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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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George Sand im Uriegsjcihre ^370.

wir lieben sie. Diese durchfurchte, fette, braune Erde, diese mächtigen Nußbäume,
die schattigen Wege und das wilde Gesträuch, dieser grasbewachsene Kirchhof,
der kleine, mit Ziegeln gedeckte Glockcnturm, die antike Halle, die großen morschen
Ulmen, die kleinen Vauernhäuser, umgeben von hübschen Hecken, Weinlauben und
grünen Hanffeldern --- alles dies wird dem Auge angenehm und der Erinnerung
teuer, wenn man lange in der friedlichen, bescheidnen und stillen Umgebung
gelebt hat." Die altgewohnte Idylle teilte die Dichterin in den heißen Sommer¬
tagen 1870 mit ihrem Sohne Maurice Düdevant (Sand), der gerade in den
letzten Jahren sich gleichfalls der Literatur zugewandt hatte, mit ihrer Schwieger¬
tochter Lina und deren Kindern. Sie hatte das plötzlich heraufziehende
Kriegswctter vom ersten Tage an mit geteilten Gefühl betrachtet. Ihr Haß
gegen das Kaiserreich, der vom Staatsstreich herstammte, hatte durch lange
Jahre hindurch wohl geschlummert, war aber niemals erloschen. George Sand
hatte in gewissen Fällen, wo es sich um Wohlthätigkcitszwccke handelte, sich
als getreue Unterthanin an Ihre Majestät die Kaiserin Eugenie gewandt, sie
hatte sogar eine freundschaftliche Beziehung zum Prinzen Jerome Napoleon,
den "roten Prinzen," unterhalten und durch Vermittlung desselben das geist¬
volle Erstlingsbuch ihres Sohnes Maurice Nasanes se dont?on8 dem Schwieger¬
vater des Prinzen, dem Könige Victor Emanuel von Italien, überreichen lassen.
Sie lebte zuviel in der Provinz, um uicht zu wissen, daß während der fünfziger
und sechziger Jahre die Herrschaft Napoleons des Dritten bei der Land¬
bevölkerung populär war, und redete sich nicht in die Verbissenheit vieler ihrer
Gesinnungsgenossen hinein, die weder den persönlichen Eigenschaften des Kaisers,
noch den besten Negierungsakten desselben Gerechtigkeit widerfahren lassen
konnten. Sie hatte eine Zeitlang geglaubt, einen abermaligen Umschwung der
Dinge nicht mehr zu erleben. Doch seit in den letzten sechziger Jahren die
lauge Agonie des zweiten Kaiserreiches begann, regten sich die republikanischen
Überzeugungen der Dichterin wieder stärker. Sie bewährte den Instinkt ro¬
manischer Naturen, den Sturz einer Sache oder einer Familie lange voraufzn-
empfinden, und der Ausfall des Plebiscits von 1870 setzte sie, wie tausende
ihrer Gesinnungsgenossen, in unruhige Bewegung und Erwartung, ohne daß
sie gerade eine Straßenrevolution in Paris wünschte. Bei der Kriegserklärung
gerieten ihr französischer Patriotismus und ihr gesunder Menschenverstand, ihre
Lust am kriegerischen Ruhme Frankreichs und ihre Sehnsucht nach dem Ende
der kaiserlichen Herrschaft in wunderbare und schwere Konflikte. Von vorn¬
herein war George Sand wie beinahe alle Franzosen ohne Ahnung, daß die
gegen "Preußen" abgegebenen Erklärungen ganz Deutschland in Harnisch bringen
würden, und hielt den Weltkampf für einen reinen Kabinetskrieg. Aber sie
begriff die ganze Thorheit des Pariser Kriegsfiebers. Am 14. Juli 1870
schrieb sie von Nohant aus an Edmond Plauchut (welchem sie kurz zuvor ihre
Erzählung "Malgretout" zugeeignet hatte): "Wenn dieser schöne Enthusiasmus


George Sand im Uriegsjcihre ^370.

wir lieben sie. Diese durchfurchte, fette, braune Erde, diese mächtigen Nußbäume,
die schattigen Wege und das wilde Gesträuch, dieser grasbewachsene Kirchhof,
der kleine, mit Ziegeln gedeckte Glockcnturm, die antike Halle, die großen morschen
Ulmen, die kleinen Vauernhäuser, umgeben von hübschen Hecken, Weinlauben und
grünen Hanffeldern -— alles dies wird dem Auge angenehm und der Erinnerung
teuer, wenn man lange in der friedlichen, bescheidnen und stillen Umgebung
gelebt hat." Die altgewohnte Idylle teilte die Dichterin in den heißen Sommer¬
tagen 1870 mit ihrem Sohne Maurice Düdevant (Sand), der gerade in den
letzten Jahren sich gleichfalls der Literatur zugewandt hatte, mit ihrer Schwieger¬
tochter Lina und deren Kindern. Sie hatte das plötzlich heraufziehende
Kriegswctter vom ersten Tage an mit geteilten Gefühl betrachtet. Ihr Haß
gegen das Kaiserreich, der vom Staatsstreich herstammte, hatte durch lange
Jahre hindurch wohl geschlummert, war aber niemals erloschen. George Sand
hatte in gewissen Fällen, wo es sich um Wohlthätigkcitszwccke handelte, sich
als getreue Unterthanin an Ihre Majestät die Kaiserin Eugenie gewandt, sie
hatte sogar eine freundschaftliche Beziehung zum Prinzen Jerome Napoleon,
den „roten Prinzen," unterhalten und durch Vermittlung desselben das geist¬
volle Erstlingsbuch ihres Sohnes Maurice Nasanes se dont?on8 dem Schwieger¬
vater des Prinzen, dem Könige Victor Emanuel von Italien, überreichen lassen.
Sie lebte zuviel in der Provinz, um uicht zu wissen, daß während der fünfziger
und sechziger Jahre die Herrschaft Napoleons des Dritten bei der Land¬
bevölkerung populär war, und redete sich nicht in die Verbissenheit vieler ihrer
Gesinnungsgenossen hinein, die weder den persönlichen Eigenschaften des Kaisers,
noch den besten Negierungsakten desselben Gerechtigkeit widerfahren lassen
konnten. Sie hatte eine Zeitlang geglaubt, einen abermaligen Umschwung der
Dinge nicht mehr zu erleben. Doch seit in den letzten sechziger Jahren die
lauge Agonie des zweiten Kaiserreiches begann, regten sich die republikanischen
Überzeugungen der Dichterin wieder stärker. Sie bewährte den Instinkt ro¬
manischer Naturen, den Sturz einer Sache oder einer Familie lange voraufzn-
empfinden, und der Ausfall des Plebiscits von 1870 setzte sie, wie tausende
ihrer Gesinnungsgenossen, in unruhige Bewegung und Erwartung, ohne daß
sie gerade eine Straßenrevolution in Paris wünschte. Bei der Kriegserklärung
gerieten ihr französischer Patriotismus und ihr gesunder Menschenverstand, ihre
Lust am kriegerischen Ruhme Frankreichs und ihre Sehnsucht nach dem Ende
der kaiserlichen Herrschaft in wunderbare und schwere Konflikte. Von vorn¬
herein war George Sand wie beinahe alle Franzosen ohne Ahnung, daß die
gegen „Preußen" abgegebenen Erklärungen ganz Deutschland in Harnisch bringen
würden, und hielt den Weltkampf für einen reinen Kabinetskrieg. Aber sie
begriff die ganze Thorheit des Pariser Kriegsfiebers. Am 14. Juli 1870
schrieb sie von Nohant aus an Edmond Plauchut (welchem sie kurz zuvor ihre
Erzählung „Malgretout" zugeeignet hatte): „Wenn dieser schöne Enthusiasmus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/253>, abgerufen am 22.07.2024.