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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments.

tung des Parlaments vertraute er vollständig. "Nach allem, was ich höre,
schrieb er am 10. April, wird die Reichsversammlung bei den bevorstehenden
entscheidenden Verhandlungen mit großer Mäßigung zu Werke gehen, aber die
dem Volke errungenen Freiheiten in keiner Weise sich verkümmern lassen. Auch
die Linke will sich dem Kaiser willig unterwerfen und würde, wenn die kaum
beschlossene Verfassung angetastet werden sollte, mit der Rechten zu einer kom¬
pakten Masse sich zusammenschließen."

Unter solchem Wechsel zwischen Hoffnung und Furcht nahm das Parla¬
ment am 11. April seine Thätigkeit wieder auf; es war die erste Sitzung,
welcher N. als wirkliches Mitglied beiwohnte. Sein Nachbar war beiläufig der
Historiker Jakob Philipp Fallmerayer aus München, der Geschichtschreiber des
griechischen Mittelalters und des Kaisertums Trapezunt, der leidenschaftliche
Nussenfeind und der geistvolle Autor der "Fragmente aus dem Orient." Noch
später erzählte N. mit Behagen, er habe die erste Bekanntschaft mit ihm da¬
durch angeknüpft, daß er auf ein vor ihm liegendes Blatt den nennen "Trebi-
sonda" mit großen Buchstaben geschrieben, worauf Fallmerayer freudig über¬
rascht sofort ein Gespräch mit ihm begonnen habe. Sonst freilich blieb zu
wissenschaftlicher Vertiefung wenig Zeit. Nachdem der Neichskriegsminister,
General von Peucker, über den Stand der Dinge in Schleswig und insbesondre
über das Gefecht vou Eckernförde referirt hatte, erstattete Simson (Königsberg)
den Bericht über das Ergebnis der Kaiserdeputation, das an sich natürlich schon
bekannt war. Zugleich wurde die preußische Erklärung vom 3. April mitge¬
teilt: der König sei bereit, provisorisch an die Spitze des deutschen Bundes¬
staates ohne Österreich zu treten, und habe die Regierungen aufgefordert, zu
weiteren Verhandlungen ihre Bevollmächtigten binnen vierzehn Tagen nach
Frankfurt zu senden. Aus der lebhaften, zum Teil leidenschaftlichen Debatte,
in welcher die Freude der Linken, des gesamten Erbkaisertums nunmehr ent¬
ledigt zu sein, und ihre Hoffnung, die deutschen Dinge womöglich in republika¬
nische Bahnen zu treiben, deutlich sichtbar wurden, ging endlich der Antrag
Kierulffs (Rostock), feierlich zu erklären, daß die Versammlung an der Reichsver-
fassung unwandelbar festhalte, und eine Kommission von dreißig Mitgliedern
zur schleunigen Berichterstattung und zur Vorberatung der für die Durchfüh¬
rung der Reichsverfassung notwendigen Maßregeln einzusetzen, mit 276 gegen
169 Stimmen siegreich hervor. Unter der Mehrheit befand sich auch N. Ant
nächsten Tage wurde die Kommission unter dem Vorsitze von Wydenbrugks
gebildet.

Entschieden war also thatsächlich immer noch nichts, als am 13. April
der Führer der Kaiserdeputation, Simson, auf vier Woche", wie die Geschäfts¬
ordnung vorschrieb, zum Präsidenten gewählt wurde, derselbe Maun, dem ein
freundliches Geschick es beschieden hat, mich den ersten Reichstag des nord¬
deutschen Bundes wie des deutscheu Reiches als Präsident zu leiten und in


Grenzboten II. 188S. N1
Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments.

tung des Parlaments vertraute er vollständig. „Nach allem, was ich höre,
schrieb er am 10. April, wird die Reichsversammlung bei den bevorstehenden
entscheidenden Verhandlungen mit großer Mäßigung zu Werke gehen, aber die
dem Volke errungenen Freiheiten in keiner Weise sich verkümmern lassen. Auch
die Linke will sich dem Kaiser willig unterwerfen und würde, wenn die kaum
beschlossene Verfassung angetastet werden sollte, mit der Rechten zu einer kom¬
pakten Masse sich zusammenschließen."

Unter solchem Wechsel zwischen Hoffnung und Furcht nahm das Parla¬
ment am 11. April seine Thätigkeit wieder auf; es war die erste Sitzung,
welcher N. als wirkliches Mitglied beiwohnte. Sein Nachbar war beiläufig der
Historiker Jakob Philipp Fallmerayer aus München, der Geschichtschreiber des
griechischen Mittelalters und des Kaisertums Trapezunt, der leidenschaftliche
Nussenfeind und der geistvolle Autor der „Fragmente aus dem Orient." Noch
später erzählte N. mit Behagen, er habe die erste Bekanntschaft mit ihm da¬
durch angeknüpft, daß er auf ein vor ihm liegendes Blatt den nennen „Trebi-
sonda" mit großen Buchstaben geschrieben, worauf Fallmerayer freudig über¬
rascht sofort ein Gespräch mit ihm begonnen habe. Sonst freilich blieb zu
wissenschaftlicher Vertiefung wenig Zeit. Nachdem der Neichskriegsminister,
General von Peucker, über den Stand der Dinge in Schleswig und insbesondre
über das Gefecht vou Eckernförde referirt hatte, erstattete Simson (Königsberg)
den Bericht über das Ergebnis der Kaiserdeputation, das an sich natürlich schon
bekannt war. Zugleich wurde die preußische Erklärung vom 3. April mitge¬
teilt: der König sei bereit, provisorisch an die Spitze des deutschen Bundes¬
staates ohne Österreich zu treten, und habe die Regierungen aufgefordert, zu
weiteren Verhandlungen ihre Bevollmächtigten binnen vierzehn Tagen nach
Frankfurt zu senden. Aus der lebhaften, zum Teil leidenschaftlichen Debatte,
in welcher die Freude der Linken, des gesamten Erbkaisertums nunmehr ent¬
ledigt zu sein, und ihre Hoffnung, die deutschen Dinge womöglich in republika¬
nische Bahnen zu treiben, deutlich sichtbar wurden, ging endlich der Antrag
Kierulffs (Rostock), feierlich zu erklären, daß die Versammlung an der Reichsver-
fassung unwandelbar festhalte, und eine Kommission von dreißig Mitgliedern
zur schleunigen Berichterstattung und zur Vorberatung der für die Durchfüh¬
rung der Reichsverfassung notwendigen Maßregeln einzusetzen, mit 276 gegen
169 Stimmen siegreich hervor. Unter der Mehrheit befand sich auch N. Ant
nächsten Tage wurde die Kommission unter dem Vorsitze von Wydenbrugks
gebildet.

Entschieden war also thatsächlich immer noch nichts, als am 13. April
der Führer der Kaiserdeputation, Simson, auf vier Woche», wie die Geschäfts¬
ordnung vorschrieb, zum Präsidenten gewählt wurde, derselbe Maun, dem ein
freundliches Geschick es beschieden hat, mich den ersten Reichstag des nord¬
deutschen Bundes wie des deutscheu Reiches als Präsident zu leiten und in


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[0246] Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments. tung des Parlaments vertraute er vollständig. „Nach allem, was ich höre, schrieb er am 10. April, wird die Reichsversammlung bei den bevorstehenden entscheidenden Verhandlungen mit großer Mäßigung zu Werke gehen, aber die dem Volke errungenen Freiheiten in keiner Weise sich verkümmern lassen. Auch die Linke will sich dem Kaiser willig unterwerfen und würde, wenn die kaum beschlossene Verfassung angetastet werden sollte, mit der Rechten zu einer kom¬ pakten Masse sich zusammenschließen." Unter solchem Wechsel zwischen Hoffnung und Furcht nahm das Parla¬ ment am 11. April seine Thätigkeit wieder auf; es war die erste Sitzung, welcher N. als wirkliches Mitglied beiwohnte. Sein Nachbar war beiläufig der Historiker Jakob Philipp Fallmerayer aus München, der Geschichtschreiber des griechischen Mittelalters und des Kaisertums Trapezunt, der leidenschaftliche Nussenfeind und der geistvolle Autor der „Fragmente aus dem Orient." Noch später erzählte N. mit Behagen, er habe die erste Bekanntschaft mit ihm da¬ durch angeknüpft, daß er auf ein vor ihm liegendes Blatt den nennen „Trebi- sonda" mit großen Buchstaben geschrieben, worauf Fallmerayer freudig über¬ rascht sofort ein Gespräch mit ihm begonnen habe. Sonst freilich blieb zu wissenschaftlicher Vertiefung wenig Zeit. Nachdem der Neichskriegsminister, General von Peucker, über den Stand der Dinge in Schleswig und insbesondre über das Gefecht vou Eckernförde referirt hatte, erstattete Simson (Königsberg) den Bericht über das Ergebnis der Kaiserdeputation, das an sich natürlich schon bekannt war. Zugleich wurde die preußische Erklärung vom 3. April mitge¬ teilt: der König sei bereit, provisorisch an die Spitze des deutschen Bundes¬ staates ohne Österreich zu treten, und habe die Regierungen aufgefordert, zu weiteren Verhandlungen ihre Bevollmächtigten binnen vierzehn Tagen nach Frankfurt zu senden. Aus der lebhaften, zum Teil leidenschaftlichen Debatte, in welcher die Freude der Linken, des gesamten Erbkaisertums nunmehr ent¬ ledigt zu sein, und ihre Hoffnung, die deutschen Dinge womöglich in republika¬ nische Bahnen zu treiben, deutlich sichtbar wurden, ging endlich der Antrag Kierulffs (Rostock), feierlich zu erklären, daß die Versammlung an der Reichsver- fassung unwandelbar festhalte, und eine Kommission von dreißig Mitgliedern zur schleunigen Berichterstattung und zur Vorberatung der für die Durchfüh¬ rung der Reichsverfassung notwendigen Maßregeln einzusetzen, mit 276 gegen 169 Stimmen siegreich hervor. Unter der Mehrheit befand sich auch N. Ant nächsten Tage wurde die Kommission unter dem Vorsitze von Wydenbrugks gebildet. Entschieden war also thatsächlich immer noch nichts, als am 13. April der Führer der Kaiserdeputation, Simson, auf vier Woche», wie die Geschäfts¬ ordnung vorschrieb, zum Präsidenten gewählt wurde, derselbe Maun, dem ein freundliches Geschick es beschieden hat, mich den ersten Reichstag des nord¬ deutschen Bundes wie des deutscheu Reiches als Präsident zu leiten und in Grenzboten II. 188S. N1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/246>, abgerufen am 22.07.2024.