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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Soll sich Deutschland zu ihrem Schirmherrn auswerfe"? So oft noch das -- gewiß
jedesmal grundlose -- Gerücht aufgetaucht ist, der deutsche Reichskanzler mache
Miene, sich in die innern Angelegenheiten Österreichs zu mischen, gerieten nicht
nur Slaven und Klerikale in hohe Aufregung, sondern gerade diejenigen, welche
sich rühmen, den österreichischen Staatsgedanken und die altösterreichischen Tra¬
ditionen unverbrüchlich hochzuhalten: die Deutschen; der bloße Gedanke an eine
Zolleinigung hat Tschechen und Magyaren zu den leidenschaftlichsten Protesten
bewogen; unzcihligcmale in den letzten Jahren haben wir gehört, daß die Deutsch¬
österreicher der sträflichen Hinneigung zu Preußen bezichtigt worden find, und
es wird behauptet, daß solche Verdächtigungen nicht ohne Einfluß auf die
Wendung der Dinge in den letzten fünf Jahren gewesen seien. Was anders
glauben die Herren Brinz und Konsorten mit ihren Deklamationen zu erreichen,
als abermalige Belebung des Mißtrauens, welches wenigstens in den obersten
Regionen beseitigt zu haben einer der schönsten Triumphe der Bismarckschen
Politik genannt werden darf?

Jeder gute Deutsche wird das Ringen der Stammesgenossen um ihre
Nationalität mit seinen wärmsten Sympathien begleiten, ob sie nun an der
Moldau oder an der Ostsee, in den Bergen Steiermarks oder Siebenbürgens
oder auf irgendeinem Flecke jenseits des Weltmeers den Ansturm fremder Völker
zu bestehen haben. Darüber jedoch muß Klarheit herrschen, daß Deutschland
ihnen keine Hilfe leisten kann, und daß jeder Schein des Strebens nach einem
Protektorat, gehe er auch von gänzlich unberufener Seite ans, ihre gute Sache
nur schädigen würde.

Aber die übereifriger Freunde des Deutschtums im Auslande denken sich
bei ihren Standreden wohl überhaupt uicht viel. Die heillose Gewohnheit, in
unverantwortlicher Stellung Phrasenraketen in die Luft zu werfen, welche dem
naiven Publikum ein Ah! der Bewunderung entreißen, zehnmal verpuffen, in¬
dessen auch einmal zünden können, läßt sie nicht los. Es ist ein starkes Stück,
einem Manne von dein wissenschaftlichen Berufe des Professor von Brinz so
etwas zuzutrauen. Allein wir erleben ja täglich völlige Kopflosigkeit bei Pro¬
fessoren, die auf dem Felde der Politik dilettiren. Und wer es über sich gewinnt,
zwischen die Worte "das hohe Glück, die Reichsgründung mitanzusehen," ein
höhnisches "allerunterthänigst" einzuschieben, der beweist ja klar, daß er in der
That zu den Unverbesserlichen gehört. Armer Mann, der einem solchen welt¬
geschichtlichen Ereignis gegenüber seine bairisch-schwäbischen Schrullen nicht ver¬
gessen kann! In Münchener Philisterregionen mögen ja solche Wendungen als
sehr freisinnig nud patriotisch bewundert werden, aber wer um deren Beifall
wirbt, sollte sich wenigstens nicht vermessen, andern Leuten Vorlesungen über
Nationalgefühl und deutsches Gesamtbewußtsein zu halten.

Eine wahre Erquickung gewährte nach der Beschäftigung mit dieser Art von
deutschen Gesamtbewußtsein die Lektüre von Aussähen W. H. Nichts, welche


Soll sich Deutschland zu ihrem Schirmherrn auswerfe»? So oft noch das — gewiß
jedesmal grundlose — Gerücht aufgetaucht ist, der deutsche Reichskanzler mache
Miene, sich in die innern Angelegenheiten Österreichs zu mischen, gerieten nicht
nur Slaven und Klerikale in hohe Aufregung, sondern gerade diejenigen, welche
sich rühmen, den österreichischen Staatsgedanken und die altösterreichischen Tra¬
ditionen unverbrüchlich hochzuhalten: die Deutschen; der bloße Gedanke an eine
Zolleinigung hat Tschechen und Magyaren zu den leidenschaftlichsten Protesten
bewogen; unzcihligcmale in den letzten Jahren haben wir gehört, daß die Deutsch¬
österreicher der sträflichen Hinneigung zu Preußen bezichtigt worden find, und
es wird behauptet, daß solche Verdächtigungen nicht ohne Einfluß auf die
Wendung der Dinge in den letzten fünf Jahren gewesen seien. Was anders
glauben die Herren Brinz und Konsorten mit ihren Deklamationen zu erreichen,
als abermalige Belebung des Mißtrauens, welches wenigstens in den obersten
Regionen beseitigt zu haben einer der schönsten Triumphe der Bismarckschen
Politik genannt werden darf?

Jeder gute Deutsche wird das Ringen der Stammesgenossen um ihre
Nationalität mit seinen wärmsten Sympathien begleiten, ob sie nun an der
Moldau oder an der Ostsee, in den Bergen Steiermarks oder Siebenbürgens
oder auf irgendeinem Flecke jenseits des Weltmeers den Ansturm fremder Völker
zu bestehen haben. Darüber jedoch muß Klarheit herrschen, daß Deutschland
ihnen keine Hilfe leisten kann, und daß jeder Schein des Strebens nach einem
Protektorat, gehe er auch von gänzlich unberufener Seite ans, ihre gute Sache
nur schädigen würde.

Aber die übereifriger Freunde des Deutschtums im Auslande denken sich
bei ihren Standreden wohl überhaupt uicht viel. Die heillose Gewohnheit, in
unverantwortlicher Stellung Phrasenraketen in die Luft zu werfen, welche dem
naiven Publikum ein Ah! der Bewunderung entreißen, zehnmal verpuffen, in¬
dessen auch einmal zünden können, läßt sie nicht los. Es ist ein starkes Stück,
einem Manne von dein wissenschaftlichen Berufe des Professor von Brinz so
etwas zuzutrauen. Allein wir erleben ja täglich völlige Kopflosigkeit bei Pro¬
fessoren, die auf dem Felde der Politik dilettiren. Und wer es über sich gewinnt,
zwischen die Worte „das hohe Glück, die Reichsgründung mitanzusehen," ein
höhnisches „allerunterthänigst" einzuschieben, der beweist ja klar, daß er in der
That zu den Unverbesserlichen gehört. Armer Mann, der einem solchen welt¬
geschichtlichen Ereignis gegenüber seine bairisch-schwäbischen Schrullen nicht ver¬
gessen kann! In Münchener Philisterregionen mögen ja solche Wendungen als
sehr freisinnig nud patriotisch bewundert werden, aber wer um deren Beifall
wirbt, sollte sich wenigstens nicht vermessen, andern Leuten Vorlesungen über
Nationalgefühl und deutsches Gesamtbewußtsein zu halten.

Eine wahre Erquickung gewährte nach der Beschäftigung mit dieser Art von
deutschen Gesamtbewußtsein die Lektüre von Aussähen W. H. Nichts, welche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/694>, abgerufen am 22.07.2024.