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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Fromme Wünsche in akademischen Angelegenheiten.

haben Akademien, die mehr oder minder vom häßlichsten Cliqnentnm beherrscht
sind. Es hat sich endlich in den letzten Jahrzehnten in den unteren Kreisen
unsrer Gclehrtenrepubliken ein Streberwesen ausgebildet, welches in andern Be¬
rufskreisen schon anekelnd genug berühren würde, hier aber umsomehr Verdruß
und Widerwillen erweckt, als man glauben möchte, Umgang mit so hohen Dingen,
wie Wahrheit und Wissen, müsse veredeln, wahrhaftig, ehrlich und vornehm
machen.

Diesen Eindruck hinterläßt eine kleine Schrift, welche den Titel Die aka¬
demische Karriere der Gegenwart (Leipzig, W. Friedrich) trägt und von
einem Anonymus herrührt, der durchweg als Sachkenner erscheint, und der die
Erfahrungen, die in seiner Darstellung verarbeitet sind, vorzüglich in Tübingen
und andern süddeutschen Universitäten gesammelt hat. Indes könnten die Be¬
obachtungen, die er mitteilt, und die Bilder vou Personen und Zuständen,
mit denen er seine Beweisführung illustrirt, mich in Norddeutschland und uicht
bloß in kleinen Universitätsstädten ihre Seitenstücke haben. Denn überall herrscht
anch hier dieselbe Einrichtung und derselbe Geist, und andrerseits ist es dem
Verfasser offenbar nicht darum zu thun, bestimmte Personen an den Pranger
zu stellen, sondern darum, ans die allgemeinen Verhältnisse, die Typen der Zunft
hinzuweisen und den Wunsch zu erwecken, daß hier Wandel geschafft werde,
no rvLMdUvg, <mia "Zetrimtmti vaMt-. Seine Schrift ist mit andern Worten
kein Libell, kein Pamphlet, sondern ein wohlbegründeter Mahnruf, daß hier eine
Reform notthue, und wir dürfen uns freuen, daß sie rasch eine zweite Auf¬
lage erlebt hat, ihr weitere Verbreitung wünschen und, indem wir uns ihren
Ausführungen, denen sich noch mancher Beleg einschalten ließe, und an denen
Ulan uur zwei oder drei mehr für die gewöhnliche Unterhaltung als süe Bücher
geeignete Ausdrücke tadeln kaun, inhaltlich durchweg anschließen, uus der
Hoffnung hingeben, daß ihre Vorschläge zur Abhilfe bei den Regierungen ein
geneigtes Ohr finden und zu Thaten anregen werden. Es ist die Wahrheit,
die hier einmal gesagt wird, und die Wahrheit thut zuweilen weh; aber viel¬
leicht mehr als in vielen andern Fällen gilt hier der Spruch: "Die Wahrheit
wird euch frei machen." Er gilt nicht mir von den durch veraltete Einrich¬
tungen gedrückten, gehemmten lind auf entsittlichende Wege hingewiesenen jün¬
geren Dozenten, sondern auch von den bis jetzt unantastbaren Bedrückern und
Schädigern, die in dieser Eigenschaft zum Teil weniger schuld an dem ge¬
dachten Unwesen sind als jene Einrichtungen.

Der Offizier, der Jurist, der Lehrer an mittleren und unteren Unterrichts-
anstalten rückt von selbst nach und nach an die seiner Befähigung entsprechende
Stelle empor. Der akademische Dozent bedarf dazu der Gunst einflußreicher
Ordinarien. Daher die Menge von Strebern der verschiedensten Gattungen,
mit deren Manipulationen uns der Verfasser im ersten Abschnitte bekannt macht.
Schon die Habilitirung ist mit Weitläufigkeiten und Schwierigkeiten verknüpft,


Fromme Wünsche in akademischen Angelegenheiten.

haben Akademien, die mehr oder minder vom häßlichsten Cliqnentnm beherrscht
sind. Es hat sich endlich in den letzten Jahrzehnten in den unteren Kreisen
unsrer Gclehrtenrepubliken ein Streberwesen ausgebildet, welches in andern Be¬
rufskreisen schon anekelnd genug berühren würde, hier aber umsomehr Verdruß
und Widerwillen erweckt, als man glauben möchte, Umgang mit so hohen Dingen,
wie Wahrheit und Wissen, müsse veredeln, wahrhaftig, ehrlich und vornehm
machen.

Diesen Eindruck hinterläßt eine kleine Schrift, welche den Titel Die aka¬
demische Karriere der Gegenwart (Leipzig, W. Friedrich) trägt und von
einem Anonymus herrührt, der durchweg als Sachkenner erscheint, und der die
Erfahrungen, die in seiner Darstellung verarbeitet sind, vorzüglich in Tübingen
und andern süddeutschen Universitäten gesammelt hat. Indes könnten die Be¬
obachtungen, die er mitteilt, und die Bilder vou Personen und Zuständen,
mit denen er seine Beweisführung illustrirt, mich in Norddeutschland und uicht
bloß in kleinen Universitätsstädten ihre Seitenstücke haben. Denn überall herrscht
anch hier dieselbe Einrichtung und derselbe Geist, und andrerseits ist es dem
Verfasser offenbar nicht darum zu thun, bestimmte Personen an den Pranger
zu stellen, sondern darum, ans die allgemeinen Verhältnisse, die Typen der Zunft
hinzuweisen und den Wunsch zu erwecken, daß hier Wandel geschafft werde,
no rvLMdUvg, <mia «Zetrimtmti vaMt-. Seine Schrift ist mit andern Worten
kein Libell, kein Pamphlet, sondern ein wohlbegründeter Mahnruf, daß hier eine
Reform notthue, und wir dürfen uns freuen, daß sie rasch eine zweite Auf¬
lage erlebt hat, ihr weitere Verbreitung wünschen und, indem wir uns ihren
Ausführungen, denen sich noch mancher Beleg einschalten ließe, und an denen
Ulan uur zwei oder drei mehr für die gewöhnliche Unterhaltung als süe Bücher
geeignete Ausdrücke tadeln kaun, inhaltlich durchweg anschließen, uus der
Hoffnung hingeben, daß ihre Vorschläge zur Abhilfe bei den Regierungen ein
geneigtes Ohr finden und zu Thaten anregen werden. Es ist die Wahrheit,
die hier einmal gesagt wird, und die Wahrheit thut zuweilen weh; aber viel¬
leicht mehr als in vielen andern Fällen gilt hier der Spruch: „Die Wahrheit
wird euch frei machen." Er gilt nicht mir von den durch veraltete Einrich¬
tungen gedrückten, gehemmten lind auf entsittlichende Wege hingewiesenen jün¬
geren Dozenten, sondern auch von den bis jetzt unantastbaren Bedrückern und
Schädigern, die in dieser Eigenschaft zum Teil weniger schuld an dem ge¬
dachten Unwesen sind als jene Einrichtungen.

Der Offizier, der Jurist, der Lehrer an mittleren und unteren Unterrichts-
anstalten rückt von selbst nach und nach an die seiner Befähigung entsprechende
Stelle empor. Der akademische Dozent bedarf dazu der Gunst einflußreicher
Ordinarien. Daher die Menge von Strebern der verschiedensten Gattungen,
mit deren Manipulationen uns der Verfasser im ersten Abschnitte bekannt macht.
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[0320] Fromme Wünsche in akademischen Angelegenheiten. haben Akademien, die mehr oder minder vom häßlichsten Cliqnentnm beherrscht sind. Es hat sich endlich in den letzten Jahrzehnten in den unteren Kreisen unsrer Gclehrtenrepubliken ein Streberwesen ausgebildet, welches in andern Be¬ rufskreisen schon anekelnd genug berühren würde, hier aber umsomehr Verdruß und Widerwillen erweckt, als man glauben möchte, Umgang mit so hohen Dingen, wie Wahrheit und Wissen, müsse veredeln, wahrhaftig, ehrlich und vornehm machen. Diesen Eindruck hinterläßt eine kleine Schrift, welche den Titel Die aka¬ demische Karriere der Gegenwart (Leipzig, W. Friedrich) trägt und von einem Anonymus herrührt, der durchweg als Sachkenner erscheint, und der die Erfahrungen, die in seiner Darstellung verarbeitet sind, vorzüglich in Tübingen und andern süddeutschen Universitäten gesammelt hat. Indes könnten die Be¬ obachtungen, die er mitteilt, und die Bilder vou Personen und Zuständen, mit denen er seine Beweisführung illustrirt, mich in Norddeutschland und uicht bloß in kleinen Universitätsstädten ihre Seitenstücke haben. Denn überall herrscht anch hier dieselbe Einrichtung und derselbe Geist, und andrerseits ist es dem Verfasser offenbar nicht darum zu thun, bestimmte Personen an den Pranger zu stellen, sondern darum, ans die allgemeinen Verhältnisse, die Typen der Zunft hinzuweisen und den Wunsch zu erwecken, daß hier Wandel geschafft werde, no rvLMdUvg, <mia «Zetrimtmti vaMt-. Seine Schrift ist mit andern Worten kein Libell, kein Pamphlet, sondern ein wohlbegründeter Mahnruf, daß hier eine Reform notthue, und wir dürfen uns freuen, daß sie rasch eine zweite Auf¬ lage erlebt hat, ihr weitere Verbreitung wünschen und, indem wir uns ihren Ausführungen, denen sich noch mancher Beleg einschalten ließe, und an denen Ulan uur zwei oder drei mehr für die gewöhnliche Unterhaltung als süe Bücher geeignete Ausdrücke tadeln kaun, inhaltlich durchweg anschließen, uus der Hoffnung hingeben, daß ihre Vorschläge zur Abhilfe bei den Regierungen ein geneigtes Ohr finden und zu Thaten anregen werden. Es ist die Wahrheit, die hier einmal gesagt wird, und die Wahrheit thut zuweilen weh; aber viel¬ leicht mehr als in vielen andern Fällen gilt hier der Spruch: „Die Wahrheit wird euch frei machen." Er gilt nicht mir von den durch veraltete Einrich¬ tungen gedrückten, gehemmten lind auf entsittlichende Wege hingewiesenen jün¬ geren Dozenten, sondern auch von den bis jetzt unantastbaren Bedrückern und Schädigern, die in dieser Eigenschaft zum Teil weniger schuld an dem ge¬ dachten Unwesen sind als jene Einrichtungen. Der Offizier, der Jurist, der Lehrer an mittleren und unteren Unterrichts- anstalten rückt von selbst nach und nach an die seiner Befähigung entsprechende Stelle empor. Der akademische Dozent bedarf dazu der Gunst einflußreicher Ordinarien. Daher die Menge von Strebern der verschiedensten Gattungen, mit deren Manipulationen uns der Verfasser im ersten Abschnitte bekannt macht. Schon die Habilitirung ist mit Weitläufigkeiten und Schwierigkeiten verknüpft,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/320>, abgerufen am 25.08.2024.