Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.Aus (Österreich, ein neueingetretener Abgeordneter aus Nordböhmen, I)r. Knotz, und: "Lassen Das sind untröstliche Aussichten, und es ist begreiflich, daß die oppo¬ Aus (Österreich, ein neueingetretener Abgeordneter aus Nordböhmen, I)r. Knotz, und: „Lassen Das sind untröstliche Aussichten, und es ist begreiflich, daß die oppo¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0111" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195500"/> <fw type="header" place="top"> Aus (Österreich,</fw><lb/> <p xml:id="ID_411" prev="#ID_410"> ein neueingetretener Abgeordneter aus Nordböhmen, I)r. Knotz, und: „Lassen<lb/> Sie die'^Ruthenen in Ruhe!" schrie, mit geballten Fäusten auf ihn zustürzend,<lb/> Julian Czerkawski dem Redner zu, ein bejahrter Herr, ruthenischer Abkunft, zur<lb/> Zeit der Minister Bach und Thun „germanisirender" Schulinspektor in Galizien<lb/> und gegenwärtig fanatischer Pole und Antonomist. Charakteristisch ist die Szene<lb/> nicht allein, weil sie zeigt, wie weit die Versöhnung gediehen ist, und wie alle<lb/> andern Nationalitäten des Reiches sich von „der steigenden slawischen Flut"<lb/> bedroht fühlen, sondern auch, weil sich dabei eine jener Figuren in den Vorder¬<lb/> grund drängte, welche so große Mitschuld an dem jetzigen Zustande tragen, daß<lb/> sie besser thäten, „sich auf ewig zu verbergen." Keine dienstbereiteren Werkzeuge<lb/> fand der nivellirende Absolutismus der fünfziger Jahre, als Slawen; tschechische<lb/> Beamte und Lehrer überschwemmten Ungarn und machten — das Deutschtum<lb/> verhaßt, als dessen Apostel sie sich gerirten, der niedere tschechische Beamte war<lb/> in allen dentschen Kronländern gefürchtet und verrufen, und Herr Czerkawski<lb/> ist durchaus uicht der einzige, der seine zentralistischen Jugendsünden jetzt durch<lb/> föderalistische Agitation und Deutschenhaß abzubüßen sucht. Die Polen scheint<lb/> es schon nervös zu macheu, wenn die Existenz der Rnthencu nur erwähnt wird!<lb/> Und dieser nach Millionen zählende Volksstamm ist darauf gefaßt, im nächsten<lb/> Parlamente garnicht mehr vertreten zu sein. Desgleichen erwarten die Dentschen<lb/> eine beträchtliche Anzahl Sitze zu verlieren, dort nämlich, wo die Landesbehörden<lb/> den Slawen wenigstens größere Sympathie entgegenbringen als jenen; und wenn<lb/> nicht alle Zeichen trügen, werden aus den Kronländern mit gemischter Be¬<lb/> völkerung keine versöhnlichen Deutschen dcputirt werden. Denn obschon die<lb/> „Vereinigte Linke" sich durch ihre Wähler hat ein tüchtiges Stück von dem<lb/> Boden der einstigen „Verfassungspartei" wegdrängen lassen und gegenwärtig<lb/> fast nur eine nationale Partei bildet, so ist man doch namentlich in Nordböhmen<lb/> und Steiermark noch keineswegs mit ihrer Haltung zufrieden; von dort her wird<lb/> der linke Flügel d^r Partei gewiß Zuwachs erhalten auf Kosten des rechten,<lb/> und dort ist schon wiederholt der Ruf „Abstinenz!" erhoben worden. Ob die<lb/> slawisch-klerikale Mehrheit auf diese Stimmung Rücksicht nehmen, bedächtiger<lb/> vorgehen wird, ist wohl sehr fraglich, wenn sie, wie zu erwarten ist, gestärkt<lb/> aus dem Wahlkampfc hervorgehen sollte. Und so könnten wir leicht abermals<lb/> vor einem Rumpfparlamente stehen, nur daß sich diesmal die Lücke auf der<lb/> andern Seite zeige« würde.</p><lb/> <p xml:id="ID_412" next="#ID_413"> Das sind untröstliche Aussichten, und es ist begreiflich, daß die oppo¬<lb/> sitionellen Blätter sich und ihre Anhänger durch das Entwerfen freundlicherer<lb/> Perspektiven bei gutem Mute zu erhalten suchen. Für diesen Zweck müssen die<lb/> offenkundiger Zerwürfnisse innerhalb der parlamentarischen Majorität und die<lb/> Verstimmung einzelner Fraktionen gegen die Regierung herhalten. Nun ist es<lb/> richtig, daß fast alle Getreuen des Ministeriums sich anstellen, als wollten sie<lb/> diesem den Dienst aufkündigen, weil es nicht alle ihre Blütenträume hat</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0111]
Aus (Österreich,
ein neueingetretener Abgeordneter aus Nordböhmen, I)r. Knotz, und: „Lassen
Sie die'^Ruthenen in Ruhe!" schrie, mit geballten Fäusten auf ihn zustürzend,
Julian Czerkawski dem Redner zu, ein bejahrter Herr, ruthenischer Abkunft, zur
Zeit der Minister Bach und Thun „germanisirender" Schulinspektor in Galizien
und gegenwärtig fanatischer Pole und Antonomist. Charakteristisch ist die Szene
nicht allein, weil sie zeigt, wie weit die Versöhnung gediehen ist, und wie alle
andern Nationalitäten des Reiches sich von „der steigenden slawischen Flut"
bedroht fühlen, sondern auch, weil sich dabei eine jener Figuren in den Vorder¬
grund drängte, welche so große Mitschuld an dem jetzigen Zustande tragen, daß
sie besser thäten, „sich auf ewig zu verbergen." Keine dienstbereiteren Werkzeuge
fand der nivellirende Absolutismus der fünfziger Jahre, als Slawen; tschechische
Beamte und Lehrer überschwemmten Ungarn und machten — das Deutschtum
verhaßt, als dessen Apostel sie sich gerirten, der niedere tschechische Beamte war
in allen dentschen Kronländern gefürchtet und verrufen, und Herr Czerkawski
ist durchaus uicht der einzige, der seine zentralistischen Jugendsünden jetzt durch
föderalistische Agitation und Deutschenhaß abzubüßen sucht. Die Polen scheint
es schon nervös zu macheu, wenn die Existenz der Rnthencu nur erwähnt wird!
Und dieser nach Millionen zählende Volksstamm ist darauf gefaßt, im nächsten
Parlamente garnicht mehr vertreten zu sein. Desgleichen erwarten die Dentschen
eine beträchtliche Anzahl Sitze zu verlieren, dort nämlich, wo die Landesbehörden
den Slawen wenigstens größere Sympathie entgegenbringen als jenen; und wenn
nicht alle Zeichen trügen, werden aus den Kronländern mit gemischter Be¬
völkerung keine versöhnlichen Deutschen dcputirt werden. Denn obschon die
„Vereinigte Linke" sich durch ihre Wähler hat ein tüchtiges Stück von dem
Boden der einstigen „Verfassungspartei" wegdrängen lassen und gegenwärtig
fast nur eine nationale Partei bildet, so ist man doch namentlich in Nordböhmen
und Steiermark noch keineswegs mit ihrer Haltung zufrieden; von dort her wird
der linke Flügel d^r Partei gewiß Zuwachs erhalten auf Kosten des rechten,
und dort ist schon wiederholt der Ruf „Abstinenz!" erhoben worden. Ob die
slawisch-klerikale Mehrheit auf diese Stimmung Rücksicht nehmen, bedächtiger
vorgehen wird, ist wohl sehr fraglich, wenn sie, wie zu erwarten ist, gestärkt
aus dem Wahlkampfc hervorgehen sollte. Und so könnten wir leicht abermals
vor einem Rumpfparlamente stehen, nur daß sich diesmal die Lücke auf der
andern Seite zeige« würde.
Das sind untröstliche Aussichten, und es ist begreiflich, daß die oppo¬
sitionellen Blätter sich und ihre Anhänger durch das Entwerfen freundlicherer
Perspektiven bei gutem Mute zu erhalten suchen. Für diesen Zweck müssen die
offenkundiger Zerwürfnisse innerhalb der parlamentarischen Majorität und die
Verstimmung einzelner Fraktionen gegen die Regierung herhalten. Nun ist es
richtig, daß fast alle Getreuen des Ministeriums sich anstellen, als wollten sie
diesem den Dienst aufkündigen, weil es nicht alle ihre Blütenträume hat
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |