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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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10 bis 12 Hufen, also 700 bis 800 Morgen, dann kann der Besitzer (aus¬
nahmsweise guten Boden oder sonst sehr günstige Verhältnisse abgerechnet)
allerdings nur noch als Bauer lebein Es giebt nun eine ziemliche Menge von
Gütern, die ein ähnliches Verhältnis darstellen, n:it deren Eigentümer, die
spottweise sogenannten "Sperlingsritter," gleichwohl auf Qualität und Lebensweise
von "Gutsbesitzern" nicht verzichten wollen; diese Klasse von Leuten ist, wie wir
in einem spätern Artikel sehen werden, für die politischen Verhältnisse der Provinz
dadurch von Erheblichkeit, daß sie den Kern der ostpreußischen Fortschrittspartei
bildet.

Das Wort "Bauer" ist bei den kleinern Grundbesitzern Ostpreußens nicht
beliebt; man erblickt in demselben eine Herabsetzung, eine geringschätzige Auf¬
fassung des kleinen Besitzes. Bekanntlich ist es schwer, gegen solche einmal
herkömmliche Meinungen etwas auszurichten, und alles Gewicht der dagegen
anzuführenden Gründe -- hier also von der stolzen Geltung, welche das Wort
"Bauer" anderswo hat -- ändert hieran nichts. Gleichwohl but Ostpreußen
eine Klasse von Leuten, welche nach Tradition, Lebensweise und Standes¬
bewußtsein ganz entschiedne "Bauern" im besten Wortsinne sind: die sogenannten
"kölnischen Besitzer" oder "Kölner," d. h. Inhaber eines mit kölnischen Recht
ausgestatteten, ursprünglich meist vier bis acht Hufen großen Gutes. Wenn der
deutsche Orden hundert Jahre lang relativ der prästatiousfühigste und am besten
polizirte Staat Europas war, so hatte dies feinen guten Grund, indem der
Bauer sowohl wie der Stadtbürger im Ordenslande damals ein geregeltes
Rechtsverhältnis fand wie nirgendswo sonst. Das volle bäuerliche Eigentums¬
recht aber, welches der Orden verlieh, hieß von der ältesten Ordcnslcmdschaft
"knlmisches" oder "Wunsches" Recht; die mit ihm Beliehenen mußten gewisse
militärische Leistungen sowie natürlich auch verschiedne Abgaben übernehmen,
waren aber sonst auf freiem, vererblichem Eigentum ansässig so gut wie die
Rittergutsbesitzer. Jetzt hat natürlich jede Nechtsbesonderheit der kölnischen
Güter längst aufgehört, aber das Wort ist noch durchaus lebendig, die
Kölner bilden noch heute, in vielen Kreisen wenigstens, eine gesellschaftlich sich
deutlich abscheidende Klasse von Leuten, und es ist überaus charakteristisch, daß,
wie die "Sperlingsritter" meist fortschrittlich, die Kölner in ihrer großen
Mehrzahl konservativ sind. Aber "Bauern" wollen auch sie nicht heißen, ja
sie erst recht nicht. Außer den Kölnern giebt es nun Wohl noch einen Stand
von Besitzern, den man anderswo als mittlere Bauern charakterisiren würde,
aber zahlreich und allgemein verbreitet ist er nicht, spielt auch nnr in wenige"
Kreisen eine erhebliche Rolle. Kleinbauer" hingegen hat die Provinz sehr zahlreich,
und nichts ist irriger als an ein allnuihlichcs Anfsnugcn derselben durch den
Großgrundbesitz zu denken. Hie und da mag es vorkommen, daß der käufliche
Boden in einem über das Wünschenswerte hinausgehenden Maße durch große
Besitzungen (insbesondre Fideikommisse) beschränkt ist, aber im allgemeinen fehlt


10 bis 12 Hufen, also 700 bis 800 Morgen, dann kann der Besitzer (aus¬
nahmsweise guten Boden oder sonst sehr günstige Verhältnisse abgerechnet)
allerdings nur noch als Bauer lebein Es giebt nun eine ziemliche Menge von
Gütern, die ein ähnliches Verhältnis darstellen, n:it deren Eigentümer, die
spottweise sogenannten „Sperlingsritter," gleichwohl auf Qualität und Lebensweise
von „Gutsbesitzern" nicht verzichten wollen; diese Klasse von Leuten ist, wie wir
in einem spätern Artikel sehen werden, für die politischen Verhältnisse der Provinz
dadurch von Erheblichkeit, daß sie den Kern der ostpreußischen Fortschrittspartei
bildet.

Das Wort „Bauer" ist bei den kleinern Grundbesitzern Ostpreußens nicht
beliebt; man erblickt in demselben eine Herabsetzung, eine geringschätzige Auf¬
fassung des kleinen Besitzes. Bekanntlich ist es schwer, gegen solche einmal
herkömmliche Meinungen etwas auszurichten, und alles Gewicht der dagegen
anzuführenden Gründe — hier also von der stolzen Geltung, welche das Wort
„Bauer" anderswo hat — ändert hieran nichts. Gleichwohl but Ostpreußen
eine Klasse von Leuten, welche nach Tradition, Lebensweise und Standes¬
bewußtsein ganz entschiedne „Bauern" im besten Wortsinne sind: die sogenannten
„kölnischen Besitzer" oder „Kölner," d. h. Inhaber eines mit kölnischen Recht
ausgestatteten, ursprünglich meist vier bis acht Hufen großen Gutes. Wenn der
deutsche Orden hundert Jahre lang relativ der prästatiousfühigste und am besten
polizirte Staat Europas war, so hatte dies feinen guten Grund, indem der
Bauer sowohl wie der Stadtbürger im Ordenslande damals ein geregeltes
Rechtsverhältnis fand wie nirgendswo sonst. Das volle bäuerliche Eigentums¬
recht aber, welches der Orden verlieh, hieß von der ältesten Ordcnslcmdschaft
„knlmisches" oder „Wunsches" Recht; die mit ihm Beliehenen mußten gewisse
militärische Leistungen sowie natürlich auch verschiedne Abgaben übernehmen,
waren aber sonst auf freiem, vererblichem Eigentum ansässig so gut wie die
Rittergutsbesitzer. Jetzt hat natürlich jede Nechtsbesonderheit der kölnischen
Güter längst aufgehört, aber das Wort ist noch durchaus lebendig, die
Kölner bilden noch heute, in vielen Kreisen wenigstens, eine gesellschaftlich sich
deutlich abscheidende Klasse von Leuten, und es ist überaus charakteristisch, daß,
wie die „Sperlingsritter" meist fortschrittlich, die Kölner in ihrer großen
Mehrzahl konservativ sind. Aber „Bauern" wollen auch sie nicht heißen, ja
sie erst recht nicht. Außer den Kölnern giebt es nun Wohl noch einen Stand
von Besitzern, den man anderswo als mittlere Bauern charakterisiren würde,
aber zahlreich und allgemein verbreitet ist er nicht, spielt auch nnr in wenige»
Kreisen eine erhebliche Rolle. Kleinbauer» hingegen hat die Provinz sehr zahlreich,
und nichts ist irriger als an ein allnuihlichcs Anfsnugcn derselben durch den
Großgrundbesitz zu denken. Hie und da mag es vorkommen, daß der käufliche
Boden in einem über das Wünschenswerte hinausgehenden Maße durch große
Besitzungen (insbesondre Fideikommisse) beschränkt ist, aber im allgemeinen fehlt


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[0343] 10 bis 12 Hufen, also 700 bis 800 Morgen, dann kann der Besitzer (aus¬ nahmsweise guten Boden oder sonst sehr günstige Verhältnisse abgerechnet) allerdings nur noch als Bauer lebein Es giebt nun eine ziemliche Menge von Gütern, die ein ähnliches Verhältnis darstellen, n:it deren Eigentümer, die spottweise sogenannten „Sperlingsritter," gleichwohl auf Qualität und Lebensweise von „Gutsbesitzern" nicht verzichten wollen; diese Klasse von Leuten ist, wie wir in einem spätern Artikel sehen werden, für die politischen Verhältnisse der Provinz dadurch von Erheblichkeit, daß sie den Kern der ostpreußischen Fortschrittspartei bildet. Das Wort „Bauer" ist bei den kleinern Grundbesitzern Ostpreußens nicht beliebt; man erblickt in demselben eine Herabsetzung, eine geringschätzige Auf¬ fassung des kleinen Besitzes. Bekanntlich ist es schwer, gegen solche einmal herkömmliche Meinungen etwas auszurichten, und alles Gewicht der dagegen anzuführenden Gründe — hier also von der stolzen Geltung, welche das Wort „Bauer" anderswo hat — ändert hieran nichts. Gleichwohl but Ostpreußen eine Klasse von Leuten, welche nach Tradition, Lebensweise und Standes¬ bewußtsein ganz entschiedne „Bauern" im besten Wortsinne sind: die sogenannten „kölnischen Besitzer" oder „Kölner," d. h. Inhaber eines mit kölnischen Recht ausgestatteten, ursprünglich meist vier bis acht Hufen großen Gutes. Wenn der deutsche Orden hundert Jahre lang relativ der prästatiousfühigste und am besten polizirte Staat Europas war, so hatte dies feinen guten Grund, indem der Bauer sowohl wie der Stadtbürger im Ordenslande damals ein geregeltes Rechtsverhältnis fand wie nirgendswo sonst. Das volle bäuerliche Eigentums¬ recht aber, welches der Orden verlieh, hieß von der ältesten Ordcnslcmdschaft „knlmisches" oder „Wunsches" Recht; die mit ihm Beliehenen mußten gewisse militärische Leistungen sowie natürlich auch verschiedne Abgaben übernehmen, waren aber sonst auf freiem, vererblichem Eigentum ansässig so gut wie die Rittergutsbesitzer. Jetzt hat natürlich jede Nechtsbesonderheit der kölnischen Güter längst aufgehört, aber das Wort ist noch durchaus lebendig, die Kölner bilden noch heute, in vielen Kreisen wenigstens, eine gesellschaftlich sich deutlich abscheidende Klasse von Leuten, und es ist überaus charakteristisch, daß, wie die „Sperlingsritter" meist fortschrittlich, die Kölner in ihrer großen Mehrzahl konservativ sind. Aber „Bauern" wollen auch sie nicht heißen, ja sie erst recht nicht. Außer den Kölnern giebt es nun Wohl noch einen Stand von Besitzern, den man anderswo als mittlere Bauern charakterisiren würde, aber zahlreich und allgemein verbreitet ist er nicht, spielt auch nnr in wenige» Kreisen eine erhebliche Rolle. Kleinbauer» hingegen hat die Provinz sehr zahlreich, und nichts ist irriger als an ein allnuihlichcs Anfsnugcn derselben durch den Großgrundbesitz zu denken. Hie und da mag es vorkommen, daß der käufliche Boden in einem über das Wünschenswerte hinausgehenden Maße durch große Besitzungen (insbesondre Fideikommisse) beschränkt ist, aber im allgemeinen fehlt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/343>, abgerufen am 22.07.2024.