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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Die Herren Mörder.

strafung des schweren und des im Rückfall verübten Diebstahls. Die ordentliche
Strafe dieser Verbrechen besteht in Zuchthaus; den statistischen Zusammenstel¬
lungen für das Königreich Preußen zufolge wird jedoch bei schwerem Diebstahle
in den überwiegenden Fällen nicht auf Zuchthaus, sondern (unter Zulassung
mildernder Umstände) auf Gefängnis, bei Diebstahl im wiederholten Rückfalle
in etwas mehr als der Hälfte sämtlicher Fälle ebenso auf Gefängnis erkannt.

Es läßt sich gegen das Bestreben, keinen Angeklagten zu hart zu treffen,
an sich gewiß keine Einwendung machen, und die Richter werden ohne Zweifel
in jedem einzelnen Falle davon überzeugt sein, daß die gesamten Umstände des¬
selben der Art sind, daß sie ohne Härte von der Zulassung mildernder Um¬
stände nicht absehen zu können glauben. Trotzdem darf dieser Erwäguugsgrund
nicht maßgebend sein, wenn der Richter nicht gegen das Gesetz seinem eignen
Ermessen einen unzulässigen Einfluß auf die gesetzlich angedrohte Strafe ein¬
räumen will. Die Motive zum Strafgesetzbuch sagen bezüglich des Systems
der mildernden Umstände: "Hierdurch sollte dem Richter die Pflicht besondrer
Prüfung auferlegt werden, ob nicht, falls dem Gesetzgeber selbst die Umstände
des konkreten Falles vorgelegen hätten, eine mildere Strafbestimmung angeordnet
sein würde. An die bestimmte Hinweisung auf das Recht und die Pflicht dieser
Prüfung darf das Gesetz die Erwartung knüpfen, daß der gewissenhafte Richter
diese Prüfung nicht Unterlasten und, falls er von der ordentlichen Strafe ab¬
weicht, über die Gründe sich volle Rechenschaft geben werde. Der Entwurf
thut dasselbe dadurch, was andre Gesetzgebungen durch Aufnahme des Ausdrucks
"leichtere Fälle" zu erreichen suchen." An andrer Stelle der Motive wird die
Zulassung der mildernden Umstände als das "außerordentliche Milderungsrecht
des Richters" bezeichnet. Dasselbe muß also in allen den Fällen ausgeschlossen
bleiben, wo nicht ganz besondre Ausnahmeumstände zutreffen. Es kann im
einzelnen Falle bei Befolgung dieses Grundsatzes den Anschein gewinnen, als
ob die zu erkennende ordentliche Strafe den einzelnen Verbrecher zu hart treffe,
allein es darf eben nicht nur der einzelne Fall als solcher, sondern er muß als
Glied der ganzen Kette betrachtet werden, mit welcher das Unrecht das Recht
zu durchbrechen versucht, der einzelne Verbrecher muß als Mitglied der ganzen
gegen die Staatswohlfahrt arbeitenden Gesellschaft bekämpft und seine That
mit dem dieser Erwägung zufolge erforderlichen Nachdruck getroffen werden.
Der Richter ist also mich in dieser Beziehung an den Willen des Gesetzgebers
gebunden, und es kann zu gunsten der zu milden Praxis nicht geltend gemacht
werden, daß sich die Verhältnisse seit Erlassung des Strafgesetzbuches in einer
Weise geändert hätten, daß die Gesamtanschauung des Volkes bei einer jetzt zu
erlassenden Strafgesetzgebung die Festsetzung der Strafmaße in den aus der
gegenwärtigen Praxis der Rechtspflege zu ziehenden Grenzen für angemessen
erachten würde. Daß diese Anschauung nicht vorhanden ist, ergiebt sich wohl
am deutlichsten aus der schon obenerwähnten, nach sechsjähriger Wirksamkeit


Die Herren Mörder.

strafung des schweren und des im Rückfall verübten Diebstahls. Die ordentliche
Strafe dieser Verbrechen besteht in Zuchthaus; den statistischen Zusammenstel¬
lungen für das Königreich Preußen zufolge wird jedoch bei schwerem Diebstahle
in den überwiegenden Fällen nicht auf Zuchthaus, sondern (unter Zulassung
mildernder Umstände) auf Gefängnis, bei Diebstahl im wiederholten Rückfalle
in etwas mehr als der Hälfte sämtlicher Fälle ebenso auf Gefängnis erkannt.

Es läßt sich gegen das Bestreben, keinen Angeklagten zu hart zu treffen,
an sich gewiß keine Einwendung machen, und die Richter werden ohne Zweifel
in jedem einzelnen Falle davon überzeugt sein, daß die gesamten Umstände des¬
selben der Art sind, daß sie ohne Härte von der Zulassung mildernder Um¬
stände nicht absehen zu können glauben. Trotzdem darf dieser Erwäguugsgrund
nicht maßgebend sein, wenn der Richter nicht gegen das Gesetz seinem eignen
Ermessen einen unzulässigen Einfluß auf die gesetzlich angedrohte Strafe ein¬
räumen will. Die Motive zum Strafgesetzbuch sagen bezüglich des Systems
der mildernden Umstände: „Hierdurch sollte dem Richter die Pflicht besondrer
Prüfung auferlegt werden, ob nicht, falls dem Gesetzgeber selbst die Umstände
des konkreten Falles vorgelegen hätten, eine mildere Strafbestimmung angeordnet
sein würde. An die bestimmte Hinweisung auf das Recht und die Pflicht dieser
Prüfung darf das Gesetz die Erwartung knüpfen, daß der gewissenhafte Richter
diese Prüfung nicht Unterlasten und, falls er von der ordentlichen Strafe ab¬
weicht, über die Gründe sich volle Rechenschaft geben werde. Der Entwurf
thut dasselbe dadurch, was andre Gesetzgebungen durch Aufnahme des Ausdrucks
»leichtere Fälle« zu erreichen suchen." An andrer Stelle der Motive wird die
Zulassung der mildernden Umstände als das „außerordentliche Milderungsrecht
des Richters" bezeichnet. Dasselbe muß also in allen den Fällen ausgeschlossen
bleiben, wo nicht ganz besondre Ausnahmeumstände zutreffen. Es kann im
einzelnen Falle bei Befolgung dieses Grundsatzes den Anschein gewinnen, als
ob die zu erkennende ordentliche Strafe den einzelnen Verbrecher zu hart treffe,
allein es darf eben nicht nur der einzelne Fall als solcher, sondern er muß als
Glied der ganzen Kette betrachtet werden, mit welcher das Unrecht das Recht
zu durchbrechen versucht, der einzelne Verbrecher muß als Mitglied der ganzen
gegen die Staatswohlfahrt arbeitenden Gesellschaft bekämpft und seine That
mit dem dieser Erwägung zufolge erforderlichen Nachdruck getroffen werden.
Der Richter ist also mich in dieser Beziehung an den Willen des Gesetzgebers
gebunden, und es kann zu gunsten der zu milden Praxis nicht geltend gemacht
werden, daß sich die Verhältnisse seit Erlassung des Strafgesetzbuches in einer
Weise geändert hätten, daß die Gesamtanschauung des Volkes bei einer jetzt zu
erlassenden Strafgesetzgebung die Festsetzung der Strafmaße in den aus der
gegenwärtigen Praxis der Rechtspflege zu ziehenden Grenzen für angemessen
erachten würde. Daß diese Anschauung nicht vorhanden ist, ergiebt sich wohl
am deutlichsten aus der schon obenerwähnten, nach sechsjähriger Wirksamkeit


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[0336] Die Herren Mörder. strafung des schweren und des im Rückfall verübten Diebstahls. Die ordentliche Strafe dieser Verbrechen besteht in Zuchthaus; den statistischen Zusammenstel¬ lungen für das Königreich Preußen zufolge wird jedoch bei schwerem Diebstahle in den überwiegenden Fällen nicht auf Zuchthaus, sondern (unter Zulassung mildernder Umstände) auf Gefängnis, bei Diebstahl im wiederholten Rückfalle in etwas mehr als der Hälfte sämtlicher Fälle ebenso auf Gefängnis erkannt. Es läßt sich gegen das Bestreben, keinen Angeklagten zu hart zu treffen, an sich gewiß keine Einwendung machen, und die Richter werden ohne Zweifel in jedem einzelnen Falle davon überzeugt sein, daß die gesamten Umstände des¬ selben der Art sind, daß sie ohne Härte von der Zulassung mildernder Um¬ stände nicht absehen zu können glauben. Trotzdem darf dieser Erwäguugsgrund nicht maßgebend sein, wenn der Richter nicht gegen das Gesetz seinem eignen Ermessen einen unzulässigen Einfluß auf die gesetzlich angedrohte Strafe ein¬ räumen will. Die Motive zum Strafgesetzbuch sagen bezüglich des Systems der mildernden Umstände: „Hierdurch sollte dem Richter die Pflicht besondrer Prüfung auferlegt werden, ob nicht, falls dem Gesetzgeber selbst die Umstände des konkreten Falles vorgelegen hätten, eine mildere Strafbestimmung angeordnet sein würde. An die bestimmte Hinweisung auf das Recht und die Pflicht dieser Prüfung darf das Gesetz die Erwartung knüpfen, daß der gewissenhafte Richter diese Prüfung nicht Unterlasten und, falls er von der ordentlichen Strafe ab¬ weicht, über die Gründe sich volle Rechenschaft geben werde. Der Entwurf thut dasselbe dadurch, was andre Gesetzgebungen durch Aufnahme des Ausdrucks »leichtere Fälle« zu erreichen suchen." An andrer Stelle der Motive wird die Zulassung der mildernden Umstände als das „außerordentliche Milderungsrecht des Richters" bezeichnet. Dasselbe muß also in allen den Fällen ausgeschlossen bleiben, wo nicht ganz besondre Ausnahmeumstände zutreffen. Es kann im einzelnen Falle bei Befolgung dieses Grundsatzes den Anschein gewinnen, als ob die zu erkennende ordentliche Strafe den einzelnen Verbrecher zu hart treffe, allein es darf eben nicht nur der einzelne Fall als solcher, sondern er muß als Glied der ganzen Kette betrachtet werden, mit welcher das Unrecht das Recht zu durchbrechen versucht, der einzelne Verbrecher muß als Mitglied der ganzen gegen die Staatswohlfahrt arbeitenden Gesellschaft bekämpft und seine That mit dem dieser Erwägung zufolge erforderlichen Nachdruck getroffen werden. Der Richter ist also mich in dieser Beziehung an den Willen des Gesetzgebers gebunden, und es kann zu gunsten der zu milden Praxis nicht geltend gemacht werden, daß sich die Verhältnisse seit Erlassung des Strafgesetzbuches in einer Weise geändert hätten, daß die Gesamtanschauung des Volkes bei einer jetzt zu erlassenden Strafgesetzgebung die Festsetzung der Strafmaße in den aus der gegenwärtigen Praxis der Rechtspflege zu ziehenden Grenzen für angemessen erachten würde. Daß diese Anschauung nicht vorhanden ist, ergiebt sich wohl am deutlichsten aus der schon obenerwähnten, nach sechsjähriger Wirksamkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/336>, abgerufen am 22.07.2024.