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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Viel, der Frau Hugues genügt ihre Ansicht von seiner Schuld, die Justiz ar¬
beitet ihr nicht prompt genug, sie schießt deshalb ihren vermeintlichen Beleidiger
über den Haufen, bekennt diesen Mord ungenirt und wird von den Geschwornen
unter Beifallssalven freigesprochen! Wenn Sie nun, meine Herren Geschwo¬
renen, das nächstemal nach Verkündigung eines ähnlichen famosen Urteils beim
Austritt aus dem Sitzungszimmer von den Angehörigen des Getöteten mit
Revvlverschüssen empfangen werden, weil diese finden, daß die soeben von Ihnen
beschlossene Freisprechung des Mörders keine Sühne für den von ihm begangenen
Mord sei, weil sie der Ansicht sind, daß mau nicht zu seinein Rechte kommen
könne, lind daß Sie die Schuld an diesem Zustande tragen, wenn also neben
dem Mörder auch noch ein paar von Ihnen über den Haufen geschossen werden,
mit welchem Rechte wollen Sie die Schützen verurteilen? Welche begründete
Einwendung könnten Sie nach ihrem eignen Urteile dagegen machen, daß diese
Leute Ihnen einige Kugeln in den Leib jagen, weil ihnen Ihre Justiz nicht
Paßt? Diese Leute thun nichts andres als die von Ihnen soeben freigesprochene
Frau Hugues, ihre That ist die notwendige Folge Ihres eignen Urteils, und
es bleibt den Überlebenden unter Ihnen nichts übrig, als Ihren Schützen Bei¬
fall zu klatschen für die rasche Aneignung Ihrer Grundsätze und deren pünkt¬
liche Befolgung. Wenn die Gesellschaft darauf verzichtet, ihre Mitglieder gegen
den Mord zu schützen, so giebt sie jedem derselben den empfangenen Auftrag
hierzu in seine Hände zurück; jeder wird sich dann schützen, wie es ihm gut¬
dünkt, ein munteres Kreuzfeuer wird uns bald von der Zweckmäßigkeit dieses
Zustandes überzeugen.

Die Gesellschaft, sagt man, hat nicht das Recht zu töten, und wirft einen
triumphirenden Blick um sich, als ob man minder was gesagt hätte. Warum
denn nicht? Woher leitet sie denn das Recht ab, den Verbrecher einzusperren, ein
Recht, das ihr niemand bestreitet? Der Mörder, welcher durch das Gesetz ge¬
tötet wird, hat freiwillig seinen Kopf auf das Spiel gesetzt, er hat alle Mög¬
lichkeiten abgewogen, und es hat ihm gefallen, ihnen die Stirn zu bieten. Gleich¬
zeitig aber wie er freiwillig sein Leben auf das Spiel gesetzt hat, hat er auch
durch seinen selben Willen das Leben eines ungewarnten, nicht cinverstandneu
Andern ans das Spiel gesetzt, welcher sich freiwillig aus Achtung vor dem Ge¬
sellschaftsvertrag der Waffen begeben hat, welcher nichts zu gewinnen und nur
zu verlieren hat. Wie die Gesellschaft das Recht hat, einzusperren, so hat sie
auch das Recht, zu töten, so gut wie der vom Mörder angegriffene, um sich
gegen denselben zu verteidigen, und das Individuum übertrüge ihr dieses Recht
der Verteidigung gemindert um alles, was Leidenschaft, Zorn, persönliches Inter¬
esse demselben an Willkür beifügen könnten. Eben darum aber kann auch das
Individuum verlangen, daß die Gesellschaft der übernommenen Verpflichtung
zur Verteidigung nachkomme und daß demgemäß den Verbrecher die auf seinen
Rechtsbruch angedrohte Strafe auch in Wirklichkeit treffe.


Viel, der Frau Hugues genügt ihre Ansicht von seiner Schuld, die Justiz ar¬
beitet ihr nicht prompt genug, sie schießt deshalb ihren vermeintlichen Beleidiger
über den Haufen, bekennt diesen Mord ungenirt und wird von den Geschwornen
unter Beifallssalven freigesprochen! Wenn Sie nun, meine Herren Geschwo¬
renen, das nächstemal nach Verkündigung eines ähnlichen famosen Urteils beim
Austritt aus dem Sitzungszimmer von den Angehörigen des Getöteten mit
Revvlverschüssen empfangen werden, weil diese finden, daß die soeben von Ihnen
beschlossene Freisprechung des Mörders keine Sühne für den von ihm begangenen
Mord sei, weil sie der Ansicht sind, daß mau nicht zu seinein Rechte kommen
könne, lind daß Sie die Schuld an diesem Zustande tragen, wenn also neben
dem Mörder auch noch ein paar von Ihnen über den Haufen geschossen werden,
mit welchem Rechte wollen Sie die Schützen verurteilen? Welche begründete
Einwendung könnten Sie nach ihrem eignen Urteile dagegen machen, daß diese
Leute Ihnen einige Kugeln in den Leib jagen, weil ihnen Ihre Justiz nicht
Paßt? Diese Leute thun nichts andres als die von Ihnen soeben freigesprochene
Frau Hugues, ihre That ist die notwendige Folge Ihres eignen Urteils, und
es bleibt den Überlebenden unter Ihnen nichts übrig, als Ihren Schützen Bei¬
fall zu klatschen für die rasche Aneignung Ihrer Grundsätze und deren pünkt¬
liche Befolgung. Wenn die Gesellschaft darauf verzichtet, ihre Mitglieder gegen
den Mord zu schützen, so giebt sie jedem derselben den empfangenen Auftrag
hierzu in seine Hände zurück; jeder wird sich dann schützen, wie es ihm gut¬
dünkt, ein munteres Kreuzfeuer wird uns bald von der Zweckmäßigkeit dieses
Zustandes überzeugen.

Die Gesellschaft, sagt man, hat nicht das Recht zu töten, und wirft einen
triumphirenden Blick um sich, als ob man minder was gesagt hätte. Warum
denn nicht? Woher leitet sie denn das Recht ab, den Verbrecher einzusperren, ein
Recht, das ihr niemand bestreitet? Der Mörder, welcher durch das Gesetz ge¬
tötet wird, hat freiwillig seinen Kopf auf das Spiel gesetzt, er hat alle Mög¬
lichkeiten abgewogen, und es hat ihm gefallen, ihnen die Stirn zu bieten. Gleich¬
zeitig aber wie er freiwillig sein Leben auf das Spiel gesetzt hat, hat er auch
durch seinen selben Willen das Leben eines ungewarnten, nicht cinverstandneu
Andern ans das Spiel gesetzt, welcher sich freiwillig aus Achtung vor dem Ge¬
sellschaftsvertrag der Waffen begeben hat, welcher nichts zu gewinnen und nur
zu verlieren hat. Wie die Gesellschaft das Recht hat, einzusperren, so hat sie
auch das Recht, zu töten, so gut wie der vom Mörder angegriffene, um sich
gegen denselben zu verteidigen, und das Individuum übertrüge ihr dieses Recht
der Verteidigung gemindert um alles, was Leidenschaft, Zorn, persönliches Inter¬
esse demselben an Willkür beifügen könnten. Eben darum aber kann auch das
Individuum verlangen, daß die Gesellschaft der übernommenen Verpflichtung
zur Verteidigung nachkomme und daß demgemäß den Verbrecher die auf seinen
Rechtsbruch angedrohte Strafe auch in Wirklichkeit treffe.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/340>, abgerufen am 25.08.2024.