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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Die Wenden und der Panslawismus.

Wenn von der Regierung somit die Berechtigung des Standpunktes an¬
erkannt worden war, von dem aus die Pflege des wendischen Unterrichts ge¬
fordert wurde, so ward es doch andrerseits mit Entschiedenheit als sehr fraglich
hingestellt, ob die thatsächlichen Verhältnisse an den preußischen Schulen wen¬
discher Gemeinden derartige seien, daß sie eine allgemeine Aktion in der Ober-
lausitz, soweit sie wendische Bevölkerung habe, rechtfertigten, da berechtigten
Wünschen und begründeten Anträgen auch ohne solche Mittel entsprochen
werde.

Da erschien jener Artikel der Schlesischen Zeitung "Die wendische Agi¬
tation in der Lausitz," welcher, wie gesagt, großes Aufsehen machte und anch
nicht ohne Einfluß auf die Entschließungen der Negierung blieb. Denn sie ver¬
sagte einem von Pastor Jmmisch vorgeschlagenen slavischen Kandidaten die Ge¬
nehmigung zur Übernahme des Pfarramtes in der preußischen Gemeinde Nochten.
Diese Gemeinde hatte sich, um einen der wendischen Sprache mächtigen Geist¬
lichen zu erhalten, an Pastor Jmmisch gewendet, weil dieser der Gemeinde
Sprecwitz, die sich in ähnlicher Lage ans Anraten des preußischen Super¬
intendenten Karras in Hoyerswerda an ihn gewendet hatte, geholfen und ihr
einen Seelsorger in der Person des slowakischen Theologen Dobrurky aus
Moschvwez in Ungarn verschafft hatte, der in dem Hause des Pastor Jmmisch
und unter seiner Leitung sich die Kenntnis und den Gebrauch des seiner Mutter¬
sprache sehr nahestehenden Wendischen angeeignet hatte. Aber obgleich der gleich¬
falls aus Moschowez gebürtige evangelische Kaplan Hrivnak, der übrigens auch
zwei Jahre in Erlangen studirt hatte, das Kolloquium, zu welchem er vom
königlichen Konsistorium zu Breslau berufen worden war, zur Zufriedenheit
der kirchlichen Behörde bestanden hatte, wurde er doch vom Kultusministerium
zurückgewiesen. Da sich auch das schlesische Konsistorium um die ErWirkung
seiner Anstellungsfähigkeit wiederholt bemüht hatte, so kann diese Entschließung
des preußischen Kultusministeriums nur auf die Einwirkungen jenes Alarm¬
artikels zurückgeführt werden, der es geboten erscheinen ließ, nicht durch die An¬
stellung des Betreffenden der angeblich panslawistischen Agitation in die Hände
zu arbeiten. Aus demselben Grunde hat dann auch das Konsistorium zu
Breslau zwei andern Gemeinden die Anstellung junger slowakischer Theologen
abgeschlagen, unter direktem Hinweise auf die "angeblichen oder wirklichen Bor¬
kommnisse in der Oberlausitz," welche mit den panslawistischen Umtrieben zu¬
sammenzustellen seien. '

Wer waren nun die Verfasser jenes Artikels und welches waren die Motive
zu seiner Abfassung? Diese Frage findet in der Verteidigungsschrift des Pastor
Jmmisch ihre Antwort. Darnach haben drei antiwendisch und autisüchsisch ge¬
sinnte Männer ein der Abfassung des Artikels gearbeitet; er setzt sich zusammen
aus den Eingebungen bez. Diktaten zweier jüngeren Geistlichen und der stilistischen
Redaktion eines "als Streber bekannten" Juristen, der damals erst seit kurzer


Die Wenden und der Panslawismus.

Wenn von der Regierung somit die Berechtigung des Standpunktes an¬
erkannt worden war, von dem aus die Pflege des wendischen Unterrichts ge¬
fordert wurde, so ward es doch andrerseits mit Entschiedenheit als sehr fraglich
hingestellt, ob die thatsächlichen Verhältnisse an den preußischen Schulen wen¬
discher Gemeinden derartige seien, daß sie eine allgemeine Aktion in der Ober-
lausitz, soweit sie wendische Bevölkerung habe, rechtfertigten, da berechtigten
Wünschen und begründeten Anträgen auch ohne solche Mittel entsprochen
werde.

Da erschien jener Artikel der Schlesischen Zeitung „Die wendische Agi¬
tation in der Lausitz," welcher, wie gesagt, großes Aufsehen machte und anch
nicht ohne Einfluß auf die Entschließungen der Negierung blieb. Denn sie ver¬
sagte einem von Pastor Jmmisch vorgeschlagenen slavischen Kandidaten die Ge¬
nehmigung zur Übernahme des Pfarramtes in der preußischen Gemeinde Nochten.
Diese Gemeinde hatte sich, um einen der wendischen Sprache mächtigen Geist¬
lichen zu erhalten, an Pastor Jmmisch gewendet, weil dieser der Gemeinde
Sprecwitz, die sich in ähnlicher Lage ans Anraten des preußischen Super¬
intendenten Karras in Hoyerswerda an ihn gewendet hatte, geholfen und ihr
einen Seelsorger in der Person des slowakischen Theologen Dobrurky aus
Moschvwez in Ungarn verschafft hatte, der in dem Hause des Pastor Jmmisch
und unter seiner Leitung sich die Kenntnis und den Gebrauch des seiner Mutter¬
sprache sehr nahestehenden Wendischen angeeignet hatte. Aber obgleich der gleich¬
falls aus Moschowez gebürtige evangelische Kaplan Hrivnak, der übrigens auch
zwei Jahre in Erlangen studirt hatte, das Kolloquium, zu welchem er vom
königlichen Konsistorium zu Breslau berufen worden war, zur Zufriedenheit
der kirchlichen Behörde bestanden hatte, wurde er doch vom Kultusministerium
zurückgewiesen. Da sich auch das schlesische Konsistorium um die ErWirkung
seiner Anstellungsfähigkeit wiederholt bemüht hatte, so kann diese Entschließung
des preußischen Kultusministeriums nur auf die Einwirkungen jenes Alarm¬
artikels zurückgeführt werden, der es geboten erscheinen ließ, nicht durch die An¬
stellung des Betreffenden der angeblich panslawistischen Agitation in die Hände
zu arbeiten. Aus demselben Grunde hat dann auch das Konsistorium zu
Breslau zwei andern Gemeinden die Anstellung junger slowakischer Theologen
abgeschlagen, unter direktem Hinweise auf die „angeblichen oder wirklichen Bor¬
kommnisse in der Oberlausitz," welche mit den panslawistischen Umtrieben zu¬
sammenzustellen seien. '

Wer waren nun die Verfasser jenes Artikels und welches waren die Motive
zu seiner Abfassung? Diese Frage findet in der Verteidigungsschrift des Pastor
Jmmisch ihre Antwort. Darnach haben drei antiwendisch und autisüchsisch ge¬
sinnte Männer ein der Abfassung des Artikels gearbeitet; er setzt sich zusammen
aus den Eingebungen bez. Diktaten zweier jüngeren Geistlichen und der stilistischen
Redaktion eines „als Streber bekannten" Juristen, der damals erst seit kurzer


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[0183] Die Wenden und der Panslawismus. Wenn von der Regierung somit die Berechtigung des Standpunktes an¬ erkannt worden war, von dem aus die Pflege des wendischen Unterrichts ge¬ fordert wurde, so ward es doch andrerseits mit Entschiedenheit als sehr fraglich hingestellt, ob die thatsächlichen Verhältnisse an den preußischen Schulen wen¬ discher Gemeinden derartige seien, daß sie eine allgemeine Aktion in der Ober- lausitz, soweit sie wendische Bevölkerung habe, rechtfertigten, da berechtigten Wünschen und begründeten Anträgen auch ohne solche Mittel entsprochen werde. Da erschien jener Artikel der Schlesischen Zeitung „Die wendische Agi¬ tation in der Lausitz," welcher, wie gesagt, großes Aufsehen machte und anch nicht ohne Einfluß auf die Entschließungen der Negierung blieb. Denn sie ver¬ sagte einem von Pastor Jmmisch vorgeschlagenen slavischen Kandidaten die Ge¬ nehmigung zur Übernahme des Pfarramtes in der preußischen Gemeinde Nochten. Diese Gemeinde hatte sich, um einen der wendischen Sprache mächtigen Geist¬ lichen zu erhalten, an Pastor Jmmisch gewendet, weil dieser der Gemeinde Sprecwitz, die sich in ähnlicher Lage ans Anraten des preußischen Super¬ intendenten Karras in Hoyerswerda an ihn gewendet hatte, geholfen und ihr einen Seelsorger in der Person des slowakischen Theologen Dobrurky aus Moschvwez in Ungarn verschafft hatte, der in dem Hause des Pastor Jmmisch und unter seiner Leitung sich die Kenntnis und den Gebrauch des seiner Mutter¬ sprache sehr nahestehenden Wendischen angeeignet hatte. Aber obgleich der gleich¬ falls aus Moschowez gebürtige evangelische Kaplan Hrivnak, der übrigens auch zwei Jahre in Erlangen studirt hatte, das Kolloquium, zu welchem er vom königlichen Konsistorium zu Breslau berufen worden war, zur Zufriedenheit der kirchlichen Behörde bestanden hatte, wurde er doch vom Kultusministerium zurückgewiesen. Da sich auch das schlesische Konsistorium um die ErWirkung seiner Anstellungsfähigkeit wiederholt bemüht hatte, so kann diese Entschließung des preußischen Kultusministeriums nur auf die Einwirkungen jenes Alarm¬ artikels zurückgeführt werden, der es geboten erscheinen ließ, nicht durch die An¬ stellung des Betreffenden der angeblich panslawistischen Agitation in die Hände zu arbeiten. Aus demselben Grunde hat dann auch das Konsistorium zu Breslau zwei andern Gemeinden die Anstellung junger slowakischer Theologen abgeschlagen, unter direktem Hinweise auf die „angeblichen oder wirklichen Bor¬ kommnisse in der Oberlausitz," welche mit den panslawistischen Umtrieben zu¬ sammenzustellen seien. ' Wer waren nun die Verfasser jenes Artikels und welches waren die Motive zu seiner Abfassung? Diese Frage findet in der Verteidigungsschrift des Pastor Jmmisch ihre Antwort. Darnach haben drei antiwendisch und autisüchsisch ge¬ sinnte Männer ein der Abfassung des Artikels gearbeitet; er setzt sich zusammen aus den Eingebungen bez. Diktaten zweier jüngeren Geistlichen und der stilistischen Redaktion eines „als Streber bekannten" Juristen, der damals erst seit kurzer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/183>, abgerufen am 22.07.2024.