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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Englands Mittel zur Verteidigung Indiens.

Kavallerie infolge des kläglichen Zustandes der persischen Finanzen jetzt nicht
mobilisiren. An regulärer Reiterei seien vier Regimenter, im ganzen un¬
gefähr 3500 Pferde, vorhanden, von denen ein Teil von russischen Jnstruk-
toren in Kosakeuabteilungen umgestaltet worden sei. Die Stärke der per¬
sischen Infanterie werde auf 80000 Mann angegeben, und dieselbe sei größten¬
teils noch so organisirt, wie sie vor fünfzig Jahren von englischen Offizieren
eingerichtet worden sei. Nur wenige Regimenter seien von österreichischen Mili¬
tärs nach neuerem Systeme reformirt, und die Bewaffnung bestehe ans sehr
verschiednen Gewehrarteu, Winchesters, russischen Berdans und österreichischen
Wcrndl - Hinterladern. Die Artillerie solle 8 - bis 9000 Mann zählen und
habe einige Batterien in Österreich angekaufter Uchatiuskanonen, sonst aber
nur Geschütze veralteter Konstruktion. Ingenieure besitze die persische Armee
nicht. In Teheran werde gutes Pulver erzeugt, aber die Infanterie verwende
meist Metallpatronen, die gleich der Munition für die Artillerie aus Österreich
bezogen würden. Die österreichischen und russischen Militärmissionen, die in
den letzten Jahren mit der Umbildung der Armee beschäftigt gewesen, hätten
den persischen Soldaten intelligent, willig und lernbegierig gefunden. In Indien
glaube man, daß Persien im Falle eines Krieges 200 000 Mann auf die Beine
zu stellen vermöge, doch dürfte es die Mvbilisirnng dann nicht durch die eignen
Beamten ausführen kniffen, auch dürfe Persien nicht die Cadres liefern, und
wenn bei einem Feldzuge die persische Armee mit einer britisch-indischen koopc-
riren solle, müsse sie ausschließlich von englischen Offizieren befehligt werden.
Das letztere ist selbstverständlich eine Unmöglichkeit. Die persische Armee lange
nach dem Gesagten wenig, und sie könnte nur mit englischem Gelde ans die Füße
gebracht und erhalten werden. Schließlich aber ist sehr zu bezweifeln, daß der
Schah in seiner Lage Nußland gegenüber Neigung empfinden würde, mit ihr
der indischen Negierung gegen den Zar Heeresfolge zu leisten. Am liebsten
würde er neutral bleiben, und falls man von Petersburg her für eine nach
Herat bestimmte Armee den Durchmarsch durch sein Gebiet forderte, was bei
einem großen Kriege sicher geschehen müßte, würde er vielleicht einige Zeit
zögern, dann aber die Forderung bewilligen müssen. England würde also nicht
auf ihn rechnen können. Es würde auf seine eignen Kräfte und höchstens noch
ans die des Emirs Abdurrachman und die des Beludschenchans von Kelat an¬
gewiesen sein.

Was von den obenangeführten europäischen und eingebornen Truppen in
Indien für eine aktive Armee verfügbar gemacht werden kann, läßt sich schwer
mit Bestimmtheit angeben, da die Stimmung im Lande und das Verhalten der
Fcudalfürsteu bei dem Ausbrüche eines Krieges mit den Russen für die Stärke
der Truppen, die im günstigsten oder im ungünstigsten Falle als Lokalbesatzungen
zurückbleiben müssen, maßgebend sein wird. Man hört jetzt von zwei Armeen
von je 20000 Mann, die zum Marsche an die nordwestliche Grenze bereit


Englands Mittel zur Verteidigung Indiens.

Kavallerie infolge des kläglichen Zustandes der persischen Finanzen jetzt nicht
mobilisiren. An regulärer Reiterei seien vier Regimenter, im ganzen un¬
gefähr 3500 Pferde, vorhanden, von denen ein Teil von russischen Jnstruk-
toren in Kosakeuabteilungen umgestaltet worden sei. Die Stärke der per¬
sischen Infanterie werde auf 80000 Mann angegeben, und dieselbe sei größten¬
teils noch so organisirt, wie sie vor fünfzig Jahren von englischen Offizieren
eingerichtet worden sei. Nur wenige Regimenter seien von österreichischen Mili¬
tärs nach neuerem Systeme reformirt, und die Bewaffnung bestehe ans sehr
verschiednen Gewehrarteu, Winchesters, russischen Berdans und österreichischen
Wcrndl - Hinterladern. Die Artillerie solle 8 - bis 9000 Mann zählen und
habe einige Batterien in Österreich angekaufter Uchatiuskanonen, sonst aber
nur Geschütze veralteter Konstruktion. Ingenieure besitze die persische Armee
nicht. In Teheran werde gutes Pulver erzeugt, aber die Infanterie verwende
meist Metallpatronen, die gleich der Munition für die Artillerie aus Österreich
bezogen würden. Die österreichischen und russischen Militärmissionen, die in
den letzten Jahren mit der Umbildung der Armee beschäftigt gewesen, hätten
den persischen Soldaten intelligent, willig und lernbegierig gefunden. In Indien
glaube man, daß Persien im Falle eines Krieges 200 000 Mann auf die Beine
zu stellen vermöge, doch dürfte es die Mvbilisirnng dann nicht durch die eignen
Beamten ausführen kniffen, auch dürfe Persien nicht die Cadres liefern, und
wenn bei einem Feldzuge die persische Armee mit einer britisch-indischen koopc-
riren solle, müsse sie ausschließlich von englischen Offizieren befehligt werden.
Das letztere ist selbstverständlich eine Unmöglichkeit. Die persische Armee lange
nach dem Gesagten wenig, und sie könnte nur mit englischem Gelde ans die Füße
gebracht und erhalten werden. Schließlich aber ist sehr zu bezweifeln, daß der
Schah in seiner Lage Nußland gegenüber Neigung empfinden würde, mit ihr
der indischen Negierung gegen den Zar Heeresfolge zu leisten. Am liebsten
würde er neutral bleiben, und falls man von Petersburg her für eine nach
Herat bestimmte Armee den Durchmarsch durch sein Gebiet forderte, was bei
einem großen Kriege sicher geschehen müßte, würde er vielleicht einige Zeit
zögern, dann aber die Forderung bewilligen müssen. England würde also nicht
auf ihn rechnen können. Es würde auf seine eignen Kräfte und höchstens noch
ans die des Emirs Abdurrachman und die des Beludschenchans von Kelat an¬
gewiesen sein.

Was von den obenangeführten europäischen und eingebornen Truppen in
Indien für eine aktive Armee verfügbar gemacht werden kann, läßt sich schwer
mit Bestimmtheit angeben, da die Stimmung im Lande und das Verhalten der
Fcudalfürsteu bei dem Ausbrüche eines Krieges mit den Russen für die Stärke
der Truppen, die im günstigsten oder im ungünstigsten Falle als Lokalbesatzungen
zurückbleiben müssen, maßgebend sein wird. Man hört jetzt von zwei Armeen
von je 20000 Mann, die zum Marsche an die nordwestliche Grenze bereit


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[0176] Englands Mittel zur Verteidigung Indiens. Kavallerie infolge des kläglichen Zustandes der persischen Finanzen jetzt nicht mobilisiren. An regulärer Reiterei seien vier Regimenter, im ganzen un¬ gefähr 3500 Pferde, vorhanden, von denen ein Teil von russischen Jnstruk- toren in Kosakeuabteilungen umgestaltet worden sei. Die Stärke der per¬ sischen Infanterie werde auf 80000 Mann angegeben, und dieselbe sei größten¬ teils noch so organisirt, wie sie vor fünfzig Jahren von englischen Offizieren eingerichtet worden sei. Nur wenige Regimenter seien von österreichischen Mili¬ tärs nach neuerem Systeme reformirt, und die Bewaffnung bestehe ans sehr verschiednen Gewehrarteu, Winchesters, russischen Berdans und österreichischen Wcrndl - Hinterladern. Die Artillerie solle 8 - bis 9000 Mann zählen und habe einige Batterien in Österreich angekaufter Uchatiuskanonen, sonst aber nur Geschütze veralteter Konstruktion. Ingenieure besitze die persische Armee nicht. In Teheran werde gutes Pulver erzeugt, aber die Infanterie verwende meist Metallpatronen, die gleich der Munition für die Artillerie aus Österreich bezogen würden. Die österreichischen und russischen Militärmissionen, die in den letzten Jahren mit der Umbildung der Armee beschäftigt gewesen, hätten den persischen Soldaten intelligent, willig und lernbegierig gefunden. In Indien glaube man, daß Persien im Falle eines Krieges 200 000 Mann auf die Beine zu stellen vermöge, doch dürfte es die Mvbilisirnng dann nicht durch die eignen Beamten ausführen kniffen, auch dürfe Persien nicht die Cadres liefern, und wenn bei einem Feldzuge die persische Armee mit einer britisch-indischen koopc- riren solle, müsse sie ausschließlich von englischen Offizieren befehligt werden. Das letztere ist selbstverständlich eine Unmöglichkeit. Die persische Armee lange nach dem Gesagten wenig, und sie könnte nur mit englischem Gelde ans die Füße gebracht und erhalten werden. Schließlich aber ist sehr zu bezweifeln, daß der Schah in seiner Lage Nußland gegenüber Neigung empfinden würde, mit ihr der indischen Negierung gegen den Zar Heeresfolge zu leisten. Am liebsten würde er neutral bleiben, und falls man von Petersburg her für eine nach Herat bestimmte Armee den Durchmarsch durch sein Gebiet forderte, was bei einem großen Kriege sicher geschehen müßte, würde er vielleicht einige Zeit zögern, dann aber die Forderung bewilligen müssen. England würde also nicht auf ihn rechnen können. Es würde auf seine eignen Kräfte und höchstens noch ans die des Emirs Abdurrachman und die des Beludschenchans von Kelat an¬ gewiesen sein. Was von den obenangeführten europäischen und eingebornen Truppen in Indien für eine aktive Armee verfügbar gemacht werden kann, läßt sich schwer mit Bestimmtheit angeben, da die Stimmung im Lande und das Verhalten der Fcudalfürsteu bei dem Ausbrüche eines Krieges mit den Russen für die Stärke der Truppen, die im günstigsten oder im ungünstigsten Falle als Lokalbesatzungen zurückbleiben müssen, maßgebend sein wird. Man hört jetzt von zwei Armeen von je 20000 Mann, die zum Marsche an die nordwestliche Grenze bereit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/176>, abgerufen am 22.07.2024.