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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Preußen.

Oppenhoff "Die preußischen Gesetze über die Nessortverhältnisse zwischen den
Gerichten und Verwaltungsbehörden," Berlin, Georg Nenner, 1863), Solche
Bücher sind dann, solange sie durch die rastlos weiterarbeitende Gesetzgebungs¬
maschine nicht überholt sind, die Rettungsanker, an welche sich der hilflose
Beamte anklammert, wie in Sachen seiner Seele an das Evangelium, sodaß
man die Aussprüche dieser Autoritäten von dem geltenden Rechte schließlich
garnicht mehr unterscheidet. Das sind die thatsächlichen, von niemand in
Abrede zu stellenden Resultate der Vervielfältigung der Gerichtshöfe, welche sich
in der Praxis darstellen als eine endlose Kette von Streitigkeiten verschiedner
gerichtlichen und Verwaltungsbehörden über ihre Zuständigkeit und Nicht¬
zuständigkeit, während die Regierten hoffend und geduldig harrend vorläufig
beiseite treten, ohne eine Ahnung vou dem zu haben, was ihretwegen da oben
verhandelt wird.

Wenn unter solchen Umständen ein großer Staatsmann kraft seiner tiefern
Einsicht in die geschichtlichen Verhältnisse des Vaterlandes und in die Be¬
dürfnisse der Bevölkerung zu der Überzeugung und vielleicht (!) auch zu dem
Wunsche gelangt, daß das Richten nur dem Richter, das Verwalter nur dem
Verwaltungsbeamten zustehen möchte, so ist das wohl begreiflich; jedoch es fragt
sich, ob die sonstigen Verhältnisse des Landes dies gestatten. Wir glauben
diese Frage verneinen zu müssen, kommen jedoch zunächst zur Prüfung der
zweiten Behauptung, welche -- dies muß ausdrücklich wiederholt werden ---
nicht ans derselben Quelle stammt, nämlich, daß die Verwaltungsgerichtsbarkeit
ein modernes, lediglich aus theoretischen Erwägungen hervorgegangenes Produkt
unpraktischer Gelehrsamkeit sei.

Wer das sagt, befindet sich in einem großen Irrtume, denn die Verwal-
tuugsgerichtsbarkeit hat eine Entstehungsgeschichte, die lediglich auf Thatsache"
zurückweist, welche mit der Gelehrsamkeit nichts zu thun haben. Wenn die Ge¬
lehrten es später und namentlich in neuerer Zeit zur Ausbildung und Durch¬
führung eines richtigen Prinzips unternommen haben, diesen Thatsachen einen
wissenschaftlichen Mantel umzuhängen und ihnen gleichsam den Doktorhut auf¬
zusetzen, so war dies teils unumgänglich notwendig, teils ändert dies nichts an
dem Ursprünge der Verwaltungsgerichtsbarkeit, welcher in den verschiednen
Ländern ein grundverschiedner ist.

Diese Verschiedenheiten und die daraus zu folgernden Abweichungen sind,
zur Vermeidung von Irrtümern, sorgfältig zu beachten, denn es wäre z. B.
durchaus unrichtig, wenn man die Vcrwaltungsgerichtsbarkeit, wie sie sich in
Brandenburg-Preußen rechtsgeschichtlich entwickelt hat, als eine Nachahmung
der französischen Vcrwaltuugsgerichtsbarkeit ansehen, oder wenn man auch nur
diese beiden mit einander vergleichen wollte. Sie haben weder nach ihrer Ent¬
stehung noch nach ihrer heutigen Gestaltung irgendwelche Ähnlichkeit, wenn sie
auch beide schließlich darauf hinauskommen, daß die Zuständigkeiten des " ordent-


Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Preußen.

Oppenhoff „Die preußischen Gesetze über die Nessortverhältnisse zwischen den
Gerichten und Verwaltungsbehörden," Berlin, Georg Nenner, 1863), Solche
Bücher sind dann, solange sie durch die rastlos weiterarbeitende Gesetzgebungs¬
maschine nicht überholt sind, die Rettungsanker, an welche sich der hilflose
Beamte anklammert, wie in Sachen seiner Seele an das Evangelium, sodaß
man die Aussprüche dieser Autoritäten von dem geltenden Rechte schließlich
garnicht mehr unterscheidet. Das sind die thatsächlichen, von niemand in
Abrede zu stellenden Resultate der Vervielfältigung der Gerichtshöfe, welche sich
in der Praxis darstellen als eine endlose Kette von Streitigkeiten verschiedner
gerichtlichen und Verwaltungsbehörden über ihre Zuständigkeit und Nicht¬
zuständigkeit, während die Regierten hoffend und geduldig harrend vorläufig
beiseite treten, ohne eine Ahnung vou dem zu haben, was ihretwegen da oben
verhandelt wird.

Wenn unter solchen Umständen ein großer Staatsmann kraft seiner tiefern
Einsicht in die geschichtlichen Verhältnisse des Vaterlandes und in die Be¬
dürfnisse der Bevölkerung zu der Überzeugung und vielleicht (!) auch zu dem
Wunsche gelangt, daß das Richten nur dem Richter, das Verwalter nur dem
Verwaltungsbeamten zustehen möchte, so ist das wohl begreiflich; jedoch es fragt
sich, ob die sonstigen Verhältnisse des Landes dies gestatten. Wir glauben
diese Frage verneinen zu müssen, kommen jedoch zunächst zur Prüfung der
zweiten Behauptung, welche — dies muß ausdrücklich wiederholt werden -—
nicht ans derselben Quelle stammt, nämlich, daß die Verwaltungsgerichtsbarkeit
ein modernes, lediglich aus theoretischen Erwägungen hervorgegangenes Produkt
unpraktischer Gelehrsamkeit sei.

Wer das sagt, befindet sich in einem großen Irrtume, denn die Verwal-
tuugsgerichtsbarkeit hat eine Entstehungsgeschichte, die lediglich auf Thatsache»
zurückweist, welche mit der Gelehrsamkeit nichts zu thun haben. Wenn die Ge¬
lehrten es später und namentlich in neuerer Zeit zur Ausbildung und Durch¬
führung eines richtigen Prinzips unternommen haben, diesen Thatsachen einen
wissenschaftlichen Mantel umzuhängen und ihnen gleichsam den Doktorhut auf¬
zusetzen, so war dies teils unumgänglich notwendig, teils ändert dies nichts an
dem Ursprünge der Verwaltungsgerichtsbarkeit, welcher in den verschiednen
Ländern ein grundverschiedner ist.

Diese Verschiedenheiten und die daraus zu folgernden Abweichungen sind,
zur Vermeidung von Irrtümern, sorgfältig zu beachten, denn es wäre z. B.
durchaus unrichtig, wenn man die Vcrwaltungsgerichtsbarkeit, wie sie sich in
Brandenburg-Preußen rechtsgeschichtlich entwickelt hat, als eine Nachahmung
der französischen Vcrwaltuugsgerichtsbarkeit ansehen, oder wenn man auch nur
diese beiden mit einander vergleichen wollte. Sie haben weder nach ihrer Ent¬
stehung noch nach ihrer heutigen Gestaltung irgendwelche Ähnlichkeit, wenn sie
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[0084] Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Preußen. Oppenhoff „Die preußischen Gesetze über die Nessortverhältnisse zwischen den Gerichten und Verwaltungsbehörden," Berlin, Georg Nenner, 1863), Solche Bücher sind dann, solange sie durch die rastlos weiterarbeitende Gesetzgebungs¬ maschine nicht überholt sind, die Rettungsanker, an welche sich der hilflose Beamte anklammert, wie in Sachen seiner Seele an das Evangelium, sodaß man die Aussprüche dieser Autoritäten von dem geltenden Rechte schließlich garnicht mehr unterscheidet. Das sind die thatsächlichen, von niemand in Abrede zu stellenden Resultate der Vervielfältigung der Gerichtshöfe, welche sich in der Praxis darstellen als eine endlose Kette von Streitigkeiten verschiedner gerichtlichen und Verwaltungsbehörden über ihre Zuständigkeit und Nicht¬ zuständigkeit, während die Regierten hoffend und geduldig harrend vorläufig beiseite treten, ohne eine Ahnung vou dem zu haben, was ihretwegen da oben verhandelt wird. Wenn unter solchen Umständen ein großer Staatsmann kraft seiner tiefern Einsicht in die geschichtlichen Verhältnisse des Vaterlandes und in die Be¬ dürfnisse der Bevölkerung zu der Überzeugung und vielleicht (!) auch zu dem Wunsche gelangt, daß das Richten nur dem Richter, das Verwalter nur dem Verwaltungsbeamten zustehen möchte, so ist das wohl begreiflich; jedoch es fragt sich, ob die sonstigen Verhältnisse des Landes dies gestatten. Wir glauben diese Frage verneinen zu müssen, kommen jedoch zunächst zur Prüfung der zweiten Behauptung, welche — dies muß ausdrücklich wiederholt werden -— nicht ans derselben Quelle stammt, nämlich, daß die Verwaltungsgerichtsbarkeit ein modernes, lediglich aus theoretischen Erwägungen hervorgegangenes Produkt unpraktischer Gelehrsamkeit sei. Wer das sagt, befindet sich in einem großen Irrtume, denn die Verwal- tuugsgerichtsbarkeit hat eine Entstehungsgeschichte, die lediglich auf Thatsache» zurückweist, welche mit der Gelehrsamkeit nichts zu thun haben. Wenn die Ge¬ lehrten es später und namentlich in neuerer Zeit zur Ausbildung und Durch¬ führung eines richtigen Prinzips unternommen haben, diesen Thatsachen einen wissenschaftlichen Mantel umzuhängen und ihnen gleichsam den Doktorhut auf¬ zusetzen, so war dies teils unumgänglich notwendig, teils ändert dies nichts an dem Ursprünge der Verwaltungsgerichtsbarkeit, welcher in den verschiednen Ländern ein grundverschiedner ist. Diese Verschiedenheiten und die daraus zu folgernden Abweichungen sind, zur Vermeidung von Irrtümern, sorgfältig zu beachten, denn es wäre z. B. durchaus unrichtig, wenn man die Vcrwaltungsgerichtsbarkeit, wie sie sich in Brandenburg-Preußen rechtsgeschichtlich entwickelt hat, als eine Nachahmung der französischen Vcrwaltuugsgerichtsbarkeit ansehen, oder wenn man auch nur diese beiden mit einander vergleichen wollte. Sie haben weder nach ihrer Ent¬ stehung noch nach ihrer heutigen Gestaltung irgendwelche Ähnlichkeit, wenn sie auch beide schließlich darauf hinauskommen, daß die Zuständigkeiten des „ ordent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/84>, abgerufen am 22.07.2024.