Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Wenden und der Panslawismus.

unterrichte teilnehmen, ist im Interesse ihrer geistigen Entwicklung, sowie ihres
Verkehrs mit der wendisch redenden Bevölkerung nur von Vorteil für sie und
wird ihnen auch durch den Umgang mit den wendischen Kindern in jeder Weise
erleichtert. Wenn aber schon aus rein pädagogischen Gründen die Berück¬
sichtigung des Wendischen auf der untersten Stufe des Unterrichts geboten er¬
scheint, um wie viel mehr beim Religionsunterrichte! Was von den Erwachsenen
gilt, gilt in noch höherem Maße von den Kindern. Da ihre Erziehung bis
zum Eintritt? in die Schule ihnen durch die Eltern in wendischer Sprache ver¬
mittelt wird, so würde ihnen der Religionsunterricht in deutscher Sprache in
der That als etwas fremdartiges entgegentreten, und ein zum Herzen gehendes,
lebensvolles Erfassen der Religion würde dadurch zum mindesten außerordentlich
erschwert, für weniger Begabte aber wohl fast unmöglich gemacht werden. Durch
den Ausschluß der Muttersprache im Religionsunterrichte würde nur das erreicht
werden, daß die Religion aus einer Herzenssache in auswendig gelernten, un¬
verstandenen Formelkram verwandelt werden würde. In richtiger Erkenntnis
dieser Konsequenzen ist darum an den sächsischen Volksschulen die Einrichtung
getroffen, daß der Unterricht in der Religion und im Lesen in beiden Sprachen
erteilt wird, und zwar in der Weise, daß das Tagespensum, sei es biblische
Geschichte oder Katechismuslehre, das einemal wendisch vorgetragen und deutsch
repetirt, das andremal deutsch vorgetragen und wendisch repetirt wird, sowie
daß die deutschen Kinder sich die Bibelsprüche, die Hauptstücke und die Lieder
in deutscher Sprache, die wendischen aber in wendischer Sprache aneignen,
wobei die befähigteren von den letzteren, sobald sie den wendischen Mcmorir-
stoff bewältigt haben, angehalten werden, auch von dem deutschen Memorirstosfe
sich nach und nach soviel als möglich anzueignen; in allen übrigen Unterrichts^
gegenständen wird der Unterricht in deutscher Sprache erteilt, nur daß dabei
in der Unterklasse der Überleitung wegen je nach Bedürfnis die wendische
Sprache mit herangezogen werden muß. Auch das preußische Ministerium steht
im wesentlichen auf demselben Standpunkte, insofern es will, daß die wendischen
Kinder die deutsche Sprache wohl erlernen, nicht aber, daß das wendische Idiom
aus den Schulen verdrängt werde.

Was zum Schlüsse die Verdächtigungen betrifft, daß die wendische Agitation
panslawistische Tendenzen verfolge, so können wir uns darüber kurz fassen, da
diese Frage den "Wendenkönig" nur mittelbar berührt, insofern diese Be¬
strebungen vor allem auf den am 13. Juni 1884 verstorbenen Redakteur der in
Beuchen erscheinenden wendischen Zeitung LördsKiz I^vom^, Schmaler, zurückgeführt
wurden. Es wird den meisten Lesern in der Erinnerung sein, welches Aufsehen
in weitesten Kreisen dadurch hervorgerufen wurde, daß Schmaler im Jahre 1867
einer Einladung zu der in Moskau, veranstalteten ethnographischen Ausstellung,
welche zu beschicken man auch die außerrussischen Slawen eingeladen hatte, Folge
leistete, bei welcher Gelegenheit Kaiser Alexander anch seinen "slawischen


Die Wenden und der Panslawismus.

unterrichte teilnehmen, ist im Interesse ihrer geistigen Entwicklung, sowie ihres
Verkehrs mit der wendisch redenden Bevölkerung nur von Vorteil für sie und
wird ihnen auch durch den Umgang mit den wendischen Kindern in jeder Weise
erleichtert. Wenn aber schon aus rein pädagogischen Gründen die Berück¬
sichtigung des Wendischen auf der untersten Stufe des Unterrichts geboten er¬
scheint, um wie viel mehr beim Religionsunterrichte! Was von den Erwachsenen
gilt, gilt in noch höherem Maße von den Kindern. Da ihre Erziehung bis
zum Eintritt? in die Schule ihnen durch die Eltern in wendischer Sprache ver¬
mittelt wird, so würde ihnen der Religionsunterricht in deutscher Sprache in
der That als etwas fremdartiges entgegentreten, und ein zum Herzen gehendes,
lebensvolles Erfassen der Religion würde dadurch zum mindesten außerordentlich
erschwert, für weniger Begabte aber wohl fast unmöglich gemacht werden. Durch
den Ausschluß der Muttersprache im Religionsunterrichte würde nur das erreicht
werden, daß die Religion aus einer Herzenssache in auswendig gelernten, un¬
verstandenen Formelkram verwandelt werden würde. In richtiger Erkenntnis
dieser Konsequenzen ist darum an den sächsischen Volksschulen die Einrichtung
getroffen, daß der Unterricht in der Religion und im Lesen in beiden Sprachen
erteilt wird, und zwar in der Weise, daß das Tagespensum, sei es biblische
Geschichte oder Katechismuslehre, das einemal wendisch vorgetragen und deutsch
repetirt, das andremal deutsch vorgetragen und wendisch repetirt wird, sowie
daß die deutschen Kinder sich die Bibelsprüche, die Hauptstücke und die Lieder
in deutscher Sprache, die wendischen aber in wendischer Sprache aneignen,
wobei die befähigteren von den letzteren, sobald sie den wendischen Mcmorir-
stoff bewältigt haben, angehalten werden, auch von dem deutschen Memorirstosfe
sich nach und nach soviel als möglich anzueignen; in allen übrigen Unterrichts^
gegenständen wird der Unterricht in deutscher Sprache erteilt, nur daß dabei
in der Unterklasse der Überleitung wegen je nach Bedürfnis die wendische
Sprache mit herangezogen werden muß. Auch das preußische Ministerium steht
im wesentlichen auf demselben Standpunkte, insofern es will, daß die wendischen
Kinder die deutsche Sprache wohl erlernen, nicht aber, daß das wendische Idiom
aus den Schulen verdrängt werde.

Was zum Schlüsse die Verdächtigungen betrifft, daß die wendische Agitation
panslawistische Tendenzen verfolge, so können wir uns darüber kurz fassen, da
diese Frage den „Wendenkönig" nur mittelbar berührt, insofern diese Be¬
strebungen vor allem auf den am 13. Juni 1884 verstorbenen Redakteur der in
Beuchen erscheinenden wendischen Zeitung LördsKiz I^vom^, Schmaler, zurückgeführt
wurden. Es wird den meisten Lesern in der Erinnerung sein, welches Aufsehen
in weitesten Kreisen dadurch hervorgerufen wurde, daß Schmaler im Jahre 1867
einer Einladung zu der in Moskau, veranstalteten ethnographischen Ausstellung,
welche zu beschicken man auch die außerrussischen Slawen eingeladen hatte, Folge
leistete, bei welcher Gelegenheit Kaiser Alexander anch seinen „slawischen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0187" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195576"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Wenden und der Panslawismus.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_638" prev="#ID_637"> unterrichte teilnehmen, ist im Interesse ihrer geistigen Entwicklung, sowie ihres<lb/>
Verkehrs mit der wendisch redenden Bevölkerung nur von Vorteil für sie und<lb/>
wird ihnen auch durch den Umgang mit den wendischen Kindern in jeder Weise<lb/>
erleichtert. Wenn aber schon aus rein pädagogischen Gründen die Berück¬<lb/>
sichtigung des Wendischen auf der untersten Stufe des Unterrichts geboten er¬<lb/>
scheint, um wie viel mehr beim Religionsunterrichte! Was von den Erwachsenen<lb/>
gilt, gilt in noch höherem Maße von den Kindern. Da ihre Erziehung bis<lb/>
zum Eintritt? in die Schule ihnen durch die Eltern in wendischer Sprache ver¬<lb/>
mittelt wird, so würde ihnen der Religionsunterricht in deutscher Sprache in<lb/>
der That als etwas fremdartiges entgegentreten, und ein zum Herzen gehendes,<lb/>
lebensvolles Erfassen der Religion würde dadurch zum mindesten außerordentlich<lb/>
erschwert, für weniger Begabte aber wohl fast unmöglich gemacht werden. Durch<lb/>
den Ausschluß der Muttersprache im Religionsunterrichte würde nur das erreicht<lb/>
werden, daß die Religion aus einer Herzenssache in auswendig gelernten, un¬<lb/>
verstandenen Formelkram verwandelt werden würde. In richtiger Erkenntnis<lb/>
dieser Konsequenzen ist darum an den sächsischen Volksschulen die Einrichtung<lb/>
getroffen, daß der Unterricht in der Religion und im Lesen in beiden Sprachen<lb/>
erteilt wird, und zwar in der Weise, daß das Tagespensum, sei es biblische<lb/>
Geschichte oder Katechismuslehre, das einemal wendisch vorgetragen und deutsch<lb/>
repetirt, das andremal deutsch vorgetragen und wendisch repetirt wird, sowie<lb/>
daß die deutschen Kinder sich die Bibelsprüche, die Hauptstücke und die Lieder<lb/>
in deutscher Sprache, die wendischen aber in wendischer Sprache aneignen,<lb/>
wobei die befähigteren von den letzteren, sobald sie den wendischen Mcmorir-<lb/>
stoff bewältigt haben, angehalten werden, auch von dem deutschen Memorirstosfe<lb/>
sich nach und nach soviel als möglich anzueignen; in allen übrigen Unterrichts^<lb/>
gegenständen wird der Unterricht in deutscher Sprache erteilt, nur daß dabei<lb/>
in der Unterklasse der Überleitung wegen je nach Bedürfnis die wendische<lb/>
Sprache mit herangezogen werden muß. Auch das preußische Ministerium steht<lb/>
im wesentlichen auf demselben Standpunkte, insofern es will, daß die wendischen<lb/>
Kinder die deutsche Sprache wohl erlernen, nicht aber, daß das wendische Idiom<lb/>
aus den Schulen verdrängt werde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_639" next="#ID_640"> Was zum Schlüsse die Verdächtigungen betrifft, daß die wendische Agitation<lb/>
panslawistische Tendenzen verfolge, so können wir uns darüber kurz fassen, da<lb/>
diese Frage den &#x201E;Wendenkönig" nur mittelbar berührt, insofern diese Be¬<lb/>
strebungen vor allem auf den am 13. Juni 1884 verstorbenen Redakteur der in<lb/>
Beuchen erscheinenden wendischen Zeitung LördsKiz I^vom^, Schmaler, zurückgeführt<lb/>
wurden. Es wird den meisten Lesern in der Erinnerung sein, welches Aufsehen<lb/>
in weitesten Kreisen dadurch hervorgerufen wurde, daß Schmaler im Jahre 1867<lb/>
einer Einladung zu der in Moskau, veranstalteten ethnographischen Ausstellung,<lb/>
welche zu beschicken man auch die außerrussischen Slawen eingeladen hatte, Folge<lb/>
leistete, bei welcher Gelegenheit Kaiser Alexander anch seinen &#x201E;slawischen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0187] Die Wenden und der Panslawismus. unterrichte teilnehmen, ist im Interesse ihrer geistigen Entwicklung, sowie ihres Verkehrs mit der wendisch redenden Bevölkerung nur von Vorteil für sie und wird ihnen auch durch den Umgang mit den wendischen Kindern in jeder Weise erleichtert. Wenn aber schon aus rein pädagogischen Gründen die Berück¬ sichtigung des Wendischen auf der untersten Stufe des Unterrichts geboten er¬ scheint, um wie viel mehr beim Religionsunterrichte! Was von den Erwachsenen gilt, gilt in noch höherem Maße von den Kindern. Da ihre Erziehung bis zum Eintritt? in die Schule ihnen durch die Eltern in wendischer Sprache ver¬ mittelt wird, so würde ihnen der Religionsunterricht in deutscher Sprache in der That als etwas fremdartiges entgegentreten, und ein zum Herzen gehendes, lebensvolles Erfassen der Religion würde dadurch zum mindesten außerordentlich erschwert, für weniger Begabte aber wohl fast unmöglich gemacht werden. Durch den Ausschluß der Muttersprache im Religionsunterrichte würde nur das erreicht werden, daß die Religion aus einer Herzenssache in auswendig gelernten, un¬ verstandenen Formelkram verwandelt werden würde. In richtiger Erkenntnis dieser Konsequenzen ist darum an den sächsischen Volksschulen die Einrichtung getroffen, daß der Unterricht in der Religion und im Lesen in beiden Sprachen erteilt wird, und zwar in der Weise, daß das Tagespensum, sei es biblische Geschichte oder Katechismuslehre, das einemal wendisch vorgetragen und deutsch repetirt, das andremal deutsch vorgetragen und wendisch repetirt wird, sowie daß die deutschen Kinder sich die Bibelsprüche, die Hauptstücke und die Lieder in deutscher Sprache, die wendischen aber in wendischer Sprache aneignen, wobei die befähigteren von den letzteren, sobald sie den wendischen Mcmorir- stoff bewältigt haben, angehalten werden, auch von dem deutschen Memorirstosfe sich nach und nach soviel als möglich anzueignen; in allen übrigen Unterrichts^ gegenständen wird der Unterricht in deutscher Sprache erteilt, nur daß dabei in der Unterklasse der Überleitung wegen je nach Bedürfnis die wendische Sprache mit herangezogen werden muß. Auch das preußische Ministerium steht im wesentlichen auf demselben Standpunkte, insofern es will, daß die wendischen Kinder die deutsche Sprache wohl erlernen, nicht aber, daß das wendische Idiom aus den Schulen verdrängt werde. Was zum Schlüsse die Verdächtigungen betrifft, daß die wendische Agitation panslawistische Tendenzen verfolge, so können wir uns darüber kurz fassen, da diese Frage den „Wendenkönig" nur mittelbar berührt, insofern diese Be¬ strebungen vor allem auf den am 13. Juni 1884 verstorbenen Redakteur der in Beuchen erscheinenden wendischen Zeitung LördsKiz I^vom^, Schmaler, zurückgeführt wurden. Es wird den meisten Lesern in der Erinnerung sein, welches Aufsehen in weitesten Kreisen dadurch hervorgerufen wurde, daß Schmaler im Jahre 1867 einer Einladung zu der in Moskau, veranstalteten ethnographischen Ausstellung, welche zu beschicken man auch die außerrussischen Slawen eingeladen hatte, Folge leistete, bei welcher Gelegenheit Kaiser Alexander anch seinen „slawischen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/187
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/187>, abgerufen am 25.08.2024.