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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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George Sand im Ariegsjahre ? 370.

die erstej. Die Wölfe kommen in unsern Hof, aus dem wir sie nachts ver¬
jagen, Maurice mit einem Revolver und ich mit einer Laterne. Die Bäume
verlieren ihre Blätter und gehen vielleicht ein. Das Trinkwasser beginnt uns
zu mangeln, die Ernten sind beinahe null, aber wir haben den Krieg. Welche
Aussicht! Der Ackerbau geht zu gründe, der Hunger droht, das Elend kann
wilde Aufstände ausbrüten, aber -- wir werden die Preußen schlagen. Mu'I-
borou^it s'en va,t> 6ir g'usrro!"

Und als man nun die Preußen nicht schlug, vielmehr bis zum Napoleous-
tage in der Mitte August schou eine Reihe von Niederlagen zu verzeichnen hatte,
als sich die schlechte Vorbereitung des ganzen Abenteuers, die Verwirrung der
Administration, die Unfähigkeit gewisser Behörden mit jeder Stunde mehr
herausstellten, als jeder Eindruck ein schmerzlicher und unheilverkündender war,
da zürnte sie: "Wir wissen heute, daß wir geschlagen sind, wir werden viel¬
leicht morgen hören, daß wir geschlagen haben, wo bleibt in einem und dem
andern Falle das Gute und der Nutzen?" Als sie jedoch wahrnahm, daß die
ersten verlorenen Schlachten hingereicht hatten, um Napoleon den Dritten seines
ganzen Ansehens und jeder Autorität zu berauben, so erörterte sie schon am
II. Angust in einem Briefe an Edmond Plauchut: "Wir erfahren heute Abend
den Wechsel des Ministeriums, sonst nichts, von dem, was bei der Armee und
in Paris vorgeht, nichts! Welche Beklemmung! Diese trübe Erwartung ist
schrecklich. Wir werden, wenn Paris es zuläßt, die Orleans haben. Und nach
allem ist's vielleicht am besten, sie sogleich zu haben, weil die Nachfolge des
Kaiserreichs keine Lebensbedingung für die Republik ist."

George Sand fühlte nicht, wie verhängnisvoll und wie unwürdig zugleich
das Verhalten der Franzosen gegenüber dem kaiserlichen Hanse und der Re¬
gierung in diesem Augenblicke war. Seit zu langer Zeit galt der Erfolg
für die französische Nation als ein Gottesurteil über ihre wechselnden Regie¬
rungen, als daß auch die besten und vornehmsten Naturen den Widersinn davon
empfunden hätten. Ruhig erzählt George Saud in einem Briefe an Henry
Harrisse (Nohant, August): "Ich glaube, daß das Kaisertum verloren und
zu Eude ist. Dieselben Menschen, welche beim Plebiscit mit Vertrauen dafür
abgestimmt haben, würden heute die Absetzung mit Einstimmigkeit beschließen."
Die Dichterin hat dagegen nichts einzuwenden; an allem, was ihr mit Recht
das Herz zerreißt, ist jetzt der Kaiser schuld: an den armen Bäuerinnen, die wei¬
nend ihren abmarschircnden Söhnen nachsehen, den heißen Tagen, den schlechten
Ernten, es fehlt wenig, daß Napoleon mich verantwortlich ist für die tiefe Müdig¬
keit, welche sich George Sands bemächtigt hat. Sie findet es natürlich schwer,
an einem begonnenen Roman weiterzuarbeiten, Flaubcrt hat ganz recht, wenn
er ihr schreibt, zur Arbeit bedürfe man einer gewissen Fröhlichkeit, und woher
die nehmen in so verwünschter Zeit? Noch bewahrt sie die gesunde Einsicht, die
sie im Beginn des Krieges bewahrt hatte, soweit, daß sie weiß, "man hat die


George Sand im Ariegsjahre ? 370.

die erstej. Die Wölfe kommen in unsern Hof, aus dem wir sie nachts ver¬
jagen, Maurice mit einem Revolver und ich mit einer Laterne. Die Bäume
verlieren ihre Blätter und gehen vielleicht ein. Das Trinkwasser beginnt uns
zu mangeln, die Ernten sind beinahe null, aber wir haben den Krieg. Welche
Aussicht! Der Ackerbau geht zu gründe, der Hunger droht, das Elend kann
wilde Aufstände ausbrüten, aber — wir werden die Preußen schlagen. Mu'I-
borou^it s'en va,t> 6ir g'usrro!"

Und als man nun die Preußen nicht schlug, vielmehr bis zum Napoleous-
tage in der Mitte August schou eine Reihe von Niederlagen zu verzeichnen hatte,
als sich die schlechte Vorbereitung des ganzen Abenteuers, die Verwirrung der
Administration, die Unfähigkeit gewisser Behörden mit jeder Stunde mehr
herausstellten, als jeder Eindruck ein schmerzlicher und unheilverkündender war,
da zürnte sie: „Wir wissen heute, daß wir geschlagen sind, wir werden viel¬
leicht morgen hören, daß wir geschlagen haben, wo bleibt in einem und dem
andern Falle das Gute und der Nutzen?" Als sie jedoch wahrnahm, daß die
ersten verlorenen Schlachten hingereicht hatten, um Napoleon den Dritten seines
ganzen Ansehens und jeder Autorität zu berauben, so erörterte sie schon am
II. Angust in einem Briefe an Edmond Plauchut: „Wir erfahren heute Abend
den Wechsel des Ministeriums, sonst nichts, von dem, was bei der Armee und
in Paris vorgeht, nichts! Welche Beklemmung! Diese trübe Erwartung ist
schrecklich. Wir werden, wenn Paris es zuläßt, die Orleans haben. Und nach
allem ist's vielleicht am besten, sie sogleich zu haben, weil die Nachfolge des
Kaiserreichs keine Lebensbedingung für die Republik ist."

George Sand fühlte nicht, wie verhängnisvoll und wie unwürdig zugleich
das Verhalten der Franzosen gegenüber dem kaiserlichen Hanse und der Re¬
gierung in diesem Augenblicke war. Seit zu langer Zeit galt der Erfolg
für die französische Nation als ein Gottesurteil über ihre wechselnden Regie¬
rungen, als daß auch die besten und vornehmsten Naturen den Widersinn davon
empfunden hätten. Ruhig erzählt George Saud in einem Briefe an Henry
Harrisse (Nohant, August): „Ich glaube, daß das Kaisertum verloren und
zu Eude ist. Dieselben Menschen, welche beim Plebiscit mit Vertrauen dafür
abgestimmt haben, würden heute die Absetzung mit Einstimmigkeit beschließen."
Die Dichterin hat dagegen nichts einzuwenden; an allem, was ihr mit Recht
das Herz zerreißt, ist jetzt der Kaiser schuld: an den armen Bäuerinnen, die wei¬
nend ihren abmarschircnden Söhnen nachsehen, den heißen Tagen, den schlechten
Ernten, es fehlt wenig, daß Napoleon mich verantwortlich ist für die tiefe Müdig¬
keit, welche sich George Sands bemächtigt hat. Sie findet es natürlich schwer,
an einem begonnenen Roman weiterzuarbeiten, Flaubcrt hat ganz recht, wenn
er ihr schreibt, zur Arbeit bedürfe man einer gewissen Fröhlichkeit, und woher
die nehmen in so verwünschter Zeit? Noch bewahrt sie die gesunde Einsicht, die
sie im Beginn des Krieges bewahrt hatte, soweit, daß sie weiß, „man hat die


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[0255] George Sand im Ariegsjahre ? 370. die erstej. Die Wölfe kommen in unsern Hof, aus dem wir sie nachts ver¬ jagen, Maurice mit einem Revolver und ich mit einer Laterne. Die Bäume verlieren ihre Blätter und gehen vielleicht ein. Das Trinkwasser beginnt uns zu mangeln, die Ernten sind beinahe null, aber wir haben den Krieg. Welche Aussicht! Der Ackerbau geht zu gründe, der Hunger droht, das Elend kann wilde Aufstände ausbrüten, aber — wir werden die Preußen schlagen. Mu'I- borou^it s'en va,t> 6ir g'usrro!" Und als man nun die Preußen nicht schlug, vielmehr bis zum Napoleous- tage in der Mitte August schou eine Reihe von Niederlagen zu verzeichnen hatte, als sich die schlechte Vorbereitung des ganzen Abenteuers, die Verwirrung der Administration, die Unfähigkeit gewisser Behörden mit jeder Stunde mehr herausstellten, als jeder Eindruck ein schmerzlicher und unheilverkündender war, da zürnte sie: „Wir wissen heute, daß wir geschlagen sind, wir werden viel¬ leicht morgen hören, daß wir geschlagen haben, wo bleibt in einem und dem andern Falle das Gute und der Nutzen?" Als sie jedoch wahrnahm, daß die ersten verlorenen Schlachten hingereicht hatten, um Napoleon den Dritten seines ganzen Ansehens und jeder Autorität zu berauben, so erörterte sie schon am II. Angust in einem Briefe an Edmond Plauchut: „Wir erfahren heute Abend den Wechsel des Ministeriums, sonst nichts, von dem, was bei der Armee und in Paris vorgeht, nichts! Welche Beklemmung! Diese trübe Erwartung ist schrecklich. Wir werden, wenn Paris es zuläßt, die Orleans haben. Und nach allem ist's vielleicht am besten, sie sogleich zu haben, weil die Nachfolge des Kaiserreichs keine Lebensbedingung für die Republik ist." George Sand fühlte nicht, wie verhängnisvoll und wie unwürdig zugleich das Verhalten der Franzosen gegenüber dem kaiserlichen Hanse und der Re¬ gierung in diesem Augenblicke war. Seit zu langer Zeit galt der Erfolg für die französische Nation als ein Gottesurteil über ihre wechselnden Regie¬ rungen, als daß auch die besten und vornehmsten Naturen den Widersinn davon empfunden hätten. Ruhig erzählt George Saud in einem Briefe an Henry Harrisse (Nohant, August): „Ich glaube, daß das Kaisertum verloren und zu Eude ist. Dieselben Menschen, welche beim Plebiscit mit Vertrauen dafür abgestimmt haben, würden heute die Absetzung mit Einstimmigkeit beschließen." Die Dichterin hat dagegen nichts einzuwenden; an allem, was ihr mit Recht das Herz zerreißt, ist jetzt der Kaiser schuld: an den armen Bäuerinnen, die wei¬ nend ihren abmarschircnden Söhnen nachsehen, den heißen Tagen, den schlechten Ernten, es fehlt wenig, daß Napoleon mich verantwortlich ist für die tiefe Müdig¬ keit, welche sich George Sands bemächtigt hat. Sie findet es natürlich schwer, an einem begonnenen Roman weiterzuarbeiten, Flaubcrt hat ganz recht, wenn er ihr schreibt, zur Arbeit bedürfe man einer gewissen Fröhlichkeit, und woher die nehmen in so verwünschter Zeit? Noch bewahrt sie die gesunde Einsicht, die sie im Beginn des Krieges bewahrt hatte, soweit, daß sie weiß, „man hat die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/255>, abgerufen am 22.07.2024.