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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Gstpreußische Skizzen.

geistigen Öde liegt das Land vor ihm; und dies macht sich umso energischer
geltend, als ohnehin schon die Überwindung mannichfacher Schwierigkeiten dazu
gehört, um in Ostpreußen als "Wanderer" auftreten zu können. Die Menge
der Chausseen ist immer noch eine ungenügende. und sich Landwegen anzuver¬
trauen, ist uicht überall ratsam. Die Menschen sind nicht schlimmer als anderswo,
aber das Durchpassiren wohlgekleideter Fußgänger ist ihnen etwas so Ungewohntes
und Unverständliches, daß sie darin einen starken Anlaß zum äußersten Mi߬
trauen erblicken. An Wirtshäusern ("Krügen") fehlt es nicht, aber diejenigen,
in denen man etwas Ordentliches zu essen bekäme, sind auf dem Lande doch
dünn gesät, und die Lokalitäten lassen meist noch mehr zu wünschen übrig als
die Verpflegung. Stets kommt man am besten weg, wenn man in der Lage
ist, unterwegs in ein paar Gutshöfen vorsprechen zu können; der ostpreußische
Gutsherr ist im allgemeinen gastfreundlich -- gegen den Wildfremden allerdings
nicht immer, aber auch dies zuweilen. Hat man jedoch irgendeine Anknüpfung,
so darf man auf gute Aufnahme rechnen, zumal wenn gerade ein Mann zur
Skatpartie fehlt und mau diesen vorstellen kann. Das ist aber alles das
Schlimmste nicht. Wenn nur das Auge etwas hat, wenn nur das Gemüt in
landschaftlichen Reizen seine Befriedigung findet, dann kann man auch einmal
sich über manche Entbehrungen hinwegsetzen. Aber das ist das Schlimme: die
landschaftlichen Schönheiten Ostpreußens sind nur selten derart, daß sie sich
auf einer Fußwanderung von ein paar Meilen erschließen. Meist sind es nur
einzelne Punkte, Blicke, plötzliche Effekte u. dergl.; ausgedehnte Partien von
einer bestimmten Art landschaftlichen Reizes oder gar Ketten schöner Pnnkte
treten nur ganz ausnahmsweise auf. Im Gegenteil scheinen die landschaftlichen
Schönheiten Ostpreußens eine heillose Neigung zu haben, niemals beisammen,
sondern fast überall weit auseinander gerissen zu sein. Hier ist es recht hübsch,
und da ist es wieder recht hübsch -- aber dazwischen erstreckt es sich wie eine
reizlose Einöde. Es ist unter solchen Umständen umso begreiflicher, daß viele
Leute als notwendigen Zielpunkt jeder Wanderung einen Bestich auf einem
Gutshöfe betrachten, als viele von diesen in ihren Parks den Bächen und
Flüßchen entlang ganz reizende kleine, ja hie und da selbst ziemlich ins große
gehende Landschaftsbilder darbieten und in ganzen Teilen der Provinz jedenfalls
anch landschaftlich das Beste dessen in sich schließen, was dieselbe hat. Mit
dem eigentlichen, wahrhaften "Wandern," also dem zu Fuß, ist es hiernach
in Ostpreußen so eine Sache, und es ist nicht ganz unrichtig, was uns
einmal halb scherzweise gesagt wurde: am besten sei es, einen Wagen bei sich
zu haben und nach Bedarf neben demselben herzugehen. Ja, eine Spazier¬
fahrt im bequemen, offenen Wagen in Ostpreußen -- das ist schon eine ganz
andre Sache. Bekanntlich sieht man überhaupt vom Wagen herunter von der
Landschaft mehr als zu Fuß, und in Ostpreußen ganz besonders, weil viele
unbedeutende Niveau-Unterschiede (und diese sind gerade hier so zahlreich), im


Gstpreußische Skizzen.

geistigen Öde liegt das Land vor ihm; und dies macht sich umso energischer
geltend, als ohnehin schon die Überwindung mannichfacher Schwierigkeiten dazu
gehört, um in Ostpreußen als „Wanderer" auftreten zu können. Die Menge
der Chausseen ist immer noch eine ungenügende. und sich Landwegen anzuver¬
trauen, ist uicht überall ratsam. Die Menschen sind nicht schlimmer als anderswo,
aber das Durchpassiren wohlgekleideter Fußgänger ist ihnen etwas so Ungewohntes
und Unverständliches, daß sie darin einen starken Anlaß zum äußersten Mi߬
trauen erblicken. An Wirtshäusern („Krügen") fehlt es nicht, aber diejenigen,
in denen man etwas Ordentliches zu essen bekäme, sind auf dem Lande doch
dünn gesät, und die Lokalitäten lassen meist noch mehr zu wünschen übrig als
die Verpflegung. Stets kommt man am besten weg, wenn man in der Lage
ist, unterwegs in ein paar Gutshöfen vorsprechen zu können; der ostpreußische
Gutsherr ist im allgemeinen gastfreundlich — gegen den Wildfremden allerdings
nicht immer, aber auch dies zuweilen. Hat man jedoch irgendeine Anknüpfung,
so darf man auf gute Aufnahme rechnen, zumal wenn gerade ein Mann zur
Skatpartie fehlt und mau diesen vorstellen kann. Das ist aber alles das
Schlimmste nicht. Wenn nur das Auge etwas hat, wenn nur das Gemüt in
landschaftlichen Reizen seine Befriedigung findet, dann kann man auch einmal
sich über manche Entbehrungen hinwegsetzen. Aber das ist das Schlimme: die
landschaftlichen Schönheiten Ostpreußens sind nur selten derart, daß sie sich
auf einer Fußwanderung von ein paar Meilen erschließen. Meist sind es nur
einzelne Punkte, Blicke, plötzliche Effekte u. dergl.; ausgedehnte Partien von
einer bestimmten Art landschaftlichen Reizes oder gar Ketten schöner Pnnkte
treten nur ganz ausnahmsweise auf. Im Gegenteil scheinen die landschaftlichen
Schönheiten Ostpreußens eine heillose Neigung zu haben, niemals beisammen,
sondern fast überall weit auseinander gerissen zu sein. Hier ist es recht hübsch,
und da ist es wieder recht hübsch — aber dazwischen erstreckt es sich wie eine
reizlose Einöde. Es ist unter solchen Umständen umso begreiflicher, daß viele
Leute als notwendigen Zielpunkt jeder Wanderung einen Bestich auf einem
Gutshöfe betrachten, als viele von diesen in ihren Parks den Bächen und
Flüßchen entlang ganz reizende kleine, ja hie und da selbst ziemlich ins große
gehende Landschaftsbilder darbieten und in ganzen Teilen der Provinz jedenfalls
anch landschaftlich das Beste dessen in sich schließen, was dieselbe hat. Mit
dem eigentlichen, wahrhaften „Wandern," also dem zu Fuß, ist es hiernach
in Ostpreußen so eine Sache, und es ist nicht ganz unrichtig, was uns
einmal halb scherzweise gesagt wurde: am besten sei es, einen Wagen bei sich
zu haben und nach Bedarf neben demselben herzugehen. Ja, eine Spazier¬
fahrt im bequemen, offenen Wagen in Ostpreußen — das ist schon eine ganz
andre Sache. Bekanntlich sieht man überhaupt vom Wagen herunter von der
Landschaft mehr als zu Fuß, und in Ostpreußen ganz besonders, weil viele
unbedeutende Niveau-Unterschiede (und diese sind gerade hier so zahlreich), im


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[0137] Gstpreußische Skizzen. geistigen Öde liegt das Land vor ihm; und dies macht sich umso energischer geltend, als ohnehin schon die Überwindung mannichfacher Schwierigkeiten dazu gehört, um in Ostpreußen als „Wanderer" auftreten zu können. Die Menge der Chausseen ist immer noch eine ungenügende. und sich Landwegen anzuver¬ trauen, ist uicht überall ratsam. Die Menschen sind nicht schlimmer als anderswo, aber das Durchpassiren wohlgekleideter Fußgänger ist ihnen etwas so Ungewohntes und Unverständliches, daß sie darin einen starken Anlaß zum äußersten Mi߬ trauen erblicken. An Wirtshäusern („Krügen") fehlt es nicht, aber diejenigen, in denen man etwas Ordentliches zu essen bekäme, sind auf dem Lande doch dünn gesät, und die Lokalitäten lassen meist noch mehr zu wünschen übrig als die Verpflegung. Stets kommt man am besten weg, wenn man in der Lage ist, unterwegs in ein paar Gutshöfen vorsprechen zu können; der ostpreußische Gutsherr ist im allgemeinen gastfreundlich — gegen den Wildfremden allerdings nicht immer, aber auch dies zuweilen. Hat man jedoch irgendeine Anknüpfung, so darf man auf gute Aufnahme rechnen, zumal wenn gerade ein Mann zur Skatpartie fehlt und mau diesen vorstellen kann. Das ist aber alles das Schlimmste nicht. Wenn nur das Auge etwas hat, wenn nur das Gemüt in landschaftlichen Reizen seine Befriedigung findet, dann kann man auch einmal sich über manche Entbehrungen hinwegsetzen. Aber das ist das Schlimme: die landschaftlichen Schönheiten Ostpreußens sind nur selten derart, daß sie sich auf einer Fußwanderung von ein paar Meilen erschließen. Meist sind es nur einzelne Punkte, Blicke, plötzliche Effekte u. dergl.; ausgedehnte Partien von einer bestimmten Art landschaftlichen Reizes oder gar Ketten schöner Pnnkte treten nur ganz ausnahmsweise auf. Im Gegenteil scheinen die landschaftlichen Schönheiten Ostpreußens eine heillose Neigung zu haben, niemals beisammen, sondern fast überall weit auseinander gerissen zu sein. Hier ist es recht hübsch, und da ist es wieder recht hübsch — aber dazwischen erstreckt es sich wie eine reizlose Einöde. Es ist unter solchen Umständen umso begreiflicher, daß viele Leute als notwendigen Zielpunkt jeder Wanderung einen Bestich auf einem Gutshöfe betrachten, als viele von diesen in ihren Parks den Bächen und Flüßchen entlang ganz reizende kleine, ja hie und da selbst ziemlich ins große gehende Landschaftsbilder darbieten und in ganzen Teilen der Provinz jedenfalls anch landschaftlich das Beste dessen in sich schließen, was dieselbe hat. Mit dem eigentlichen, wahrhaften „Wandern," also dem zu Fuß, ist es hiernach in Ostpreußen so eine Sache, und es ist nicht ganz unrichtig, was uns einmal halb scherzweise gesagt wurde: am besten sei es, einen Wagen bei sich zu haben und nach Bedarf neben demselben herzugehen. Ja, eine Spazier¬ fahrt im bequemen, offenen Wagen in Ostpreußen — das ist schon eine ganz andre Sache. Bekanntlich sieht man überhaupt vom Wagen herunter von der Landschaft mehr als zu Fuß, und in Ostpreußen ganz besonders, weil viele unbedeutende Niveau-Unterschiede (und diese sind gerade hier so zahlreich), im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/137>, abgerufen am 22.07.2024.