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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Beiträge zum Verständnis der mittelasiatischen Frage.

Schlacht, worauf Afzul sich zum Emir von Afghanistan ausrufen ließ und von
den Engländern als solcher anerkannt wurde, obwohl er thatsächlich nur Ka-
bnlistan, den Nordosten, in seine Gewalt gebracht hatte. Als er im Oktober 1867
mit Tode abging, folgte ihm Azim dort auf dem Throne. schir Ali, der ihn
mit einer im Südwesten gesammelten Armee angriff, wurde am 17. Januar 1868
bei Kelat entscheidend geschlagen und floh nach Herat, brachte aber mit Unter¬
stützung der Häuptlinge von Basch sehr bald neue Streitkräfte zusammen, mit
denen er im September Kabul einnahm und im Dezember Azim in der Schlacht
bei Ghasnah so gründlich schlug, daß der Bürgerkrieg damit beendigt war.
England erkannte schir Ali jetzt an und verpflichtete sich sogar, ihn: ,,für die
Dauer guten Verhaltens" Subsidien zu zahlen. Durch das rasche Vordringen
der Nüssen in Turkestan beunruhigt, suchte der Emir 1873 eine engere Ver¬
bindung mit den Engländern nach, die ihn schützen sollte, das von ihm bean¬
tragte Bündnis wurde jedoch von Lord Northbrooke, dem damaligen Vizekönige
von Indien, abgelehnt, weil Rußland erklärt hatte, daß es Afghanistan als
außerhalb seiner Aktionssphäre gelegen betrachte. schir Ali knüpfte darauf
zu dem General Kaufmann in Taschkend vertrauliche Beziehungen an, und als
Lord Lyttou, Northbrookes Nachfolger in Kalkutta, hiervon erfuhr, verlangte
er Zulassung eiues englischen Vertreters in Kabul. Dieses Ansinnen wurde
abgelehnt, und nun nahm England eine drohende Stellung ein, indem es im
Februar 1877 Qucttah an der Südgrenze Afghanistans besetzte. Der Emir
warf sich darauf den Russen ganz in die Arme, er wies im September 1877
die Aufforderung des Sultans, ihm gegen dieselben beizustehen, zurück und riet
ihm, sich von den treulosen Engländern abzuwenden. Gleich nach dem Berliner
Kongresse empfing er in Kabul eine russische Gesandtschaft, die aus dem General
Stoljeteff und sieben andern Offizieren bestand und von Kosaken und kirgisischen
Reitern begleitet war. Sofort wurde in Kalkutta eine Gegengesandtschaft be¬
schlossen. Als dieselbe aber unter Führung General Chamberlains bei dem
Grenzfort Ali Mnsdschid anlangte, wurde ihr in beleidigender Weise die Er¬
laubnis zur Weiterreise verweigert. Ein englisches Ultimatum, das am 20. No¬
vember 1878 ablief, blieb unbeantwortet, und so überschritt tags nachher ein
Heer von etwa 40000 Mann, darunter 13000 Engländer, an drei Stellen
zugleich die afghanische Grenze. General Roberts nahm am 22. November
das Fort Ali Mnsdschid ein und schlug dann am 2. Dezember die Truppen
des Emirs bei Pciwar Kodak im Karram-Thale. General Viddulph drang von
Qucttah nach Kcmdcchar vor, und schir Ali mußte sich zur Aufnahme eines eng¬
lischen Gesandten in Kcibnl verstehen, der eine Wohnung im Palastviertel erhielt,
sich derselben aber nur wenige Wochen erfreute. Am 3. September 1879 stürmten
Pöbelrotten das Haus und metzelten den Gesandten, Major Cavagnari, mit allem
seinem Personale nieder. Ohne Verzug rückten die englischen Truppen abermals
in Afghanistan ein, und am 12. Oktober waren sie wieder im Besitze von Kabul.


Grenzboten II. 188S. Is
Beiträge zum Verständnis der mittelasiatischen Frage.

Schlacht, worauf Afzul sich zum Emir von Afghanistan ausrufen ließ und von
den Engländern als solcher anerkannt wurde, obwohl er thatsächlich nur Ka-
bnlistan, den Nordosten, in seine Gewalt gebracht hatte. Als er im Oktober 1867
mit Tode abging, folgte ihm Azim dort auf dem Throne. schir Ali, der ihn
mit einer im Südwesten gesammelten Armee angriff, wurde am 17. Januar 1868
bei Kelat entscheidend geschlagen und floh nach Herat, brachte aber mit Unter¬
stützung der Häuptlinge von Basch sehr bald neue Streitkräfte zusammen, mit
denen er im September Kabul einnahm und im Dezember Azim in der Schlacht
bei Ghasnah so gründlich schlug, daß der Bürgerkrieg damit beendigt war.
England erkannte schir Ali jetzt an und verpflichtete sich sogar, ihn: ,,für die
Dauer guten Verhaltens" Subsidien zu zahlen. Durch das rasche Vordringen
der Nüssen in Turkestan beunruhigt, suchte der Emir 1873 eine engere Ver¬
bindung mit den Engländern nach, die ihn schützen sollte, das von ihm bean¬
tragte Bündnis wurde jedoch von Lord Northbrooke, dem damaligen Vizekönige
von Indien, abgelehnt, weil Rußland erklärt hatte, daß es Afghanistan als
außerhalb seiner Aktionssphäre gelegen betrachte. schir Ali knüpfte darauf
zu dem General Kaufmann in Taschkend vertrauliche Beziehungen an, und als
Lord Lyttou, Northbrookes Nachfolger in Kalkutta, hiervon erfuhr, verlangte
er Zulassung eiues englischen Vertreters in Kabul. Dieses Ansinnen wurde
abgelehnt, und nun nahm England eine drohende Stellung ein, indem es im
Februar 1877 Qucttah an der Südgrenze Afghanistans besetzte. Der Emir
warf sich darauf den Russen ganz in die Arme, er wies im September 1877
die Aufforderung des Sultans, ihm gegen dieselben beizustehen, zurück und riet
ihm, sich von den treulosen Engländern abzuwenden. Gleich nach dem Berliner
Kongresse empfing er in Kabul eine russische Gesandtschaft, die aus dem General
Stoljeteff und sieben andern Offizieren bestand und von Kosaken und kirgisischen
Reitern begleitet war. Sofort wurde in Kalkutta eine Gegengesandtschaft be¬
schlossen. Als dieselbe aber unter Führung General Chamberlains bei dem
Grenzfort Ali Mnsdschid anlangte, wurde ihr in beleidigender Weise die Er¬
laubnis zur Weiterreise verweigert. Ein englisches Ultimatum, das am 20. No¬
vember 1878 ablief, blieb unbeantwortet, und so überschritt tags nachher ein
Heer von etwa 40000 Mann, darunter 13000 Engländer, an drei Stellen
zugleich die afghanische Grenze. General Roberts nahm am 22. November
das Fort Ali Mnsdschid ein und schlug dann am 2. Dezember die Truppen
des Emirs bei Pciwar Kodak im Karram-Thale. General Viddulph drang von
Qucttah nach Kcmdcchar vor, und schir Ali mußte sich zur Aufnahme eines eng¬
lischen Gesandten in Kcibnl verstehen, der eine Wohnung im Palastviertel erhielt,
sich derselben aber nur wenige Wochen erfreute. Am 3. September 1879 stürmten
Pöbelrotten das Haus und metzelten den Gesandten, Major Cavagnari, mit allem
seinem Personale nieder. Ohne Verzug rückten die englischen Truppen abermals
in Afghanistan ein, und am 12. Oktober waren sie wieder im Besitze von Kabul.


Grenzboten II. 188S. Is
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/118>, abgerufen am 22.07.2024.