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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Karl Gottlieb Svarez.

Sie bildete die Grundlage für die Schöpfung einer neuen Gerichtsordnung und
eines Gesetzbuches.

Zuerst wurde die Gerichtsordnung in Angriff genommen. Für diese lag
bereits der Entwurf von 1775 vor, der nur geringer Umarbeitung bedürfte.
Schon im Dezember 1780 konnte der vollendete Entwurf veröffentlicht werden.
Es wurde eine Gesetzkommission errichtet aus acht hervorragenden Juristen
(einschließlich Svarez). Dieser wurde der Entwurf zur Begutachtung überwiesen.
Später wurde derselbe auch wiederholt den Gerichten mitgeteilt, um Morio zu
stellen. Alle auf Grund solcher Verbesserungsvorschläge gebotenen Umarbei¬
tungen lagen in Svarez' Hand. So zog sich das Werk hin, bis es am
6. Juli 1793 als "Allgemeine Gerichtsordnung" ins Leben trat. Zur Er¬
gänzung desselben hatte Svarez auch noch eine Deposital- und eine Hypotheken¬
ordnung gearbeitet, deren Entwürfe schon im Jahre 1783 vollendet waren.

War die Gerichtsordnung in ihren Grundzügen dem Geiste Carmers ent¬
sprossen, so lag dagegen bei dem bürgerlichen Gesetzbuch die Arbeit in erster
Linie auf den Schultern von Svarez. Gleichwohl war man nicht abgeneigt,
weitere Kräfte zuzuziehen. Der Oberamtsrat Schlosser zu Emmendingen in
Baden, der Schwager Goethes, hatte im Jahre 1777 eine beachtnngswerte
Schrift über Verbesserung des bürgerlichen Rechtes in Deutschland veröffentlicht.
Er sprach sich darin mit Entschiedenheit gegen die gänzliche Beseitigung des
römischen Rechtes aus und bekämpfte die Möglichkeit, ein alles umfassendes
Gesetzbuch herzustellen. Bezüglich der Prozeßgesetzgebung vertrat er das Prinzip
möglichster Einfachheit. "Der bravsinnige Mann braucht nur eine ganz Plane
simple Prozeßform; das beste muß sein Herz und sein Sinn thun. Es geht
uns wie dem Götz von Berlichingen. In dem Kabinet kann man so wenig
nach dem Zettel arbeiten, als man im Felde darnach reiten kann. Je ängstlicher
eine Prozeßform ist, umsomehr giebt sie dem Chikancur Schlupfwinkel." Mit
diesem hervorragenden Manne knüpfte man nun Verhandlungen an wegen Teil¬
nahme an dem Gesetzwerkc. Er war anch in seinem Sinne dazu bereit und
machte mehrfache Vorschläge, nach welchen er an der Arbeit sich beteiligen
wollte; er wollte aber nicht nach Berlin kommen, sondern in seiner süddeutschen
Heimat verbleiben. Darauf wurden seine Vorschlüge abgelehnt. Ob deshalb,
weil er Berlin verschmähte, oder weil man seine Ansichten nicht billigte? Wer
kann es sagen. Jedenfalls war ihm Carmer später nicht hold. Denn er strich
ihn unter denjenigen Juristen, welchen die Entwürfe zur Begutachtung mitgeteilt
werden sollten. Wie anders aber würde vielleicht die gesamte deutsche Rechts¬
entwicklung sich gestaltet haben, wenn der Einfluß dieses Mannes auf die preu¬
ßischen Gesetzwerkc zur Geltung gekommen wäre!

Man sah sich nun nach einer andern geeigneten Hilfe um. Nach mehrfach
mißglückter Versuchen fand man eine solche in dem Assistenzrat (später Kammer¬
gerichtsrat und dann Professor) Klein, welcher ein ganzes Jahrzehnt hindurch


Grenzboten I. 188L. 84
Karl Gottlieb Svarez.

Sie bildete die Grundlage für die Schöpfung einer neuen Gerichtsordnung und
eines Gesetzbuches.

Zuerst wurde die Gerichtsordnung in Angriff genommen. Für diese lag
bereits der Entwurf von 1775 vor, der nur geringer Umarbeitung bedürfte.
Schon im Dezember 1780 konnte der vollendete Entwurf veröffentlicht werden.
Es wurde eine Gesetzkommission errichtet aus acht hervorragenden Juristen
(einschließlich Svarez). Dieser wurde der Entwurf zur Begutachtung überwiesen.
Später wurde derselbe auch wiederholt den Gerichten mitgeteilt, um Morio zu
stellen. Alle auf Grund solcher Verbesserungsvorschläge gebotenen Umarbei¬
tungen lagen in Svarez' Hand. So zog sich das Werk hin, bis es am
6. Juli 1793 als „Allgemeine Gerichtsordnung" ins Leben trat. Zur Er¬
gänzung desselben hatte Svarez auch noch eine Deposital- und eine Hypotheken¬
ordnung gearbeitet, deren Entwürfe schon im Jahre 1783 vollendet waren.

War die Gerichtsordnung in ihren Grundzügen dem Geiste Carmers ent¬
sprossen, so lag dagegen bei dem bürgerlichen Gesetzbuch die Arbeit in erster
Linie auf den Schultern von Svarez. Gleichwohl war man nicht abgeneigt,
weitere Kräfte zuzuziehen. Der Oberamtsrat Schlosser zu Emmendingen in
Baden, der Schwager Goethes, hatte im Jahre 1777 eine beachtnngswerte
Schrift über Verbesserung des bürgerlichen Rechtes in Deutschland veröffentlicht.
Er sprach sich darin mit Entschiedenheit gegen die gänzliche Beseitigung des
römischen Rechtes aus und bekämpfte die Möglichkeit, ein alles umfassendes
Gesetzbuch herzustellen. Bezüglich der Prozeßgesetzgebung vertrat er das Prinzip
möglichster Einfachheit. „Der bravsinnige Mann braucht nur eine ganz Plane
simple Prozeßform; das beste muß sein Herz und sein Sinn thun. Es geht
uns wie dem Götz von Berlichingen. In dem Kabinet kann man so wenig
nach dem Zettel arbeiten, als man im Felde darnach reiten kann. Je ängstlicher
eine Prozeßform ist, umsomehr giebt sie dem Chikancur Schlupfwinkel." Mit
diesem hervorragenden Manne knüpfte man nun Verhandlungen an wegen Teil¬
nahme an dem Gesetzwerkc. Er war anch in seinem Sinne dazu bereit und
machte mehrfache Vorschläge, nach welchen er an der Arbeit sich beteiligen
wollte; er wollte aber nicht nach Berlin kommen, sondern in seiner süddeutschen
Heimat verbleiben. Darauf wurden seine Vorschlüge abgelehnt. Ob deshalb,
weil er Berlin verschmähte, oder weil man seine Ansichten nicht billigte? Wer
kann es sagen. Jedenfalls war ihm Carmer später nicht hold. Denn er strich
ihn unter denjenigen Juristen, welchen die Entwürfe zur Begutachtung mitgeteilt
werden sollten. Wie anders aber würde vielleicht die gesamte deutsche Rechts¬
entwicklung sich gestaltet haben, wenn der Einfluß dieses Mannes auf die preu¬
ßischen Gesetzwerkc zur Geltung gekommen wäre!

Man sah sich nun nach einer andern geeigneten Hilfe um. Nach mehrfach
mißglückter Versuchen fand man eine solche in dem Assistenzrat (später Kammer¬
gerichtsrat und dann Professor) Klein, welcher ein ganzes Jahrzehnt hindurch


Grenzboten I. 188L. 84
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[0677] Karl Gottlieb Svarez. Sie bildete die Grundlage für die Schöpfung einer neuen Gerichtsordnung und eines Gesetzbuches. Zuerst wurde die Gerichtsordnung in Angriff genommen. Für diese lag bereits der Entwurf von 1775 vor, der nur geringer Umarbeitung bedürfte. Schon im Dezember 1780 konnte der vollendete Entwurf veröffentlicht werden. Es wurde eine Gesetzkommission errichtet aus acht hervorragenden Juristen (einschließlich Svarez). Dieser wurde der Entwurf zur Begutachtung überwiesen. Später wurde derselbe auch wiederholt den Gerichten mitgeteilt, um Morio zu stellen. Alle auf Grund solcher Verbesserungsvorschläge gebotenen Umarbei¬ tungen lagen in Svarez' Hand. So zog sich das Werk hin, bis es am 6. Juli 1793 als „Allgemeine Gerichtsordnung" ins Leben trat. Zur Er¬ gänzung desselben hatte Svarez auch noch eine Deposital- und eine Hypotheken¬ ordnung gearbeitet, deren Entwürfe schon im Jahre 1783 vollendet waren. War die Gerichtsordnung in ihren Grundzügen dem Geiste Carmers ent¬ sprossen, so lag dagegen bei dem bürgerlichen Gesetzbuch die Arbeit in erster Linie auf den Schultern von Svarez. Gleichwohl war man nicht abgeneigt, weitere Kräfte zuzuziehen. Der Oberamtsrat Schlosser zu Emmendingen in Baden, der Schwager Goethes, hatte im Jahre 1777 eine beachtnngswerte Schrift über Verbesserung des bürgerlichen Rechtes in Deutschland veröffentlicht. Er sprach sich darin mit Entschiedenheit gegen die gänzliche Beseitigung des römischen Rechtes aus und bekämpfte die Möglichkeit, ein alles umfassendes Gesetzbuch herzustellen. Bezüglich der Prozeßgesetzgebung vertrat er das Prinzip möglichster Einfachheit. „Der bravsinnige Mann braucht nur eine ganz Plane simple Prozeßform; das beste muß sein Herz und sein Sinn thun. Es geht uns wie dem Götz von Berlichingen. In dem Kabinet kann man so wenig nach dem Zettel arbeiten, als man im Felde darnach reiten kann. Je ängstlicher eine Prozeßform ist, umsomehr giebt sie dem Chikancur Schlupfwinkel." Mit diesem hervorragenden Manne knüpfte man nun Verhandlungen an wegen Teil¬ nahme an dem Gesetzwerkc. Er war anch in seinem Sinne dazu bereit und machte mehrfache Vorschläge, nach welchen er an der Arbeit sich beteiligen wollte; er wollte aber nicht nach Berlin kommen, sondern in seiner süddeutschen Heimat verbleiben. Darauf wurden seine Vorschlüge abgelehnt. Ob deshalb, weil er Berlin verschmähte, oder weil man seine Ansichten nicht billigte? Wer kann es sagen. Jedenfalls war ihm Carmer später nicht hold. Denn er strich ihn unter denjenigen Juristen, welchen die Entwürfe zur Begutachtung mitgeteilt werden sollten. Wie anders aber würde vielleicht die gesamte deutsche Rechts¬ entwicklung sich gestaltet haben, wenn der Einfluß dieses Mannes auf die preu¬ ßischen Gesetzwerkc zur Geltung gekommen wäre! Man sah sich nun nach einer andern geeigneten Hilfe um. Nach mehrfach mißglückter Versuchen fand man eine solche in dem Assistenzrat (später Kammer¬ gerichtsrat und dann Professor) Klein, welcher ein ganzes Jahrzehnt hindurch Grenzboten I. 188L. 84

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/677>, abgerufen am 30.06.2024.