Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments. sich der Osterzeit halber und in Erwartung des authentischen Berichts der N. suchte eine Ablenkung, indem er sich neben eifriger Lektüre der steno¬ Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments. sich der Osterzeit halber und in Erwartung des authentischen Berichts der N. suchte eine Ablenkung, indem er sich neben eifriger Lektüre der steno¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0245" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195634"/> <fw type="header" place="top"> Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments.</fw><lb/> <p xml:id="ID_853" prev="#ID_852"> sich der Osterzeit halber und in Erwartung des authentischen Berichts der<lb/> Kaiserdcputation vom 4. bis zum 11. April vertagt hatte, war nicht geeignet,<lb/> solche Stimmungen zu verscheuchen.</p><lb/> <p xml:id="ID_854" next="#ID_855"> N. suchte eine Ablenkung, indem er sich neben eifriger Lektüre der steno¬<lb/> graphischen Berichte und der Stadt bekannt machte und Ausflüge in die Um¬<lb/> gegend unternahm, meist vom herrlichsten Frühlingswetter begünstigt, welches<lb/> ihm, der bisher in sehr bescheidnen Verhältnissen gelebt hatte, das wogende Leben<lb/> der großen Stadt und die schöne süddeutsche Landschaft ringsum im freund¬<lb/> lichsten Lichte zeigte. Ju Frankfurt selbst umgab ihn das Getümmel der Oster-<lb/> messe mit seinen bunten Bildern; am Charfreitag (6. April) besuchte er Mainz<lb/> und sah hier zum erstenmale den Rhein, ein altes Ziel seiner Wünsche; am<lb/> Ostermontage war er in Osfenbnch. Doch die Spannung der Lage verriet sich<lb/> überall aus unverkennbaren Anzeichen. Frankfurt selbst hatte eine sehr starke<lb/> Garnison von Bundestruppen. „Alle Thore sind von Trnppenabteilungcn be¬<lb/> setzt; an der Hauptwache sind Kanonen aufgefahren; auf dem schönen Komödien¬<lb/> platze sind Pferdeställe für die Chevanxlegers aus Darmstadt aufgeführt, und<lb/> Goethes Bildsäule, sonst der einzige Schmuck dieses Platzes, sieht mit verdrie߬<lb/> licher Miene auf diese prosaischen Bretterbuden. Auch in der Nahe sind Truppen<lb/> aufgestellt: an allen Haltepunkten der Eisenbahn zwischen Frankfurt und Mainz<lb/> stehen Nassauer, in Offenbach sah ich darmstädtisches Fußvolk." Mit leben¬<lb/> digen Farben schildert er das bunte Schauspiel einer damaligen Wachtparade<lb/> in Frankfurt. „Da stehen voran die stattlichen Füsiliere aus Frankfurt, in<lb/> Blan und Rot, lauter ausgesuchte Leute, neben ihnen die österreichische Linie,<lb/> weiß und blan, kleines, stämmiges Volk; an diese reihen sich die Baiern in hell¬<lb/> blauen Waffcuröcken und mit zierlichen Ccisquets; es folgen die Preußen in<lb/> dunkelblauen Waffcnröcken, mit schimmernden Helmen, endlich die leichten Reiter<lb/> aus Darmstadt, grün und carmoisinrot, auf behenden Rossen, die Offiziere ka¬<lb/> meradschaftlich durcheinander, großenteils schmucke Leute. Das Schauspiel hatte<lb/> aber anch seine wehmuterregende Seite: diese Österreicher mitten unter dentschen<lb/> Reichstruppen! Es ist, als könne man sie nicht loslassen, und doch sind sie<lb/> eigentlich schon von uns getrennt!" Die unruhige Spannung dieser Tage ver¬<lb/> mehrten noch wahre und falsche Nachrichten, die bunt durcheinander schwirrten.<lb/> Am Abend des Ostersonntags langte die Kunde von dem ruhmvollen Gefecht<lb/> bei Eckernförde (6. April) an; lauter Jubel erfüllte die Stadt, und die Schiffe<lb/> auf dem Main hißten die Flaggen. Aber am Morgen darnach verbreitete sich<lb/> das Gerücht, der König von Preußen habe abgedankt. „Was in diesem Falle<lb/> werden sollte, weiß Gott allein. Der Prinz von Preußen ^bekanntlich Kaiser<lb/> Wilhelms dem dann die Königskrone von Preußen und die deutsche Kaiserkrone<lb/> zufielen, ist jedenfalls ein Mann vou Festigkeit und Entschlossenheit; möchte<lb/> seine Gesinnung eine kernhaft deutsche sein!" Noch immer also hielt N. an der<lb/> Möglichkeit einer günstigen Entscheidung Vonseiten Preußens fest, und der Hut-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0245]
Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments.
sich der Osterzeit halber und in Erwartung des authentischen Berichts der
Kaiserdcputation vom 4. bis zum 11. April vertagt hatte, war nicht geeignet,
solche Stimmungen zu verscheuchen.
N. suchte eine Ablenkung, indem er sich neben eifriger Lektüre der steno¬
graphischen Berichte und der Stadt bekannt machte und Ausflüge in die Um¬
gegend unternahm, meist vom herrlichsten Frühlingswetter begünstigt, welches
ihm, der bisher in sehr bescheidnen Verhältnissen gelebt hatte, das wogende Leben
der großen Stadt und die schöne süddeutsche Landschaft ringsum im freund¬
lichsten Lichte zeigte. Ju Frankfurt selbst umgab ihn das Getümmel der Oster-
messe mit seinen bunten Bildern; am Charfreitag (6. April) besuchte er Mainz
und sah hier zum erstenmale den Rhein, ein altes Ziel seiner Wünsche; am
Ostermontage war er in Osfenbnch. Doch die Spannung der Lage verriet sich
überall aus unverkennbaren Anzeichen. Frankfurt selbst hatte eine sehr starke
Garnison von Bundestruppen. „Alle Thore sind von Trnppenabteilungcn be¬
setzt; an der Hauptwache sind Kanonen aufgefahren; auf dem schönen Komödien¬
platze sind Pferdeställe für die Chevanxlegers aus Darmstadt aufgeführt, und
Goethes Bildsäule, sonst der einzige Schmuck dieses Platzes, sieht mit verdrie߬
licher Miene auf diese prosaischen Bretterbuden. Auch in der Nahe sind Truppen
aufgestellt: an allen Haltepunkten der Eisenbahn zwischen Frankfurt und Mainz
stehen Nassauer, in Offenbach sah ich darmstädtisches Fußvolk." Mit leben¬
digen Farben schildert er das bunte Schauspiel einer damaligen Wachtparade
in Frankfurt. „Da stehen voran die stattlichen Füsiliere aus Frankfurt, in
Blan und Rot, lauter ausgesuchte Leute, neben ihnen die österreichische Linie,
weiß und blan, kleines, stämmiges Volk; an diese reihen sich die Baiern in hell¬
blauen Waffcuröcken und mit zierlichen Ccisquets; es folgen die Preußen in
dunkelblauen Waffcnröcken, mit schimmernden Helmen, endlich die leichten Reiter
aus Darmstadt, grün und carmoisinrot, auf behenden Rossen, die Offiziere ka¬
meradschaftlich durcheinander, großenteils schmucke Leute. Das Schauspiel hatte
aber anch seine wehmuterregende Seite: diese Österreicher mitten unter dentschen
Reichstruppen! Es ist, als könne man sie nicht loslassen, und doch sind sie
eigentlich schon von uns getrennt!" Die unruhige Spannung dieser Tage ver¬
mehrten noch wahre und falsche Nachrichten, die bunt durcheinander schwirrten.
Am Abend des Ostersonntags langte die Kunde von dem ruhmvollen Gefecht
bei Eckernförde (6. April) an; lauter Jubel erfüllte die Stadt, und die Schiffe
auf dem Main hißten die Flaggen. Aber am Morgen darnach verbreitete sich
das Gerücht, der König von Preußen habe abgedankt. „Was in diesem Falle
werden sollte, weiß Gott allein. Der Prinz von Preußen ^bekanntlich Kaiser
Wilhelms dem dann die Königskrone von Preußen und die deutsche Kaiserkrone
zufielen, ist jedenfalls ein Mann vou Festigkeit und Entschlossenheit; möchte
seine Gesinnung eine kernhaft deutsche sein!" Noch immer also hielt N. an der
Möglichkeit einer günstigen Entscheidung Vonseiten Preußens fest, und der Hut-
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