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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Die Ausdrucksmittel der Baukunst.

allgemeinen, sondern speziell diejenige der Rechtsidee erkennbar auszudrücken?
Im Brüsseler Justizpalast soll ferner der "Gedanke der Allgemeinheit und der
jedem ohne Unterschied zuteil werdenden Wohlthat der Jurisdiktion" glücklich
zum Ausdruck gebracht sein, und zwar -- die Form des Ausdrucks wird hier
etwas näher charakterisirt -- in "den wie ein paar gastlicher Arme hervor¬
tretenden Flügelbänder und in dem hohen, weitgeöffneten, leicht durch Stufen
erreichbaren Hauptportal." Die Vergleichung von stark vortretenden Flügel¬
bänder mit gastlich ausgestreckten Armen mag unter Umständen recht zutreffend
sein. Aber sollten Flügelbänder, die einen derartigen Eindruck machen, um
dieses Eindrucks willen sür die Bestimmung des JustizpalnsteS wirklich etwas
besonders Charakteristisches haben? An einem Gasthof, einem Hospital, einer
Rettungsanstalt könnten sie aus demselben Grunde doch anch für charakteristisch
gelten. Die großen Kolonnaden, die sich an die Fassade der Peterskirche an¬
schließen, sind auch mit Armen verglichen worden, welche die Kirche der Welt
entgegenstreckt. Ein Hauptportal aber, wie es oben bezeichnet ist, hoch, weit-
geöffnet, leicht durch Stufen erreichbar, wird an allen Gebäuden, die für Zwecke
des öffentlichen Lebens bestimmt sind, am Platze sein. Möglich, daß der
Brüsseler Justizpalast in der That dem Charakter seiner speziellen Bestimmung
in der ganze" äußern Erscheinung in hohem Grade entspricht; der Verfasser
jenes Artikels, ein so erfahrener und geschmackvoller Kenner der Kunst, wird
dies ohne Zweifel richtig empfunden haben. Was unser Bedenken erregt, ist
nur die Art, wie er sein Urteil begründet, wie er die Eigentümlichkeiten dieses
Bauwerkes interpretirt.

Begriffe wie die von ihm bezeichneten, deren wirkliche Verkörperung der
Architektur schlechterdings unmöglich ist, könnte man nur in allegorischen Sinne
zu ihr in direkte Beziehung bringen. Der architektonische Ausdruck müßte als
ein allegorischer aufgefaßt werden, ähnlich etwa, wie dies bei manchen mittel¬
alterlichen Schriftstellern der Fall ist, wenn sie der Kreuzgestalt der Kirche oder
den einzelnen Bestandteilen derselben, den Pfeilern, dem Gewölbe, dem Chor,
dem Portal die Bedeutung bestimmter dogmatischer oder ethischer Begriffe unter¬
legen. Eine solche allegorische Auffassung baulicher Formen hat freilich mit
dein künstlerischen Charakter derselben nichts zu schaffen; zu Vergleichungspunkten
für das, was die architektonischen Formen nach einer solchen Auffassung be¬
deuten sollen, müssen Merkmale derselben benutzt werden, die entweder künst¬
lerisch völlig gleichgiltig sind oder in der künstlerischen Erscheinung uur ganz
beiläufig mitsprechen.

Das alles ist sehr klar und liegt auf der Hand. Was aber wird durch
die Architektur wirklich ausgedrückt? So tief und mächtig die Wirkung eines
bedeutenden Bauwerkes ist, so schwer scheint es fast, diese Wirkung, wenn man
ihr ganz auf den Grund gehen will, zu analhsiren. Das Element, in welchem
die Baukunst schafft, sind bloße Linien, räumliche Verhältnisse, Massen. Ihre


Die Ausdrucksmittel der Baukunst.

allgemeinen, sondern speziell diejenige der Rechtsidee erkennbar auszudrücken?
Im Brüsseler Justizpalast soll ferner der „Gedanke der Allgemeinheit und der
jedem ohne Unterschied zuteil werdenden Wohlthat der Jurisdiktion" glücklich
zum Ausdruck gebracht sein, und zwar — die Form des Ausdrucks wird hier
etwas näher charakterisirt — in „den wie ein paar gastlicher Arme hervor¬
tretenden Flügelbänder und in dem hohen, weitgeöffneten, leicht durch Stufen
erreichbaren Hauptportal." Die Vergleichung von stark vortretenden Flügel¬
bänder mit gastlich ausgestreckten Armen mag unter Umständen recht zutreffend
sein. Aber sollten Flügelbänder, die einen derartigen Eindruck machen, um
dieses Eindrucks willen sür die Bestimmung des JustizpalnsteS wirklich etwas
besonders Charakteristisches haben? An einem Gasthof, einem Hospital, einer
Rettungsanstalt könnten sie aus demselben Grunde doch anch für charakteristisch
gelten. Die großen Kolonnaden, die sich an die Fassade der Peterskirche an¬
schließen, sind auch mit Armen verglichen worden, welche die Kirche der Welt
entgegenstreckt. Ein Hauptportal aber, wie es oben bezeichnet ist, hoch, weit-
geöffnet, leicht durch Stufen erreichbar, wird an allen Gebäuden, die für Zwecke
des öffentlichen Lebens bestimmt sind, am Platze sein. Möglich, daß der
Brüsseler Justizpalast in der That dem Charakter seiner speziellen Bestimmung
in der ganze» äußern Erscheinung in hohem Grade entspricht; der Verfasser
jenes Artikels, ein so erfahrener und geschmackvoller Kenner der Kunst, wird
dies ohne Zweifel richtig empfunden haben. Was unser Bedenken erregt, ist
nur die Art, wie er sein Urteil begründet, wie er die Eigentümlichkeiten dieses
Bauwerkes interpretirt.

Begriffe wie die von ihm bezeichneten, deren wirkliche Verkörperung der
Architektur schlechterdings unmöglich ist, könnte man nur in allegorischen Sinne
zu ihr in direkte Beziehung bringen. Der architektonische Ausdruck müßte als
ein allegorischer aufgefaßt werden, ähnlich etwa, wie dies bei manchen mittel¬
alterlichen Schriftstellern der Fall ist, wenn sie der Kreuzgestalt der Kirche oder
den einzelnen Bestandteilen derselben, den Pfeilern, dem Gewölbe, dem Chor,
dem Portal die Bedeutung bestimmter dogmatischer oder ethischer Begriffe unter¬
legen. Eine solche allegorische Auffassung baulicher Formen hat freilich mit
dein künstlerischen Charakter derselben nichts zu schaffen; zu Vergleichungspunkten
für das, was die architektonischen Formen nach einer solchen Auffassung be¬
deuten sollen, müssen Merkmale derselben benutzt werden, die entweder künst¬
lerisch völlig gleichgiltig sind oder in der künstlerischen Erscheinung uur ganz
beiläufig mitsprechen.

Das alles ist sehr klar und liegt auf der Hand. Was aber wird durch
die Architektur wirklich ausgedrückt? So tief und mächtig die Wirkung eines
bedeutenden Bauwerkes ist, so schwer scheint es fast, diese Wirkung, wenn man
ihr ganz auf den Grund gehen will, zu analhsiren. Das Element, in welchem
die Baukunst schafft, sind bloße Linien, räumliche Verhältnisse, Massen. Ihre


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[0368] Die Ausdrucksmittel der Baukunst. allgemeinen, sondern speziell diejenige der Rechtsidee erkennbar auszudrücken? Im Brüsseler Justizpalast soll ferner der „Gedanke der Allgemeinheit und der jedem ohne Unterschied zuteil werdenden Wohlthat der Jurisdiktion" glücklich zum Ausdruck gebracht sein, und zwar — die Form des Ausdrucks wird hier etwas näher charakterisirt — in „den wie ein paar gastlicher Arme hervor¬ tretenden Flügelbänder und in dem hohen, weitgeöffneten, leicht durch Stufen erreichbaren Hauptportal." Die Vergleichung von stark vortretenden Flügel¬ bänder mit gastlich ausgestreckten Armen mag unter Umständen recht zutreffend sein. Aber sollten Flügelbänder, die einen derartigen Eindruck machen, um dieses Eindrucks willen sür die Bestimmung des JustizpalnsteS wirklich etwas besonders Charakteristisches haben? An einem Gasthof, einem Hospital, einer Rettungsanstalt könnten sie aus demselben Grunde doch anch für charakteristisch gelten. Die großen Kolonnaden, die sich an die Fassade der Peterskirche an¬ schließen, sind auch mit Armen verglichen worden, welche die Kirche der Welt entgegenstreckt. Ein Hauptportal aber, wie es oben bezeichnet ist, hoch, weit- geöffnet, leicht durch Stufen erreichbar, wird an allen Gebäuden, die für Zwecke des öffentlichen Lebens bestimmt sind, am Platze sein. Möglich, daß der Brüsseler Justizpalast in der That dem Charakter seiner speziellen Bestimmung in der ganze» äußern Erscheinung in hohem Grade entspricht; der Verfasser jenes Artikels, ein so erfahrener und geschmackvoller Kenner der Kunst, wird dies ohne Zweifel richtig empfunden haben. Was unser Bedenken erregt, ist nur die Art, wie er sein Urteil begründet, wie er die Eigentümlichkeiten dieses Bauwerkes interpretirt. Begriffe wie die von ihm bezeichneten, deren wirkliche Verkörperung der Architektur schlechterdings unmöglich ist, könnte man nur in allegorischen Sinne zu ihr in direkte Beziehung bringen. Der architektonische Ausdruck müßte als ein allegorischer aufgefaßt werden, ähnlich etwa, wie dies bei manchen mittel¬ alterlichen Schriftstellern der Fall ist, wenn sie der Kreuzgestalt der Kirche oder den einzelnen Bestandteilen derselben, den Pfeilern, dem Gewölbe, dem Chor, dem Portal die Bedeutung bestimmter dogmatischer oder ethischer Begriffe unter¬ legen. Eine solche allegorische Auffassung baulicher Formen hat freilich mit dein künstlerischen Charakter derselben nichts zu schaffen; zu Vergleichungspunkten für das, was die architektonischen Formen nach einer solchen Auffassung be¬ deuten sollen, müssen Merkmale derselben benutzt werden, die entweder künst¬ lerisch völlig gleichgiltig sind oder in der künstlerischen Erscheinung uur ganz beiläufig mitsprechen. Das alles ist sehr klar und liegt auf der Hand. Was aber wird durch die Architektur wirklich ausgedrückt? So tief und mächtig die Wirkung eines bedeutenden Bauwerkes ist, so schwer scheint es fast, diese Wirkung, wenn man ihr ganz auf den Grund gehen will, zu analhsiren. Das Element, in welchem die Baukunst schafft, sind bloße Linien, räumliche Verhältnisse, Massen. Ihre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/368>, abgerufen am 22.07.2024.