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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die niederländische Genre- und Ücmdschaftsmalerei.

gewisse Stimmung wiederzuspiegeln. Wie er in seinen menschlichen Figuren alle
seelischen Affekte zum Ausdruck zu bringen verstand, so bewegen sich auch seine
Landschaften in dem weitesten Umkreise des Stimmuugslebens, von dem Stadium
idyllischer Ruhe bis zur höchsten dramatischen Spannung und Erregtheit. Um
zwei Beispiele schroffster Gegensätze aus den fünfzig Landschaften herauszuheben,
die wir uoch von Rubens besitzen, brauchen wir uur an die herrliche Abend¬
landschaft mit dem Regenbogen im Louvre, ein Wunderwerk in der feinen Ab¬
stufung der Lufttöne und von großer Meisterschaft in der Perspektive, und an
den gewaltigen Gewittersturm mit Jupiter, Merkur, Philemon und Baucis im
Wiener Belvedere zu erinnern. Von den ältern Meistern hat nicht ein einziger
eine ähnliche Kraft entfaltet wie Rubens in dieser Landschaft, welche die Ele¬
mente in wildesten Aufruhr zeigt. Unter schwefelgelben Blitzen entladet sich
ein Wolkenbruch über der gebirgigen Landschaft. Ein Gebirgsstrom ist zu einer
breiten Flut angeschwollen, welche, vom Orkane gepeitscht, alles mit sich wegreißt,
was sie erreichen kann: Bäume, Felsen, Tiere lind Menschen. Von neueren
Meistern haben uur Calcnne und Andreas Ueberhand ähnliches geschaffen.

Wenn in dieser Landschaft das dramatische Motiv durch das Gewitter ge-
geben ist, so suchte Rubens in andern landschaftlichen Kompositionen ein solches,
indem er zu rein malerischen Mitteln griff. Er rief die dramatische Spannung
durch den bloßen Gegensatz zwischen Licht und Schatten, zwischen großer Hellig¬
keit und tiefem Dunkel, zwischen glänzendem Sonnenschein und schwarzem Ge¬
wölk hervor. So war es eines seiner Lieblingsmotive, eine Landschaft in dem
Augenblicke zu erfassen, wo ans der einen Seite die Sonne siegreich die Nacht
der Regenwolken durchbrochen hat und auf der audern Seite das zerstreute
Gewölk zurückweicht. Von einer Partie zur audern spannte Rubens dann ge¬
wöhnlich einen Regenbogen. Außer dem Louvre besitzen auch die Münchener
Pinakothek und das Museum der Ermitage solche Landschaften mit Regenbogen,
während sich andre Exemplare in englischen Sammlungen befinden. Dieses
Motiv eines kurz vorausgegangenen Regens bot Rubens noch den Vorteil, daß
er an dem nassen Grün der Wiesen, an dem aufgefrischten Laub der Bäume
und an der mit Feuchtigkeit geschwängerten Luft den ganzen Zauber seines
saftigen Kolorits entfalten konnte. Auch als Landschaftsmaler -- und darin
besteht ein weiterer Schritt über seine Vorgänger hinaus -- war Rubens in
erster Linie Kolorist, d. h. ein Maler, der nach Tonwirkuug strebte, während
Vrueghel mit der gefälligen Wirkung von sauber neben einander hingesetzten
Lokalfarben zufrieden war.

Rubens nahm auch bei der Wahl der Staffage sorgfältige Rücksicht auf
den Charakter der Landschaft, wenn er nicht etwa, was ebensogut anzunehmen
ist, zuerst das Motiv für die Staffage wählte und darnach die Landschaft kom-
ponirte. Auf der "Jagd des Meleager und der Atalante" im Museum zu
Madrid und der "Begegnung des Odysseus mit der Nausikaa" zeigt die Land-


Die niederländische Genre- und Ücmdschaftsmalerei.

gewisse Stimmung wiederzuspiegeln. Wie er in seinen menschlichen Figuren alle
seelischen Affekte zum Ausdruck zu bringen verstand, so bewegen sich auch seine
Landschaften in dem weitesten Umkreise des Stimmuugslebens, von dem Stadium
idyllischer Ruhe bis zur höchsten dramatischen Spannung und Erregtheit. Um
zwei Beispiele schroffster Gegensätze aus den fünfzig Landschaften herauszuheben,
die wir uoch von Rubens besitzen, brauchen wir uur an die herrliche Abend¬
landschaft mit dem Regenbogen im Louvre, ein Wunderwerk in der feinen Ab¬
stufung der Lufttöne und von großer Meisterschaft in der Perspektive, und an
den gewaltigen Gewittersturm mit Jupiter, Merkur, Philemon und Baucis im
Wiener Belvedere zu erinnern. Von den ältern Meistern hat nicht ein einziger
eine ähnliche Kraft entfaltet wie Rubens in dieser Landschaft, welche die Ele¬
mente in wildesten Aufruhr zeigt. Unter schwefelgelben Blitzen entladet sich
ein Wolkenbruch über der gebirgigen Landschaft. Ein Gebirgsstrom ist zu einer
breiten Flut angeschwollen, welche, vom Orkane gepeitscht, alles mit sich wegreißt,
was sie erreichen kann: Bäume, Felsen, Tiere lind Menschen. Von neueren
Meistern haben uur Calcnne und Andreas Ueberhand ähnliches geschaffen.

Wenn in dieser Landschaft das dramatische Motiv durch das Gewitter ge-
geben ist, so suchte Rubens in andern landschaftlichen Kompositionen ein solches,
indem er zu rein malerischen Mitteln griff. Er rief die dramatische Spannung
durch den bloßen Gegensatz zwischen Licht und Schatten, zwischen großer Hellig¬
keit und tiefem Dunkel, zwischen glänzendem Sonnenschein und schwarzem Ge¬
wölk hervor. So war es eines seiner Lieblingsmotive, eine Landschaft in dem
Augenblicke zu erfassen, wo ans der einen Seite die Sonne siegreich die Nacht
der Regenwolken durchbrochen hat und auf der audern Seite das zerstreute
Gewölk zurückweicht. Von einer Partie zur audern spannte Rubens dann ge¬
wöhnlich einen Regenbogen. Außer dem Louvre besitzen auch die Münchener
Pinakothek und das Museum der Ermitage solche Landschaften mit Regenbogen,
während sich andre Exemplare in englischen Sammlungen befinden. Dieses
Motiv eines kurz vorausgegangenen Regens bot Rubens noch den Vorteil, daß
er an dem nassen Grün der Wiesen, an dem aufgefrischten Laub der Bäume
und an der mit Feuchtigkeit geschwängerten Luft den ganzen Zauber seines
saftigen Kolorits entfalten konnte. Auch als Landschaftsmaler — und darin
besteht ein weiterer Schritt über seine Vorgänger hinaus — war Rubens in
erster Linie Kolorist, d. h. ein Maler, der nach Tonwirkuug strebte, während
Vrueghel mit der gefälligen Wirkung von sauber neben einander hingesetzten
Lokalfarben zufrieden war.

Rubens nahm auch bei der Wahl der Staffage sorgfältige Rücksicht auf
den Charakter der Landschaft, wenn er nicht etwa, was ebensogut anzunehmen
ist, zuerst das Motiv für die Staffage wählte und darnach die Landschaft kom-
ponirte. Auf der „Jagd des Meleager und der Atalante" im Museum zu
Madrid und der „Begegnung des Odysseus mit der Nausikaa" zeigt die Land-


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[0690] Die niederländische Genre- und Ücmdschaftsmalerei. gewisse Stimmung wiederzuspiegeln. Wie er in seinen menschlichen Figuren alle seelischen Affekte zum Ausdruck zu bringen verstand, so bewegen sich auch seine Landschaften in dem weitesten Umkreise des Stimmuugslebens, von dem Stadium idyllischer Ruhe bis zur höchsten dramatischen Spannung und Erregtheit. Um zwei Beispiele schroffster Gegensätze aus den fünfzig Landschaften herauszuheben, die wir uoch von Rubens besitzen, brauchen wir uur an die herrliche Abend¬ landschaft mit dem Regenbogen im Louvre, ein Wunderwerk in der feinen Ab¬ stufung der Lufttöne und von großer Meisterschaft in der Perspektive, und an den gewaltigen Gewittersturm mit Jupiter, Merkur, Philemon und Baucis im Wiener Belvedere zu erinnern. Von den ältern Meistern hat nicht ein einziger eine ähnliche Kraft entfaltet wie Rubens in dieser Landschaft, welche die Ele¬ mente in wildesten Aufruhr zeigt. Unter schwefelgelben Blitzen entladet sich ein Wolkenbruch über der gebirgigen Landschaft. Ein Gebirgsstrom ist zu einer breiten Flut angeschwollen, welche, vom Orkane gepeitscht, alles mit sich wegreißt, was sie erreichen kann: Bäume, Felsen, Tiere lind Menschen. Von neueren Meistern haben uur Calcnne und Andreas Ueberhand ähnliches geschaffen. Wenn in dieser Landschaft das dramatische Motiv durch das Gewitter ge- geben ist, so suchte Rubens in andern landschaftlichen Kompositionen ein solches, indem er zu rein malerischen Mitteln griff. Er rief die dramatische Spannung durch den bloßen Gegensatz zwischen Licht und Schatten, zwischen großer Hellig¬ keit und tiefem Dunkel, zwischen glänzendem Sonnenschein und schwarzem Ge¬ wölk hervor. So war es eines seiner Lieblingsmotive, eine Landschaft in dem Augenblicke zu erfassen, wo ans der einen Seite die Sonne siegreich die Nacht der Regenwolken durchbrochen hat und auf der audern Seite das zerstreute Gewölk zurückweicht. Von einer Partie zur audern spannte Rubens dann ge¬ wöhnlich einen Regenbogen. Außer dem Louvre besitzen auch die Münchener Pinakothek und das Museum der Ermitage solche Landschaften mit Regenbogen, während sich andre Exemplare in englischen Sammlungen befinden. Dieses Motiv eines kurz vorausgegangenen Regens bot Rubens noch den Vorteil, daß er an dem nassen Grün der Wiesen, an dem aufgefrischten Laub der Bäume und an der mit Feuchtigkeit geschwängerten Luft den ganzen Zauber seines saftigen Kolorits entfalten konnte. Auch als Landschaftsmaler — und darin besteht ein weiterer Schritt über seine Vorgänger hinaus — war Rubens in erster Linie Kolorist, d. h. ein Maler, der nach Tonwirkuug strebte, während Vrueghel mit der gefälligen Wirkung von sauber neben einander hingesetzten Lokalfarben zufrieden war. Rubens nahm auch bei der Wahl der Staffage sorgfältige Rücksicht auf den Charakter der Landschaft, wenn er nicht etwa, was ebensogut anzunehmen ist, zuerst das Motiv für die Staffage wählte und darnach die Landschaft kom- ponirte. Auf der „Jagd des Meleager und der Atalante" im Museum zu Madrid und der „Begegnung des Odysseus mit der Nausikaa" zeigt die Land-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/690>, abgerufen am 22.07.2024.