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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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mit der Fahrwut bez. der Unlust, zu Fuße zu gehen, die den Ostpreußen
überhaupt auszeichnet, zum Teil aber auch mit den eigentümlichen Verhältnissen
des Königsberger Geschäftslebens zusammen. Die Stadt ist, wie schon angeführt,
nicht uur im höchsten und ausgedehntesten Wortsinne die Provinzialhanptstadt,
sondern auch der Mittelpunkt einer sehr produttcureichen Gegend, die ziemlich
nach allen Richtungen sich rund um die Stadt ausbreitet und durch die zahl¬
reichen Thore mit derselben in Verbindung steht. Die Folge ist, daß, wenn
auch natürlich die feineren Kaufläden (und es fehlt an solchen wahrlich nicht)
in gewissen Straßen der innern Stadt konzentrirt sind, doch das eigentliche
geschäftliche Leben zu allen Thoren hereinflutet und ein stark periphcrisches
Gepräge hat. Dazu kommt, daß der Haupthaudelsartilel für Königsberg
naturgemäß immer Getreide ist und daher die nach den ungeheuern, fast an
Hamburg erinnernden (nur daß sie nicht den Flecken zugekehrt sind) Speicher¬
gebäuden unterwegs befindlichen Lastwagen einem überall begegnen. Erwägt
man endlich, daß die Stadt verhältnismäßig sehr ausgedehnt ist, was bekanntlich
den Straßenverkehr nicht vermindert, sondern steigert, so kann man sich ein Bild
von dein in den innern Stadtteilen herrschenden Trubel machen. An manchen
Stellen, so an der Windgasse und in der Junkerstraße, kaun es selbst dem an
den Verkehr der Leipziger- und Friedrichstraße zu Berlin gewöhnten zeitweise
wirblig werden. Pferdebahnwagen, herrschaftliche Equipagen, Droschken, Last¬
wagen, Bauernwagen, Geschästsfuhrwerke aller Art bewegen sich zuweilen in
geradezu sinubctäubeuder Menge durcheinander und aneinander vorüber, und auch
der Fußgängerverkehr ist, allerdings mehr zu bestimmten Tageszeiten, ein sehr
bedeutender. Eine "stille Stadt" kaun man Königsberg also keinesfalls nennen.

Insbesondre für die Gutsbesitzer der Provinz ist hier das von Natur gegebene
allgemeine Rendezvous. Ja man kann sagen, daß zu den Vorwürfen, welche diesen
Herren mit einigem Grunde gemacht werden dürfen, eine häufig das rechte Maß
überschreitende Neigung gehört, nach Königsberg zu reisen und sich hier einmal
gütlich zu thun; deun natürlich bleibt es selten bei Erledigung von Geschäften,
Abstattung von Besuche" und allenfalls einem Theaterabend, sondern man glaubt
bei solchen Gelegenheiten auch etwas draufgehen lassen zu müssen. Bestimmte
Anlässe, zu denen man jährlich einigemale nach Königsberg reisen will, verstärken
diese Neigung: der im Frühjahre stattfindende große Pferdemarkt, die kurz vor
Weihnachten fallenden Generalversammlungen des landwirtschaftlichen Zentral¬
vereins und des Ostpreußischen Konservativen Vereins, für viele auch der
Provinziallandtag und die Prvvinzialshnode, u. a. Die bevorstehende Eröffnung
der Bahn nach Kranz wird noch ein weiteres Gewicht in die Wagschale werfen.
Kurz, die Bedeutung Königsbergs für den ostpreußischen Grundbesitz ist eher im
Wachsen als im Abnehmen.

Noch ein besondrer Umstand ist in dieser Hinsicht von der höchsten Be-
deutung: die militärische Wichtigkeit Königsbergs, und die Stelle, welche es


mit der Fahrwut bez. der Unlust, zu Fuße zu gehen, die den Ostpreußen
überhaupt auszeichnet, zum Teil aber auch mit den eigentümlichen Verhältnissen
des Königsberger Geschäftslebens zusammen. Die Stadt ist, wie schon angeführt,
nicht uur im höchsten und ausgedehntesten Wortsinne die Provinzialhanptstadt,
sondern auch der Mittelpunkt einer sehr produttcureichen Gegend, die ziemlich
nach allen Richtungen sich rund um die Stadt ausbreitet und durch die zahl¬
reichen Thore mit derselben in Verbindung steht. Die Folge ist, daß, wenn
auch natürlich die feineren Kaufläden (und es fehlt an solchen wahrlich nicht)
in gewissen Straßen der innern Stadt konzentrirt sind, doch das eigentliche
geschäftliche Leben zu allen Thoren hereinflutet und ein stark periphcrisches
Gepräge hat. Dazu kommt, daß der Haupthaudelsartilel für Königsberg
naturgemäß immer Getreide ist und daher die nach den ungeheuern, fast an
Hamburg erinnernden (nur daß sie nicht den Flecken zugekehrt sind) Speicher¬
gebäuden unterwegs befindlichen Lastwagen einem überall begegnen. Erwägt
man endlich, daß die Stadt verhältnismäßig sehr ausgedehnt ist, was bekanntlich
den Straßenverkehr nicht vermindert, sondern steigert, so kann man sich ein Bild
von dein in den innern Stadtteilen herrschenden Trubel machen. An manchen
Stellen, so an der Windgasse und in der Junkerstraße, kaun es selbst dem an
den Verkehr der Leipziger- und Friedrichstraße zu Berlin gewöhnten zeitweise
wirblig werden. Pferdebahnwagen, herrschaftliche Equipagen, Droschken, Last¬
wagen, Bauernwagen, Geschästsfuhrwerke aller Art bewegen sich zuweilen in
geradezu sinubctäubeuder Menge durcheinander und aneinander vorüber, und auch
der Fußgängerverkehr ist, allerdings mehr zu bestimmten Tageszeiten, ein sehr
bedeutender. Eine „stille Stadt" kaun man Königsberg also keinesfalls nennen.

Insbesondre für die Gutsbesitzer der Provinz ist hier das von Natur gegebene
allgemeine Rendezvous. Ja man kann sagen, daß zu den Vorwürfen, welche diesen
Herren mit einigem Grunde gemacht werden dürfen, eine häufig das rechte Maß
überschreitende Neigung gehört, nach Königsberg zu reisen und sich hier einmal
gütlich zu thun; deun natürlich bleibt es selten bei Erledigung von Geschäften,
Abstattung von Besuche» und allenfalls einem Theaterabend, sondern man glaubt
bei solchen Gelegenheiten auch etwas draufgehen lassen zu müssen. Bestimmte
Anlässe, zu denen man jährlich einigemale nach Königsberg reisen will, verstärken
diese Neigung: der im Frühjahre stattfindende große Pferdemarkt, die kurz vor
Weihnachten fallenden Generalversammlungen des landwirtschaftlichen Zentral¬
vereins und des Ostpreußischen Konservativen Vereins, für viele auch der
Provinziallandtag und die Prvvinzialshnode, u. a. Die bevorstehende Eröffnung
der Bahn nach Kranz wird noch ein weiteres Gewicht in die Wagschale werfen.
Kurz, die Bedeutung Königsbergs für den ostpreußischen Grundbesitz ist eher im
Wachsen als im Abnehmen.

Noch ein besondrer Umstand ist in dieser Hinsicht von der höchsten Be-
deutung: die militärische Wichtigkeit Königsbergs, und die Stelle, welche es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/235>, abgerufen am 25.08.2024.