Was der Glaube im Laufe
der Jahrhunderte gethan hat, indem er den Sohn des Zimmermanns von Na-
zareth verwandelte in den allmächtigen und allwissenden Gott, das wiederhole
ich in wunderlvser, schlichterer Weise, indem ich ihn ans der Zcitenferne lebend
herübernehme in die Gegenwart und ihn zur Denkart seiner Sprüche ausstatte
mit aller Macht, aller Kunst, Wissenschaft und Weisheit, die uns inzwischen
hinzuerworben ward von sämtlichen Granden des Menschengeschlechtes. Und
dies Denkbild ist mehr als Phantasma. Es ist Dichtung, sofern es vor meinem
Schauen steht als die einzelne kolossale Menschengestalt des wiederbelebten Ge-


Die Sebalds.

abzusprechen sein. Wenn es diesem pedantischen Buche — was schwerlich zu
erwarten steht — gelingen sollte, sich ein großes Publikum zu schaffen, so
müßte man eigentlich eine gute Meinung von der bei uns herrschenden Durch¬
schnittsbildung gewinnen, denn es macht nicht geringe Ansprüche an die Vor¬
bildung und ausdauernde Aufmerksamkeit des Lesers. In seiner Intention, in
dem Freimut, mit dem Jordan in einer mannichfach verworrenen Zeit das
Panier der Freiheit des Geistes von allem dogmatischen Kirchentum entfaltet,
das Ideal der vou allem Jesuitismus und Muckertum freien Forschung ver¬
teidigt und positiv nach einer Ausgleichung der Resultate der Naturwissenschaften
mit der unvergänglichen Ethik des Christentums strebt — in dieser seiner Ten¬
denz können wir nicht anders als ihm Beifall zollen, und die religionsstif-
terischen Allüren, die er gegen den Schluß des Werkes annimmt, können uns als
leichtverzeihliche Begeisterung eines enthusiastischen Denkers erscheinen, der bei
allen seinen Marotten doch ein ehrliches Streben zeigt.

Die Sebalds sind ein uraltes, seit der Reformation in zwei Linien ge¬
teiltes Adelsgeschlecht. Die eine Linie ist die der Pastoren an der Sebaldus-
kirche in Oderburg (lebhaft an Frankfurt a. M. gemahnend); diese Pastoren
haben das adliche Prädikat abgelegt. Die zweite Linie, welche unter dem Ein¬
flüsse des Wiener Hofes im vorigen Jahrhundert katholisch geworden ist, ist die
der Grafen Sebald von Sebaldsheim. Die beiden Linien leben seitdem fast
feindlich. Auch hier tritt das von Gustav Frehtag eingeführte Motiv auf, in
einem Geschlechte die Schicksale des deutschen Volkes zu schildern. Und da es
in der Tendenz des Dichters liegt, die Versöhnung aller in unfruchtbar kon¬
fessionellen Hader liegenden Parteien durch die Bildung einer edleren, mit den
Resultaten der Wissenschaften harmonirenden, einheitlichen Weltanschauung zu
postuliren, so müssen natürlich die beiden einander entfremdeten Linien durch
eine Heirat versöhnt werden. Selbstverständlich versäumt der Darwiuist Jordan
nicht, verwandte Eigenschaften der aus einem Stamme herkommenden zwei Ge¬
schlechter angelegentlich hervorzuheben.

Der letzte Pastor Sebald an der Sebalduskirche in Oderburg steht stark
in dem Verdachte der Häresie bei dem orthodox lutherischen Konsistorium; er
wagt es sogar von der Kanzel herab seine neologischen Lehren zu verkünden.
So z. B. ist seine Anschauung von Christus die: „Was der Glaube im Laufe
der Jahrhunderte gethan hat, indem er den Sohn des Zimmermanns von Na-
zareth verwandelte in den allmächtigen und allwissenden Gott, das wiederhole
ich in wunderlvser, schlichterer Weise, indem ich ihn ans der Zcitenferne lebend
herübernehme in die Gegenwart und ihn zur Denkart seiner Sprüche ausstatte
mit aller Macht, aller Kunst, Wissenschaft und Weisheit, die uns inzwischen
hinzuerworben ward von sämtlichen Granden des Menschengeschlechtes. Und
dies Denkbild ist mehr als Phantasma. Es ist Dichtung, sofern es vor meinem
Schauen steht als die einzelne kolossale Menschengestalt des wiederbelebten Ge-


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[0037] Die Sebalds. abzusprechen sein. Wenn es diesem pedantischen Buche — was schwerlich zu erwarten steht — gelingen sollte, sich ein großes Publikum zu schaffen, so müßte man eigentlich eine gute Meinung von der bei uns herrschenden Durch¬ schnittsbildung gewinnen, denn es macht nicht geringe Ansprüche an die Vor¬ bildung und ausdauernde Aufmerksamkeit des Lesers. In seiner Intention, in dem Freimut, mit dem Jordan in einer mannichfach verworrenen Zeit das Panier der Freiheit des Geistes von allem dogmatischen Kirchentum entfaltet, das Ideal der vou allem Jesuitismus und Muckertum freien Forschung ver¬ teidigt und positiv nach einer Ausgleichung der Resultate der Naturwissenschaften mit der unvergänglichen Ethik des Christentums strebt — in dieser seiner Ten¬ denz können wir nicht anders als ihm Beifall zollen, und die religionsstif- terischen Allüren, die er gegen den Schluß des Werkes annimmt, können uns als leichtverzeihliche Begeisterung eines enthusiastischen Denkers erscheinen, der bei allen seinen Marotten doch ein ehrliches Streben zeigt. Die Sebalds sind ein uraltes, seit der Reformation in zwei Linien ge¬ teiltes Adelsgeschlecht. Die eine Linie ist die der Pastoren an der Sebaldus- kirche in Oderburg (lebhaft an Frankfurt a. M. gemahnend); diese Pastoren haben das adliche Prädikat abgelegt. Die zweite Linie, welche unter dem Ein¬ flüsse des Wiener Hofes im vorigen Jahrhundert katholisch geworden ist, ist die der Grafen Sebald von Sebaldsheim. Die beiden Linien leben seitdem fast feindlich. Auch hier tritt das von Gustav Frehtag eingeführte Motiv auf, in einem Geschlechte die Schicksale des deutschen Volkes zu schildern. Und da es in der Tendenz des Dichters liegt, die Versöhnung aller in unfruchtbar kon¬ fessionellen Hader liegenden Parteien durch die Bildung einer edleren, mit den Resultaten der Wissenschaften harmonirenden, einheitlichen Weltanschauung zu postuliren, so müssen natürlich die beiden einander entfremdeten Linien durch eine Heirat versöhnt werden. Selbstverständlich versäumt der Darwiuist Jordan nicht, verwandte Eigenschaften der aus einem Stamme herkommenden zwei Ge¬ schlechter angelegentlich hervorzuheben. Der letzte Pastor Sebald an der Sebalduskirche in Oderburg steht stark in dem Verdachte der Häresie bei dem orthodox lutherischen Konsistorium; er wagt es sogar von der Kanzel herab seine neologischen Lehren zu verkünden. So z. B. ist seine Anschauung von Christus die: „Was der Glaube im Laufe der Jahrhunderte gethan hat, indem er den Sohn des Zimmermanns von Na- zareth verwandelte in den allmächtigen und allwissenden Gott, das wiederhole ich in wunderlvser, schlichterer Weise, indem ich ihn ans der Zcitenferne lebend herübernehme in die Gegenwart und ihn zur Denkart seiner Sprüche ausstatte mit aller Macht, aller Kunst, Wissenschaft und Weisheit, die uns inzwischen hinzuerworben ward von sämtlichen Granden des Menschengeschlechtes. Und dies Denkbild ist mehr als Phantasma. Es ist Dichtung, sofern es vor meinem Schauen steht als die einzelne kolossale Menschengestalt des wiederbelebten Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/37>, abgerufen am 25.08.2024.