Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Friedenscmssichtön und die Times.

Bedingung verständigen, daß sie in Ewigkeit uuüberschreitbar sei, und jeder Ver¬
ständige wird lächeln, weil er wissen wird, was solche Ewigkeit zu bedeuten hat,
d> h. drei oder vier Jahre, bis die Eisenbahn vom Kaspischen Meere nach Merw
und Sarachs fertig ist, unter Umständen nicht einmal so lange. Dann wird die Lo¬
sung Herat, vielleicht zugleich Kabul heißen, und wieder einige Jahre nachher werden
die Engländer am Indus Gelegenheit haben, zu zeigen, ob sie gegen die Er¬
oberer Mittelasiens mehr vermögen als im jetzigen Augenblicke. Sie haben
Zeit, sich auf diese Probe vorzubereiten. Das könnte aber nur durch völlige
Umgestaltung ihrer Militärverfassung nach kontinentalem Muster geschehen, und
da sich das nicht mit der hergebrachten parlamentarischen Einrichtung zu ver¬
tragen scheint, so wird es großen Schwierigkeiten begegnen. Auch Bundes¬
genossen wären nach dem Grundsätze alö rak clss zu gewinnen, aber auch das
würde den bisherigen Grundsätzen der britischen Politik, die nur nehmen, nicht
geben will, schwer werden. Für das Gerede, mit dem Blätter wie die 1imo8
um Freundschaft und gute Dienste werben, giebt der Kaufmann nichts. Gewiß
legt man bei uns Wert auf ein freundliches Verhältnis zu England, aber was
die Politiker im Redaktionszimmer der urnes dafür fordern, als ob es sich von
selber verstünde, versteht sich durchaus uicht von selbst. Englands Interesse ist
keineswegs immer unser Interesse, Englands Schade nicht unser Schade. Wir
haben den Engländern wenig zu danken und kaum etwas von ihnen zu hoffen,
was wir uns unter Umständen nicht selbst verschaffen könnten. Wir und Öster¬
reich stehen auf gutnachbarlichem Fuße mit Rußland und haben das dringende
Interesse ungestörten Fortdauerns dieses Verhältnisses, Dieses Bedürfnis dikiirt
jetzt unsre Haltung und wird sie unzweifelhaft weiterhin bestimmen, d. h. Deutsch¬
land und Österreich würden, falls es gegen unsre Erwartung zu einem Kriege
zwischen Nußland und England kommen sollte, sich neutral, etwa so neutral
verhalten wie England 1870. Es konnte damals den Krieg zwischen Deutsch¬
land und Frankreich verhüten, es that in dieser Richtung sogut wie nichts, und
es beobachtete dann eine Neutralität, die zu wünschen übrig ließ. Wir empfehlen
keine Rache für das, was damals englischerseits gegen Deutschland gesündigt
wurde, aber wir erwarten Wohlwollen gegen Rußland, weil das unser Interesse
verlangt, und wir wissen, daß man in Berlin nicht gesonnen ist, diplomatisch
oder sonstwie für die Engländer zu arbeiten, feurige Kohlen ans das Haupt
einer Nation zu sammeln, welche das durch den Mund ihrer Presse als Pflicht
und Schuldigkeit fordert, und uns die öffentliche Meinung in Rußland damit
zu entfremden. Wenn das der I'inuzs und andern Leuten nicht behagt, un¬
natürlich, unbegreiflich, tadelnswert erscheint -- je nun, so mögen sie es gesund
verschlucken und verdauen; wir sind uns, ganz so wie sie, selber die nächsten.

Noch eins. Die rimss vor allem hetzte zum Kriege, rasselte mit dem
Säbel und spielte nach Kräften den inilvs Florlosus. Sie erinnerte dabei an
ihr Verhalten vor dem Krimkriege, wo sie noch mehr als jetzt in ihren alten


Friedenscmssichtön und die Times.

Bedingung verständigen, daß sie in Ewigkeit uuüberschreitbar sei, und jeder Ver¬
ständige wird lächeln, weil er wissen wird, was solche Ewigkeit zu bedeuten hat,
d> h. drei oder vier Jahre, bis die Eisenbahn vom Kaspischen Meere nach Merw
und Sarachs fertig ist, unter Umständen nicht einmal so lange. Dann wird die Lo¬
sung Herat, vielleicht zugleich Kabul heißen, und wieder einige Jahre nachher werden
die Engländer am Indus Gelegenheit haben, zu zeigen, ob sie gegen die Er¬
oberer Mittelasiens mehr vermögen als im jetzigen Augenblicke. Sie haben
Zeit, sich auf diese Probe vorzubereiten. Das könnte aber nur durch völlige
Umgestaltung ihrer Militärverfassung nach kontinentalem Muster geschehen, und
da sich das nicht mit der hergebrachten parlamentarischen Einrichtung zu ver¬
tragen scheint, so wird es großen Schwierigkeiten begegnen. Auch Bundes¬
genossen wären nach dem Grundsätze alö rak clss zu gewinnen, aber auch das
würde den bisherigen Grundsätzen der britischen Politik, die nur nehmen, nicht
geben will, schwer werden. Für das Gerede, mit dem Blätter wie die 1imo8
um Freundschaft und gute Dienste werben, giebt der Kaufmann nichts. Gewiß
legt man bei uns Wert auf ein freundliches Verhältnis zu England, aber was
die Politiker im Redaktionszimmer der urnes dafür fordern, als ob es sich von
selber verstünde, versteht sich durchaus uicht von selbst. Englands Interesse ist
keineswegs immer unser Interesse, Englands Schade nicht unser Schade. Wir
haben den Engländern wenig zu danken und kaum etwas von ihnen zu hoffen,
was wir uns unter Umständen nicht selbst verschaffen könnten. Wir und Öster¬
reich stehen auf gutnachbarlichem Fuße mit Rußland und haben das dringende
Interesse ungestörten Fortdauerns dieses Verhältnisses, Dieses Bedürfnis dikiirt
jetzt unsre Haltung und wird sie unzweifelhaft weiterhin bestimmen, d. h. Deutsch¬
land und Österreich würden, falls es gegen unsre Erwartung zu einem Kriege
zwischen Nußland und England kommen sollte, sich neutral, etwa so neutral
verhalten wie England 1870. Es konnte damals den Krieg zwischen Deutsch¬
land und Frankreich verhüten, es that in dieser Richtung sogut wie nichts, und
es beobachtete dann eine Neutralität, die zu wünschen übrig ließ. Wir empfehlen
keine Rache für das, was damals englischerseits gegen Deutschland gesündigt
wurde, aber wir erwarten Wohlwollen gegen Rußland, weil das unser Interesse
verlangt, und wir wissen, daß man in Berlin nicht gesonnen ist, diplomatisch
oder sonstwie für die Engländer zu arbeiten, feurige Kohlen ans das Haupt
einer Nation zu sammeln, welche das durch den Mund ihrer Presse als Pflicht
und Schuldigkeit fordert, und uns die öffentliche Meinung in Rußland damit
zu entfremden. Wenn das der I'inuzs und andern Leuten nicht behagt, un¬
natürlich, unbegreiflich, tadelnswert erscheint — je nun, so mögen sie es gesund
verschlucken und verdauen; wir sind uns, ganz so wie sie, selber die nächsten.

Noch eins. Die rimss vor allem hetzte zum Kriege, rasselte mit dem
Säbel und spielte nach Kräften den inilvs Florlosus. Sie erinnerte dabei an
ihr Verhalten vor dem Krimkriege, wo sie noch mehr als jetzt in ihren alten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0225" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195614"/>
          <fw type="header" place="top"> Friedenscmssichtön und die Times.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_800" prev="#ID_799"> Bedingung verständigen, daß sie in Ewigkeit uuüberschreitbar sei, und jeder Ver¬<lb/>
ständige wird lächeln, weil er wissen wird, was solche Ewigkeit zu bedeuten hat,<lb/>
d&gt; h. drei oder vier Jahre, bis die Eisenbahn vom Kaspischen Meere nach Merw<lb/>
und Sarachs fertig ist, unter Umständen nicht einmal so lange. Dann wird die Lo¬<lb/>
sung Herat, vielleicht zugleich Kabul heißen, und wieder einige Jahre nachher werden<lb/>
die Engländer am Indus Gelegenheit haben, zu zeigen, ob sie gegen die Er¬<lb/>
oberer Mittelasiens mehr vermögen als im jetzigen Augenblicke. Sie haben<lb/>
Zeit, sich auf diese Probe vorzubereiten. Das könnte aber nur durch völlige<lb/>
Umgestaltung ihrer Militärverfassung nach kontinentalem Muster geschehen, und<lb/>
da sich das nicht mit der hergebrachten parlamentarischen Einrichtung zu ver¬<lb/>
tragen scheint, so wird es großen Schwierigkeiten begegnen. Auch Bundes¬<lb/>
genossen wären nach dem Grundsätze alö rak clss zu gewinnen, aber auch das<lb/>
würde den bisherigen Grundsätzen der britischen Politik, die nur nehmen, nicht<lb/>
geben will, schwer werden. Für das Gerede, mit dem Blätter wie die 1imo8<lb/>
um Freundschaft und gute Dienste werben, giebt der Kaufmann nichts. Gewiß<lb/>
legt man bei uns Wert auf ein freundliches Verhältnis zu England, aber was<lb/>
die Politiker im Redaktionszimmer der urnes dafür fordern, als ob es sich von<lb/>
selber verstünde, versteht sich durchaus uicht von selbst. Englands Interesse ist<lb/>
keineswegs immer unser Interesse, Englands Schade nicht unser Schade. Wir<lb/>
haben den Engländern wenig zu danken und kaum etwas von ihnen zu hoffen,<lb/>
was wir uns unter Umständen nicht selbst verschaffen könnten. Wir und Öster¬<lb/>
reich stehen auf gutnachbarlichem Fuße mit Rußland und haben das dringende<lb/>
Interesse ungestörten Fortdauerns dieses Verhältnisses, Dieses Bedürfnis dikiirt<lb/>
jetzt unsre Haltung und wird sie unzweifelhaft weiterhin bestimmen, d. h. Deutsch¬<lb/>
land und Österreich würden, falls es gegen unsre Erwartung zu einem Kriege<lb/>
zwischen Nußland und England kommen sollte, sich neutral, etwa so neutral<lb/>
verhalten wie England 1870. Es konnte damals den Krieg zwischen Deutsch¬<lb/>
land und Frankreich verhüten, es that in dieser Richtung sogut wie nichts, und<lb/>
es beobachtete dann eine Neutralität, die zu wünschen übrig ließ. Wir empfehlen<lb/>
keine Rache für das, was damals englischerseits gegen Deutschland gesündigt<lb/>
wurde, aber wir erwarten Wohlwollen gegen Rußland, weil das unser Interesse<lb/>
verlangt, und wir wissen, daß man in Berlin nicht gesonnen ist, diplomatisch<lb/>
oder sonstwie für die Engländer zu arbeiten, feurige Kohlen ans das Haupt<lb/>
einer Nation zu sammeln, welche das durch den Mund ihrer Presse als Pflicht<lb/>
und Schuldigkeit fordert, und uns die öffentliche Meinung in Rußland damit<lb/>
zu entfremden. Wenn das der I'inuzs und andern Leuten nicht behagt, un¬<lb/>
natürlich, unbegreiflich, tadelnswert erscheint &#x2014; je nun, so mögen sie es gesund<lb/>
verschlucken und verdauen; wir sind uns, ganz so wie sie, selber die nächsten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_801" next="#ID_802"> Noch eins. Die rimss vor allem hetzte zum Kriege, rasselte mit dem<lb/>
Säbel und spielte nach Kräften den inilvs Florlosus. Sie erinnerte dabei an<lb/>
ihr Verhalten vor dem Krimkriege, wo sie noch mehr als jetzt in ihren alten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0225] Friedenscmssichtön und die Times. Bedingung verständigen, daß sie in Ewigkeit uuüberschreitbar sei, und jeder Ver¬ ständige wird lächeln, weil er wissen wird, was solche Ewigkeit zu bedeuten hat, d> h. drei oder vier Jahre, bis die Eisenbahn vom Kaspischen Meere nach Merw und Sarachs fertig ist, unter Umständen nicht einmal so lange. Dann wird die Lo¬ sung Herat, vielleicht zugleich Kabul heißen, und wieder einige Jahre nachher werden die Engländer am Indus Gelegenheit haben, zu zeigen, ob sie gegen die Er¬ oberer Mittelasiens mehr vermögen als im jetzigen Augenblicke. Sie haben Zeit, sich auf diese Probe vorzubereiten. Das könnte aber nur durch völlige Umgestaltung ihrer Militärverfassung nach kontinentalem Muster geschehen, und da sich das nicht mit der hergebrachten parlamentarischen Einrichtung zu ver¬ tragen scheint, so wird es großen Schwierigkeiten begegnen. Auch Bundes¬ genossen wären nach dem Grundsätze alö rak clss zu gewinnen, aber auch das würde den bisherigen Grundsätzen der britischen Politik, die nur nehmen, nicht geben will, schwer werden. Für das Gerede, mit dem Blätter wie die 1imo8 um Freundschaft und gute Dienste werben, giebt der Kaufmann nichts. Gewiß legt man bei uns Wert auf ein freundliches Verhältnis zu England, aber was die Politiker im Redaktionszimmer der urnes dafür fordern, als ob es sich von selber verstünde, versteht sich durchaus uicht von selbst. Englands Interesse ist keineswegs immer unser Interesse, Englands Schade nicht unser Schade. Wir haben den Engländern wenig zu danken und kaum etwas von ihnen zu hoffen, was wir uns unter Umständen nicht selbst verschaffen könnten. Wir und Öster¬ reich stehen auf gutnachbarlichem Fuße mit Rußland und haben das dringende Interesse ungestörten Fortdauerns dieses Verhältnisses, Dieses Bedürfnis dikiirt jetzt unsre Haltung und wird sie unzweifelhaft weiterhin bestimmen, d. h. Deutsch¬ land und Österreich würden, falls es gegen unsre Erwartung zu einem Kriege zwischen Nußland und England kommen sollte, sich neutral, etwa so neutral verhalten wie England 1870. Es konnte damals den Krieg zwischen Deutsch¬ land und Frankreich verhüten, es that in dieser Richtung sogut wie nichts, und es beobachtete dann eine Neutralität, die zu wünschen übrig ließ. Wir empfehlen keine Rache für das, was damals englischerseits gegen Deutschland gesündigt wurde, aber wir erwarten Wohlwollen gegen Rußland, weil das unser Interesse verlangt, und wir wissen, daß man in Berlin nicht gesonnen ist, diplomatisch oder sonstwie für die Engländer zu arbeiten, feurige Kohlen ans das Haupt einer Nation zu sammeln, welche das durch den Mund ihrer Presse als Pflicht und Schuldigkeit fordert, und uns die öffentliche Meinung in Rußland damit zu entfremden. Wenn das der I'inuzs und andern Leuten nicht behagt, un¬ natürlich, unbegreiflich, tadelnswert erscheint — je nun, so mögen sie es gesund verschlucken und verdauen; wir sind uns, ganz so wie sie, selber die nächsten. Noch eins. Die rimss vor allem hetzte zum Kriege, rasselte mit dem Säbel und spielte nach Kräften den inilvs Florlosus. Sie erinnerte dabei an ihr Verhalten vor dem Krimkriege, wo sie noch mehr als jetzt in ihren alten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/225
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/225>, abgerufen am 22.07.2024.