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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Fnedeusausfichten und die Times.

lauten nicht unbillig. Das Land ist streitig, aber selbst eine englische Karte
läßt die Grenze weiter südlich laufen, als man sie jetzt in London ziehen möchte.
Es ist von Turkmenen bewohnt, soweit es überhaupt Bewohner hat, und Ru߬
land beansprucht eS zunächst deshalb, weil es ethnographisch zu dem ihm ge¬
hörigen Turkestan zu rechnen ist, dann aber, um auf seinem Gebiete die Ord¬
nung aufrecht erhalten zu können. Es muß im Süden desselben gute Nachbarn
haben. Die Saryk - Turkmenen am Kaschk und Margab aber sind Räuber,
welche durch ihre Plünderungszüge und Sklavenjagden nicht nur die von Natur
sehr fruchtbaren Gegenden zwischen jenen Flüssen und dem Herirud fast ganz
entvölkert "ud wüste gelegt haben, sondern dieses Unwesen nach Russisch-Tur¬
kestan auszudehnen drohen. Um ihnen das verbieten zu können, muß mau
über sie gebieten.

Insofern wäre gegen das Begehren der Russen nichts einzuwenden. Aber
das von ihnen verlangte Gebiet würde sie auch dem Besitze von Herat wesent¬
lich näher bringen. Wenn Rußland seine Grenze bis Pcndschdeh, wo Kaschk
und Margab sich vereinigen, vorschieben darf, so gewinnt es strategisch und
taktisch folgende sehr wertvolle Vorteile: 1. Die Straße nach Herat, welche durch
das Kaschk-Thal nach einem Passe hinführt, aus dem man nach Kuschan im
Herirud-Thale gelangt, wo weiter stromaufwärts Herat liegt; 2. eine Stellung,
von der aus sich der Paß bei der Furt von Zalsikar umgehen läßt, wenn der¬
selbe von Truppen zur Verteidigung Hcrats besetzt ist; 3. die Beherrschung der
Hauptstraße zwischen letzterer Stadt und Bates und weiter nach Kabul;
4. mehrere Bergstraßen am Kaschk, welche durch andre Pässe nach Herat führen.
Durch Wegnahme der Furt bei Zalfikar wäre deu Russen der Marsch von
Mesched, wo zwei große Straßen dnrch Chomsscm sich vereinigen, nach dem
rechten (afghanischen) Ufer des Herirud gesichert. Gelangen die Russen in den
Besitz dieser Punkte, so sind sie in der Lage, auf mehreren Wegen zugleich
gegen Herat weiterzumarschiren, während keiner derselben ihnen offenstünde, wenn
die Afghanen Pendschdeh, Ak Nobat und Zalfikar behielten. Die Russen könnten
in jenem Falle von Pendschdeh aus beliebig nach Herat oder nach Kabul (über
Bates) vordringen. Jenes kann von Pendschdeh in zehn, von Zalfikar in sieben
Tagemärschen erreicht werden.

Trotz alledem müssen wir nach unsern Informationen dabei bleiben, daß
die englische Regierung nicht genug Mittel zur Hand hat und ihre militärische
Macht nicht rasch genng zu verstärken imstande ist, um den Russen thatsächlich
Widerstand leisten zu können, wenn sie jene Grenze mit den sür Herat und
Kabul gefährlichen Punkten fordern und dabei beharren. Man wird daher
aller Wahrscheinlichkeit plans über kurz oder lang auf die Ansprüche der rus¬
sischen Diplomatie eingehen, nachdem man einen Modus gesucht und gefunden
hat, der den Grund der Nachgiebigkeit leidlich verdeckt. Man wird sich mit den
Russen über die erstrebte neue Grenze unter der mehr oder minder bestimmten


Fnedeusausfichten und die Times.

lauten nicht unbillig. Das Land ist streitig, aber selbst eine englische Karte
läßt die Grenze weiter südlich laufen, als man sie jetzt in London ziehen möchte.
Es ist von Turkmenen bewohnt, soweit es überhaupt Bewohner hat, und Ru߬
land beansprucht eS zunächst deshalb, weil es ethnographisch zu dem ihm ge¬
hörigen Turkestan zu rechnen ist, dann aber, um auf seinem Gebiete die Ord¬
nung aufrecht erhalten zu können. Es muß im Süden desselben gute Nachbarn
haben. Die Saryk - Turkmenen am Kaschk und Margab aber sind Räuber,
welche durch ihre Plünderungszüge und Sklavenjagden nicht nur die von Natur
sehr fruchtbaren Gegenden zwischen jenen Flüssen und dem Herirud fast ganz
entvölkert »ud wüste gelegt haben, sondern dieses Unwesen nach Russisch-Tur¬
kestan auszudehnen drohen. Um ihnen das verbieten zu können, muß mau
über sie gebieten.

Insofern wäre gegen das Begehren der Russen nichts einzuwenden. Aber
das von ihnen verlangte Gebiet würde sie auch dem Besitze von Herat wesent¬
lich näher bringen. Wenn Rußland seine Grenze bis Pcndschdeh, wo Kaschk
und Margab sich vereinigen, vorschieben darf, so gewinnt es strategisch und
taktisch folgende sehr wertvolle Vorteile: 1. Die Straße nach Herat, welche durch
das Kaschk-Thal nach einem Passe hinführt, aus dem man nach Kuschan im
Herirud-Thale gelangt, wo weiter stromaufwärts Herat liegt; 2. eine Stellung,
von der aus sich der Paß bei der Furt von Zalsikar umgehen läßt, wenn der¬
selbe von Truppen zur Verteidigung Hcrats besetzt ist; 3. die Beherrschung der
Hauptstraße zwischen letzterer Stadt und Bates und weiter nach Kabul;
4. mehrere Bergstraßen am Kaschk, welche durch andre Pässe nach Herat führen.
Durch Wegnahme der Furt bei Zalfikar wäre deu Russen der Marsch von
Mesched, wo zwei große Straßen dnrch Chomsscm sich vereinigen, nach dem
rechten (afghanischen) Ufer des Herirud gesichert. Gelangen die Russen in den
Besitz dieser Punkte, so sind sie in der Lage, auf mehreren Wegen zugleich
gegen Herat weiterzumarschiren, während keiner derselben ihnen offenstünde, wenn
die Afghanen Pendschdeh, Ak Nobat und Zalfikar behielten. Die Russen könnten
in jenem Falle von Pendschdeh aus beliebig nach Herat oder nach Kabul (über
Bates) vordringen. Jenes kann von Pendschdeh in zehn, von Zalfikar in sieben
Tagemärschen erreicht werden.

Trotz alledem müssen wir nach unsern Informationen dabei bleiben, daß
die englische Regierung nicht genug Mittel zur Hand hat und ihre militärische
Macht nicht rasch genng zu verstärken imstande ist, um den Russen thatsächlich
Widerstand leisten zu können, wenn sie jene Grenze mit den sür Herat und
Kabul gefährlichen Punkten fordern und dabei beharren. Man wird daher
aller Wahrscheinlichkeit plans über kurz oder lang auf die Ansprüche der rus¬
sischen Diplomatie eingehen, nachdem man einen Modus gesucht und gefunden
hat, der den Grund der Nachgiebigkeit leidlich verdeckt. Man wird sich mit den
Russen über die erstrebte neue Grenze unter der mehr oder minder bestimmten


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[0224] Fnedeusausfichten und die Times. lauten nicht unbillig. Das Land ist streitig, aber selbst eine englische Karte läßt die Grenze weiter südlich laufen, als man sie jetzt in London ziehen möchte. Es ist von Turkmenen bewohnt, soweit es überhaupt Bewohner hat, und Ru߬ land beansprucht eS zunächst deshalb, weil es ethnographisch zu dem ihm ge¬ hörigen Turkestan zu rechnen ist, dann aber, um auf seinem Gebiete die Ord¬ nung aufrecht erhalten zu können. Es muß im Süden desselben gute Nachbarn haben. Die Saryk - Turkmenen am Kaschk und Margab aber sind Räuber, welche durch ihre Plünderungszüge und Sklavenjagden nicht nur die von Natur sehr fruchtbaren Gegenden zwischen jenen Flüssen und dem Herirud fast ganz entvölkert »ud wüste gelegt haben, sondern dieses Unwesen nach Russisch-Tur¬ kestan auszudehnen drohen. Um ihnen das verbieten zu können, muß mau über sie gebieten. Insofern wäre gegen das Begehren der Russen nichts einzuwenden. Aber das von ihnen verlangte Gebiet würde sie auch dem Besitze von Herat wesent¬ lich näher bringen. Wenn Rußland seine Grenze bis Pcndschdeh, wo Kaschk und Margab sich vereinigen, vorschieben darf, so gewinnt es strategisch und taktisch folgende sehr wertvolle Vorteile: 1. Die Straße nach Herat, welche durch das Kaschk-Thal nach einem Passe hinführt, aus dem man nach Kuschan im Herirud-Thale gelangt, wo weiter stromaufwärts Herat liegt; 2. eine Stellung, von der aus sich der Paß bei der Furt von Zalsikar umgehen läßt, wenn der¬ selbe von Truppen zur Verteidigung Hcrats besetzt ist; 3. die Beherrschung der Hauptstraße zwischen letzterer Stadt und Bates und weiter nach Kabul; 4. mehrere Bergstraßen am Kaschk, welche durch andre Pässe nach Herat führen. Durch Wegnahme der Furt bei Zalfikar wäre deu Russen der Marsch von Mesched, wo zwei große Straßen dnrch Chomsscm sich vereinigen, nach dem rechten (afghanischen) Ufer des Herirud gesichert. Gelangen die Russen in den Besitz dieser Punkte, so sind sie in der Lage, auf mehreren Wegen zugleich gegen Herat weiterzumarschiren, während keiner derselben ihnen offenstünde, wenn die Afghanen Pendschdeh, Ak Nobat und Zalfikar behielten. Die Russen könnten in jenem Falle von Pendschdeh aus beliebig nach Herat oder nach Kabul (über Bates) vordringen. Jenes kann von Pendschdeh in zehn, von Zalfikar in sieben Tagemärschen erreicht werden. Trotz alledem müssen wir nach unsern Informationen dabei bleiben, daß die englische Regierung nicht genug Mittel zur Hand hat und ihre militärische Macht nicht rasch genng zu verstärken imstande ist, um den Russen thatsächlich Widerstand leisten zu können, wenn sie jene Grenze mit den sür Herat und Kabul gefährlichen Punkten fordern und dabei beharren. Man wird daher aller Wahrscheinlichkeit plans über kurz oder lang auf die Ansprüche der rus¬ sischen Diplomatie eingehen, nachdem man einen Modus gesucht und gefunden hat, der den Grund der Nachgiebigkeit leidlich verdeckt. Man wird sich mit den Russen über die erstrebte neue Grenze unter der mehr oder minder bestimmten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/224>, abgerufen am 22.07.2024.