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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Ästpreußische Skizzen.

demgemäß für den Offizierstand und dessen zahllose Affiliirtc unter den
Gutsbesitzerfamilien der Provinz spielt. Zunächst eine kurze Darlegung über
die Faktoren, aus denen sich die militärische Wichtigkeit der Proviuzialhaupt-
stadt zusammensetzt. Alle die Gründe, um derenwillen Königsberg den natur¬
gemäßen Zentralpunkt Ostpreußens bildet, veranlassen auch, daß die Hilfsquellen
der Provinz hier zusammenströmen, und daß die Stadt also schon an und für
sich ein militärisches Objekt ersten Ranges bildet. Außerdem aber ist hier
notwendigerweise die Stelle, wo ein von Osten oder Südosten vordringender
Feind abgehalten werden muß, wenn man sich überhaupt östlich von der Weichsel
behaupten will; es entspricht also einem wahren Zwange der Verhältnisse, wenn
hier eine starke Festung angelegt worden ist. Und diese Festung ist nicht nur
ausgedehnt genug für eine ganze Armee und nach allen Grundsätzen der modernen
Befestigungskunst erbaut, so insbesondre mit einem Kranze meilenweit entfernter
Forts ausgerüstet, sondern sie ist auch, trotz der flachen Gegend, von der Natur
außerordentlich begünstigt. Eine kleine Meile unterhalb Königsbergs fällt
der Pregel in das frische Haff; diese Strecke wird von der Festung vvllstnndig
beherrscht. Soll also die Festung zernirt werden, so kann man die Verbindung
der feindlichen Truppenteile über den Prcgelstrom nur oberhalb Königsbergs
suchen. Hier aber beginnt etwa eine Meile von der Stadt entfernt ein Höhen-
zug mit sumpfigem Fuße, welcher das nördliche Prcgelufer bis gegen Tcipiau
hin begleitet und -- in Verbindung mit der Neigung des Stromes, Arme
und zwischen denselben breite, sumpfige Inseln zu bilden -- einen Übergang
oder die Herstellung von Brücken außerordentlich erschwert; es ist daher kaum
möglich, weiter unterhalb wie Tapiau die nördlich und südlich von dem Pregel
stehenden feindlichen Heerestcile miteinander in Kommunikation zu setzen, und
da dieser Ort fünf Meilen von Königsberg entfernt ist, so bewirkt dies die Un¬
möglichkeit, dem einen Teile von der andern Seite ans rechtzeitig zu Hilfe
kommen zu können. Es muß demgemäß jeder Truppenteil für sich allein stark
genug sein, der Besatzung überall Stand halten zu können. Dies ist nicht
alles. Da man der Festung das frische Haff nicht sperren kann, so ist jeder¬
zeit Zufuhr, Verstärkung, Benachrichtigung >>e. möglich, es sei denn, daß das
ganze Ufergebiet des Haffs bis an die Wcichsclmündnug, samt der frischen
Nehrung, vom Feinde besetzt werde, und auch dann noch ist Königsberg nicht
abgeschnitten, solange mir das die Öffnung des frischen Haffs in die Ostsee
beherrschende Pillau noch in unsern Händen ist. Pillau aber ist selbst eine
zwar kleine, aber starke, jetzt eben in der Erweiterung begriffene Festung und
kann der Natur der Dinge mich überhaupt nicht abgeschnitten werden, wenn
nicht der Feind die Ostsee beherrscht. Hier sind also alle nur möglichen Chancen
dargeboten, ein unverhältnismäßig starkes feindliches Heer auf lange Zeit an
der Mündung des Prcgels festhalten zu können und nach Gefallen die Offen¬
sive gegen dasselbe vvrzubeceiteu.


Ästpreußische Skizzen.

demgemäß für den Offizierstand und dessen zahllose Affiliirtc unter den
Gutsbesitzerfamilien der Provinz spielt. Zunächst eine kurze Darlegung über
die Faktoren, aus denen sich die militärische Wichtigkeit der Proviuzialhaupt-
stadt zusammensetzt. Alle die Gründe, um derenwillen Königsberg den natur¬
gemäßen Zentralpunkt Ostpreußens bildet, veranlassen auch, daß die Hilfsquellen
der Provinz hier zusammenströmen, und daß die Stadt also schon an und für
sich ein militärisches Objekt ersten Ranges bildet. Außerdem aber ist hier
notwendigerweise die Stelle, wo ein von Osten oder Südosten vordringender
Feind abgehalten werden muß, wenn man sich überhaupt östlich von der Weichsel
behaupten will; es entspricht also einem wahren Zwange der Verhältnisse, wenn
hier eine starke Festung angelegt worden ist. Und diese Festung ist nicht nur
ausgedehnt genug für eine ganze Armee und nach allen Grundsätzen der modernen
Befestigungskunst erbaut, so insbesondre mit einem Kranze meilenweit entfernter
Forts ausgerüstet, sondern sie ist auch, trotz der flachen Gegend, von der Natur
außerordentlich begünstigt. Eine kleine Meile unterhalb Königsbergs fällt
der Pregel in das frische Haff; diese Strecke wird von der Festung vvllstnndig
beherrscht. Soll also die Festung zernirt werden, so kann man die Verbindung
der feindlichen Truppenteile über den Prcgelstrom nur oberhalb Königsbergs
suchen. Hier aber beginnt etwa eine Meile von der Stadt entfernt ein Höhen-
zug mit sumpfigem Fuße, welcher das nördliche Prcgelufer bis gegen Tcipiau
hin begleitet und — in Verbindung mit der Neigung des Stromes, Arme
und zwischen denselben breite, sumpfige Inseln zu bilden — einen Übergang
oder die Herstellung von Brücken außerordentlich erschwert; es ist daher kaum
möglich, weiter unterhalb wie Tapiau die nördlich und südlich von dem Pregel
stehenden feindlichen Heerestcile miteinander in Kommunikation zu setzen, und
da dieser Ort fünf Meilen von Königsberg entfernt ist, so bewirkt dies die Un¬
möglichkeit, dem einen Teile von der andern Seite ans rechtzeitig zu Hilfe
kommen zu können. Es muß demgemäß jeder Truppenteil für sich allein stark
genug sein, der Besatzung überall Stand halten zu können. Dies ist nicht
alles. Da man der Festung das frische Haff nicht sperren kann, so ist jeder¬
zeit Zufuhr, Verstärkung, Benachrichtigung >>e. möglich, es sei denn, daß das
ganze Ufergebiet des Haffs bis an die Wcichsclmündnug, samt der frischen
Nehrung, vom Feinde besetzt werde, und auch dann noch ist Königsberg nicht
abgeschnitten, solange mir das die Öffnung des frischen Haffs in die Ostsee
beherrschende Pillau noch in unsern Händen ist. Pillau aber ist selbst eine
zwar kleine, aber starke, jetzt eben in der Erweiterung begriffene Festung und
kann der Natur der Dinge mich überhaupt nicht abgeschnitten werden, wenn
nicht der Feind die Ostsee beherrscht. Hier sind also alle nur möglichen Chancen
dargeboten, ein unverhältnismäßig starkes feindliches Heer auf lange Zeit an
der Mündung des Prcgels festhalten zu können und nach Gefallen die Offen¬
sive gegen dasselbe vvrzubeceiteu.


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[0236] Ästpreußische Skizzen. demgemäß für den Offizierstand und dessen zahllose Affiliirtc unter den Gutsbesitzerfamilien der Provinz spielt. Zunächst eine kurze Darlegung über die Faktoren, aus denen sich die militärische Wichtigkeit der Proviuzialhaupt- stadt zusammensetzt. Alle die Gründe, um derenwillen Königsberg den natur¬ gemäßen Zentralpunkt Ostpreußens bildet, veranlassen auch, daß die Hilfsquellen der Provinz hier zusammenströmen, und daß die Stadt also schon an und für sich ein militärisches Objekt ersten Ranges bildet. Außerdem aber ist hier notwendigerweise die Stelle, wo ein von Osten oder Südosten vordringender Feind abgehalten werden muß, wenn man sich überhaupt östlich von der Weichsel behaupten will; es entspricht also einem wahren Zwange der Verhältnisse, wenn hier eine starke Festung angelegt worden ist. Und diese Festung ist nicht nur ausgedehnt genug für eine ganze Armee und nach allen Grundsätzen der modernen Befestigungskunst erbaut, so insbesondre mit einem Kranze meilenweit entfernter Forts ausgerüstet, sondern sie ist auch, trotz der flachen Gegend, von der Natur außerordentlich begünstigt. Eine kleine Meile unterhalb Königsbergs fällt der Pregel in das frische Haff; diese Strecke wird von der Festung vvllstnndig beherrscht. Soll also die Festung zernirt werden, so kann man die Verbindung der feindlichen Truppenteile über den Prcgelstrom nur oberhalb Königsbergs suchen. Hier aber beginnt etwa eine Meile von der Stadt entfernt ein Höhen- zug mit sumpfigem Fuße, welcher das nördliche Prcgelufer bis gegen Tcipiau hin begleitet und — in Verbindung mit der Neigung des Stromes, Arme und zwischen denselben breite, sumpfige Inseln zu bilden — einen Übergang oder die Herstellung von Brücken außerordentlich erschwert; es ist daher kaum möglich, weiter unterhalb wie Tapiau die nördlich und südlich von dem Pregel stehenden feindlichen Heerestcile miteinander in Kommunikation zu setzen, und da dieser Ort fünf Meilen von Königsberg entfernt ist, so bewirkt dies die Un¬ möglichkeit, dem einen Teile von der andern Seite ans rechtzeitig zu Hilfe kommen zu können. Es muß demgemäß jeder Truppenteil für sich allein stark genug sein, der Besatzung überall Stand halten zu können. Dies ist nicht alles. Da man der Festung das frische Haff nicht sperren kann, so ist jeder¬ zeit Zufuhr, Verstärkung, Benachrichtigung >>e. möglich, es sei denn, daß das ganze Ufergebiet des Haffs bis an die Wcichsclmündnug, samt der frischen Nehrung, vom Feinde besetzt werde, und auch dann noch ist Königsberg nicht abgeschnitten, solange mir das die Öffnung des frischen Haffs in die Ostsee beherrschende Pillau noch in unsern Händen ist. Pillau aber ist selbst eine zwar kleine, aber starke, jetzt eben in der Erweiterung begriffene Festung und kann der Natur der Dinge mich überhaupt nicht abgeschnitten werden, wenn nicht der Feind die Ostsee beherrscht. Hier sind also alle nur möglichen Chancen dargeboten, ein unverhältnismäßig starkes feindliches Heer auf lange Zeit an der Mündung des Prcgels festhalten zu können und nach Gefallen die Offen¬ sive gegen dasselbe vvrzubeceiteu.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/236>, abgerufen am 22.07.2024.