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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments.

"Die heutige Vvrmittagssitzung, muß er am 14. Mai berichten, war sehr
bewegt. Es haben gestern Abend in einigen Restaurationen häßliche Exzesse
stattgefunden, wobei mehrere Zivilisten durch österreichische Soldaten schwer ver¬
wundet worden sind. Die Linke des Hauses verlangte nun die Entfernung der
österreichischen Truppen aus Frankfurt, drang aber nicht sofort durch, weshalb
nachmittags wieder Sitzung stattfindet. Die Parteien in der Paulskirche stehen
sich jetzt fast ganz gleich. Bei einer Abstimmung von heute früh waren
147 für und 147 gegen die Sache. Ich bin voll Unlust über das ganze
Treiben und wünsche den Schluß sehnlich herbei. . . . Jedenfalls kommt es schon
in den nächsten Tagen zur Entscheidung, wenn auch nicht zum Schlüsse der
Nationalversammlung. Durch den Telegraphen ist dem Reichsverweser bereits
von Berlin die Kunde geworden, daß ein preußischer Bevollmächtigter nach
Frankfurt unterwegs sei. Gewiß überbringt er die endlichen Entschließungen
des preußischen Kabinets. Eher werden wir auch nicht erfahren, welche Männer
der Reichsverweser zu Ministern gemacht hat. Fertig ist das Ministerium.
Alles ist voll Ungeduld.

Schon greift die Republik ans Rheinbaiern gewaltig nach Baden hinüber.
In Rastatt haben sich die Truppen erhoben (9. Mai); die gegen sie ausgesandte
Streitmacht ist großenteils zu ihnen übergegangen. Ich glaube aber doch an
keinen Sieg der Republik; nur blutige Kämpfe halte ich zumal im westlichen
Deutschland für unvermeidlich. Auch in Sachsen scheint die Verwirrung uoch
nicht beendet zu sein. Nach allem, was man jetzt erfährt, muß man Gott
danken, daß der Aufstand in Dresden nicht gelungen ist."

Trotz des bedenklichen Charakters der pfälzischen Erhebung beschloß doch am
15. Mai das Haus, nachdem es den ausführlichen Bericht des Rcichskvmmissars
Eisenstück über die dortigen Verhältnisse entgegengenommen hatte, der überall her¬
vorhob, die Pfälzer wollten nichts als die Verwirklichung der Reichsverfassung,
die Pfalz unter den Schutz des Reiches zu stellen. Der Bruch mit deu Re¬
gierungen war damit nicht minder scharf markirt, wie in dem früheren, das
Verfahren Preußens in Sachsen betreffenden Beschlusse. Am nächsten Tage
(16. Mai) erfuhr man die Antwort der preußischen Regierung; durch Ver¬
ordnung vom 14. Mai rief sie die preußischen Abgeordneten aus Frankfurt ab.
Daß das Parlament diese Weisung mit 287 gegen 2 Stimmen für unver¬
bindlich erklärte, konnte daran kaum etwas ändern; in Wahrheit empfing damit
die Nationalversammlung den entscheidenden Stoß.

Gleichzeitig brach ihr lange verhüllter Gegensatz zum Reichsverweser offen
hervor: er stellte ihr das Ministerium Grävell (von der äußersten Rechten)
gegenüber. "Die gestrige Sitzung, berichtet N. darüber am 17. Mai, wird mir
unvergeßlich bleiben. Der Reichsverweser hatte endlich ein Ministerium zu stände
gebracht; dasselbe fand aber, als es in der Person des alten or. Grüvcll (von
Frankfurt a. O.) sich präsentirte, eine Aufnahme, wie wohl noch nie ein Mimi-


Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments.

„Die heutige Vvrmittagssitzung, muß er am 14. Mai berichten, war sehr
bewegt. Es haben gestern Abend in einigen Restaurationen häßliche Exzesse
stattgefunden, wobei mehrere Zivilisten durch österreichische Soldaten schwer ver¬
wundet worden sind. Die Linke des Hauses verlangte nun die Entfernung der
österreichischen Truppen aus Frankfurt, drang aber nicht sofort durch, weshalb
nachmittags wieder Sitzung stattfindet. Die Parteien in der Paulskirche stehen
sich jetzt fast ganz gleich. Bei einer Abstimmung von heute früh waren
147 für und 147 gegen die Sache. Ich bin voll Unlust über das ganze
Treiben und wünsche den Schluß sehnlich herbei. . . . Jedenfalls kommt es schon
in den nächsten Tagen zur Entscheidung, wenn auch nicht zum Schlüsse der
Nationalversammlung. Durch den Telegraphen ist dem Reichsverweser bereits
von Berlin die Kunde geworden, daß ein preußischer Bevollmächtigter nach
Frankfurt unterwegs sei. Gewiß überbringt er die endlichen Entschließungen
des preußischen Kabinets. Eher werden wir auch nicht erfahren, welche Männer
der Reichsverweser zu Ministern gemacht hat. Fertig ist das Ministerium.
Alles ist voll Ungeduld.

Schon greift die Republik ans Rheinbaiern gewaltig nach Baden hinüber.
In Rastatt haben sich die Truppen erhoben (9. Mai); die gegen sie ausgesandte
Streitmacht ist großenteils zu ihnen übergegangen. Ich glaube aber doch an
keinen Sieg der Republik; nur blutige Kämpfe halte ich zumal im westlichen
Deutschland für unvermeidlich. Auch in Sachsen scheint die Verwirrung uoch
nicht beendet zu sein. Nach allem, was man jetzt erfährt, muß man Gott
danken, daß der Aufstand in Dresden nicht gelungen ist."

Trotz des bedenklichen Charakters der pfälzischen Erhebung beschloß doch am
15. Mai das Haus, nachdem es den ausführlichen Bericht des Rcichskvmmissars
Eisenstück über die dortigen Verhältnisse entgegengenommen hatte, der überall her¬
vorhob, die Pfälzer wollten nichts als die Verwirklichung der Reichsverfassung,
die Pfalz unter den Schutz des Reiches zu stellen. Der Bruch mit deu Re¬
gierungen war damit nicht minder scharf markirt, wie in dem früheren, das
Verfahren Preußens in Sachsen betreffenden Beschlusse. Am nächsten Tage
(16. Mai) erfuhr man die Antwort der preußischen Regierung; durch Ver¬
ordnung vom 14. Mai rief sie die preußischen Abgeordneten aus Frankfurt ab.
Daß das Parlament diese Weisung mit 287 gegen 2 Stimmen für unver¬
bindlich erklärte, konnte daran kaum etwas ändern; in Wahrheit empfing damit
die Nationalversammlung den entscheidenden Stoß.

Gleichzeitig brach ihr lange verhüllter Gegensatz zum Reichsverweser offen
hervor: er stellte ihr das Ministerium Grävell (von der äußersten Rechten)
gegenüber. „Die gestrige Sitzung, berichtet N. darüber am 17. Mai, wird mir
unvergeßlich bleiben. Der Reichsverweser hatte endlich ein Ministerium zu stände
gebracht; dasselbe fand aber, als es in der Person des alten or. Grüvcll (von
Frankfurt a. O.) sich präsentirte, eine Aufnahme, wie wohl noch nie ein Mimi-


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[0305] Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments. „Die heutige Vvrmittagssitzung, muß er am 14. Mai berichten, war sehr bewegt. Es haben gestern Abend in einigen Restaurationen häßliche Exzesse stattgefunden, wobei mehrere Zivilisten durch österreichische Soldaten schwer ver¬ wundet worden sind. Die Linke des Hauses verlangte nun die Entfernung der österreichischen Truppen aus Frankfurt, drang aber nicht sofort durch, weshalb nachmittags wieder Sitzung stattfindet. Die Parteien in der Paulskirche stehen sich jetzt fast ganz gleich. Bei einer Abstimmung von heute früh waren 147 für und 147 gegen die Sache. Ich bin voll Unlust über das ganze Treiben und wünsche den Schluß sehnlich herbei. . . . Jedenfalls kommt es schon in den nächsten Tagen zur Entscheidung, wenn auch nicht zum Schlüsse der Nationalversammlung. Durch den Telegraphen ist dem Reichsverweser bereits von Berlin die Kunde geworden, daß ein preußischer Bevollmächtigter nach Frankfurt unterwegs sei. Gewiß überbringt er die endlichen Entschließungen des preußischen Kabinets. Eher werden wir auch nicht erfahren, welche Männer der Reichsverweser zu Ministern gemacht hat. Fertig ist das Ministerium. Alles ist voll Ungeduld. Schon greift die Republik ans Rheinbaiern gewaltig nach Baden hinüber. In Rastatt haben sich die Truppen erhoben (9. Mai); die gegen sie ausgesandte Streitmacht ist großenteils zu ihnen übergegangen. Ich glaube aber doch an keinen Sieg der Republik; nur blutige Kämpfe halte ich zumal im westlichen Deutschland für unvermeidlich. Auch in Sachsen scheint die Verwirrung uoch nicht beendet zu sein. Nach allem, was man jetzt erfährt, muß man Gott danken, daß der Aufstand in Dresden nicht gelungen ist." Trotz des bedenklichen Charakters der pfälzischen Erhebung beschloß doch am 15. Mai das Haus, nachdem es den ausführlichen Bericht des Rcichskvmmissars Eisenstück über die dortigen Verhältnisse entgegengenommen hatte, der überall her¬ vorhob, die Pfälzer wollten nichts als die Verwirklichung der Reichsverfassung, die Pfalz unter den Schutz des Reiches zu stellen. Der Bruch mit deu Re¬ gierungen war damit nicht minder scharf markirt, wie in dem früheren, das Verfahren Preußens in Sachsen betreffenden Beschlusse. Am nächsten Tage (16. Mai) erfuhr man die Antwort der preußischen Regierung; durch Ver¬ ordnung vom 14. Mai rief sie die preußischen Abgeordneten aus Frankfurt ab. Daß das Parlament diese Weisung mit 287 gegen 2 Stimmen für unver¬ bindlich erklärte, konnte daran kaum etwas ändern; in Wahrheit empfing damit die Nationalversammlung den entscheidenden Stoß. Gleichzeitig brach ihr lange verhüllter Gegensatz zum Reichsverweser offen hervor: er stellte ihr das Ministerium Grävell (von der äußersten Rechten) gegenüber. „Die gestrige Sitzung, berichtet N. darüber am 17. Mai, wird mir unvergeßlich bleiben. Der Reichsverweser hatte endlich ein Ministerium zu stände gebracht; dasselbe fand aber, als es in der Person des alten or. Grüvcll (von Frankfurt a. O.) sich präsentirte, eine Aufnahme, wie wohl noch nie ein Mimi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/305>, abgerufen am 22.07.2024.