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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Bestrebungen für eine wissenschaftliche Landeskunde Deutschlands.

Nicht minder interessant als die Thätigkeit der Zentralkommission erscheint
die Arbeit der einzelnen Vereine in ihren Spezialstudien über Land und Volk
ihres Bezirkes. So bringt der besonders rührige Hallische Verein in der letzten
Nummer seiner Zeitschrift Abhandlungen über die Hnrzdialekte, über das Unstrut-
becken und über einen Fragebogen, den zwei landeskundige Lehrer ausgeschickt
haben, um die ersterbenden Reste von Sitte und Brauch im Volksleben zu
sammeln. An solche Publikationen war früher garnicht zu denken; sie zeigen
auch in wissenschaftlichen Dingen, daß ein frischer, nationaler Zug durch unser
Vaterland geht.

Besonders anregend auch für den Laien, und deshalb hier einer eingehenderen
Betrachtung wert, sind die Ergebnisse eines Fragebogens, den Professor Kirchhofs
im Auftrage des Thüringerwald-Vereins in den "Waldlanben" umhergeschickt hat.
Es sind im Sommer 1883 zahlreiche Beantwortungen desselben bei dein als
Sammelort bezeichneten Eisenacher Zentralverein zusanunengekonnnen, die einen
Fvliobnnd von 375 Seiten ausmachen und mit einem Schlage die Kunde vom
Thüringerwalde mehr gefördert haben als langjährige Bemühungen Einzelner
i" früherer Zeit. Das gelieferte Material hat urkundliche Wichtigkeit, denn
es besteht aus unmittelbaren Äußerungen der Waldbewohner selbst. Gleich im
Anfange der Kirchhosfschen Bearbeitung dieses Materials (in deu Beitrügen zur
Landes- und Volkskunde des Thüringerwalds. 1. Heft. Im Auftrage der
wissenschaftlichen Kommission des Thüringerwald-Vereins herausgegeben von
Fr. Regel. Jena, G- Fischer, .1884), wird als merkwürdiges Ergebnis
mitgeteilt, daß durch leise Veränderungen im Felscnbau des Gebirges hie und
da der Horizont im Laufe der Zeit eine Veränderung erfahren. So konnte
man früher von dem Dorfe Grvßbreitenbach aus in der Richtung nach Königsce
nur die obere Hälfte vom Kirchtürme des schwarzburgischen Dorfes Herrschdorf
erblicken; jetzt überschaut man bequem das ganze Dorf. Ähnliche Horizontver-
schicbnngen sind auch in andern Orten des Thüringerwaldes (jedoch allein in
dessen plateauförmigem Südosten, dein sogenannten Frankenwald) festgestellt und
somit der Beweis erbracht worden, daß auch die scheinbar festen Umrisse der
Gebirge einer Veränderung unterliegen. Bedeutender noch sind die ans flachem
Boden eintretenden Senkungen, namentlich in dem Knlkgürtcl des Zechsteins, der
den Thüringerwald umzieht. Dabei wird auf eine ganze Reihe von Höhlen
aufmerksam gemacht, die, kaum dem Namen nach bekannt, der Eröffnung und
genanen Untersuchung harren. Ju einigen fand man Menschenknochen und
Feuersteingeräte. Eine Höhle, in welcher sich fortwährend, anch im heißesten
Sommer, Eis bildet, befindet sich bei Unterwirbach, südwestlich von Schwärzn.
Aus dem Dorfe Grnmven bei Koburg kommt die Aufforderung, die Triebis-
hvhle zu untersuchen, die zur Zeit ganz mit Wasser gefüllt ist. Von Mechterstedt
aus lenkt man die Aufmerksamkeit auf die Hvrsellvcher, die in Wechselbeziehung
zu der vorüberfließenden Hörsel zu stehen scheinen u. s. w.


Bestrebungen für eine wissenschaftliche Landeskunde Deutschlands.

Nicht minder interessant als die Thätigkeit der Zentralkommission erscheint
die Arbeit der einzelnen Vereine in ihren Spezialstudien über Land und Volk
ihres Bezirkes. So bringt der besonders rührige Hallische Verein in der letzten
Nummer seiner Zeitschrift Abhandlungen über die Hnrzdialekte, über das Unstrut-
becken und über einen Fragebogen, den zwei landeskundige Lehrer ausgeschickt
haben, um die ersterbenden Reste von Sitte und Brauch im Volksleben zu
sammeln. An solche Publikationen war früher garnicht zu denken; sie zeigen
auch in wissenschaftlichen Dingen, daß ein frischer, nationaler Zug durch unser
Vaterland geht.

Besonders anregend auch für den Laien, und deshalb hier einer eingehenderen
Betrachtung wert, sind die Ergebnisse eines Fragebogens, den Professor Kirchhofs
im Auftrage des Thüringerwald-Vereins in den „Waldlanben" umhergeschickt hat.
Es sind im Sommer 1883 zahlreiche Beantwortungen desselben bei dein als
Sammelort bezeichneten Eisenacher Zentralverein zusanunengekonnnen, die einen
Fvliobnnd von 375 Seiten ausmachen und mit einem Schlage die Kunde vom
Thüringerwalde mehr gefördert haben als langjährige Bemühungen Einzelner
i» früherer Zeit. Das gelieferte Material hat urkundliche Wichtigkeit, denn
es besteht aus unmittelbaren Äußerungen der Waldbewohner selbst. Gleich im
Anfange der Kirchhosfschen Bearbeitung dieses Materials (in deu Beitrügen zur
Landes- und Volkskunde des Thüringerwalds. 1. Heft. Im Auftrage der
wissenschaftlichen Kommission des Thüringerwald-Vereins herausgegeben von
Fr. Regel. Jena, G- Fischer, .1884), wird als merkwürdiges Ergebnis
mitgeteilt, daß durch leise Veränderungen im Felscnbau des Gebirges hie und
da der Horizont im Laufe der Zeit eine Veränderung erfahren. So konnte
man früher von dem Dorfe Grvßbreitenbach aus in der Richtung nach Königsce
nur die obere Hälfte vom Kirchtürme des schwarzburgischen Dorfes Herrschdorf
erblicken; jetzt überschaut man bequem das ganze Dorf. Ähnliche Horizontver-
schicbnngen sind auch in andern Orten des Thüringerwaldes (jedoch allein in
dessen plateauförmigem Südosten, dein sogenannten Frankenwald) festgestellt und
somit der Beweis erbracht worden, daß auch die scheinbar festen Umrisse der
Gebirge einer Veränderung unterliegen. Bedeutender noch sind die ans flachem
Boden eintretenden Senkungen, namentlich in dem Knlkgürtcl des Zechsteins, der
den Thüringerwald umzieht. Dabei wird auf eine ganze Reihe von Höhlen
aufmerksam gemacht, die, kaum dem Namen nach bekannt, der Eröffnung und
genanen Untersuchung harren. Ju einigen fand man Menschenknochen und
Feuersteingeräte. Eine Höhle, in welcher sich fortwährend, anch im heißesten
Sommer, Eis bildet, befindet sich bei Unterwirbach, südwestlich von Schwärzn.
Aus dem Dorfe Grnmven bei Koburg kommt die Aufforderung, die Triebis-
hvhle zu untersuchen, die zur Zeit ganz mit Wasser gefüllt ist. Von Mechterstedt
aus lenkt man die Aufmerksamkeit auf die Hvrsellvcher, die in Wechselbeziehung
zu der vorüberfließenden Hörsel zu stehen scheinen u. s. w.


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[0028] Bestrebungen für eine wissenschaftliche Landeskunde Deutschlands. Nicht minder interessant als die Thätigkeit der Zentralkommission erscheint die Arbeit der einzelnen Vereine in ihren Spezialstudien über Land und Volk ihres Bezirkes. So bringt der besonders rührige Hallische Verein in der letzten Nummer seiner Zeitschrift Abhandlungen über die Hnrzdialekte, über das Unstrut- becken und über einen Fragebogen, den zwei landeskundige Lehrer ausgeschickt haben, um die ersterbenden Reste von Sitte und Brauch im Volksleben zu sammeln. An solche Publikationen war früher garnicht zu denken; sie zeigen auch in wissenschaftlichen Dingen, daß ein frischer, nationaler Zug durch unser Vaterland geht. Besonders anregend auch für den Laien, und deshalb hier einer eingehenderen Betrachtung wert, sind die Ergebnisse eines Fragebogens, den Professor Kirchhofs im Auftrage des Thüringerwald-Vereins in den „Waldlanben" umhergeschickt hat. Es sind im Sommer 1883 zahlreiche Beantwortungen desselben bei dein als Sammelort bezeichneten Eisenacher Zentralverein zusanunengekonnnen, die einen Fvliobnnd von 375 Seiten ausmachen und mit einem Schlage die Kunde vom Thüringerwalde mehr gefördert haben als langjährige Bemühungen Einzelner i» früherer Zeit. Das gelieferte Material hat urkundliche Wichtigkeit, denn es besteht aus unmittelbaren Äußerungen der Waldbewohner selbst. Gleich im Anfange der Kirchhosfschen Bearbeitung dieses Materials (in deu Beitrügen zur Landes- und Volkskunde des Thüringerwalds. 1. Heft. Im Auftrage der wissenschaftlichen Kommission des Thüringerwald-Vereins herausgegeben von Fr. Regel. Jena, G- Fischer, .1884), wird als merkwürdiges Ergebnis mitgeteilt, daß durch leise Veränderungen im Felscnbau des Gebirges hie und da der Horizont im Laufe der Zeit eine Veränderung erfahren. So konnte man früher von dem Dorfe Grvßbreitenbach aus in der Richtung nach Königsce nur die obere Hälfte vom Kirchtürme des schwarzburgischen Dorfes Herrschdorf erblicken; jetzt überschaut man bequem das ganze Dorf. Ähnliche Horizontver- schicbnngen sind auch in andern Orten des Thüringerwaldes (jedoch allein in dessen plateauförmigem Südosten, dein sogenannten Frankenwald) festgestellt und somit der Beweis erbracht worden, daß auch die scheinbar festen Umrisse der Gebirge einer Veränderung unterliegen. Bedeutender noch sind die ans flachem Boden eintretenden Senkungen, namentlich in dem Knlkgürtcl des Zechsteins, der den Thüringerwald umzieht. Dabei wird auf eine ganze Reihe von Höhlen aufmerksam gemacht, die, kaum dem Namen nach bekannt, der Eröffnung und genanen Untersuchung harren. Ju einigen fand man Menschenknochen und Feuersteingeräte. Eine Höhle, in welcher sich fortwährend, anch im heißesten Sommer, Eis bildet, befindet sich bei Unterwirbach, südwestlich von Schwärzn. Aus dem Dorfe Grnmven bei Koburg kommt die Aufforderung, die Triebis- hvhle zu untersuchen, die zur Zeit ganz mit Wasser gefüllt ist. Von Mechterstedt aus lenkt man die Aufmerksamkeit auf die Hvrsellvcher, die in Wechselbeziehung zu der vorüberfließenden Hörsel zu stehen scheinen u. s. w.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/28>, abgerufen am 22.07.2024.