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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Uarl der Fünfte und die deutsche Nation.

So waren die Hoffnungen vieler im Sommer 1519. Je jünger der König
noch war, dessen wohl 1517 gefertigtes Bild in der Pariser Nationalbibliothek
eher auf einen Dreizehnjährigen, als auf einen siebzehnjährigen schließen läßt,*)
desto idealer angelegt, desto begeisterungsfähiger mußte er ja noch sein, desto
offener, desto wagemutiger für religiöse Reform. Nicht zwei Jahre vergingen,
und die Optimisten waren gründlich enttäuscht.

Wie war dies zugegangen?

Da ist nun erstlich sicher, daß von vornherein ein gewaltiger Fehler der
Rechnung darin steckte, daß man Karl überhaupt eine innerliche Verwandtschaft
mit den Ideen zutraute, welche damals unsre Nation in ihren tiefsten Tiefen
aufwühlten. "In Deutschland, bezeugt der Legat Alecmder, schrieen Bäume und
Steine nach Luther"; das Schisma unter Heinrich dem Vierten gegen Gregor
den Siebenten erschien ihm, wie wir aus seinen 1884 vollständiger als seither
herausgegebenen Berichten wissen,**) als ein Kinderspiel gegen die jetzige Be¬
wegung; in Worms wollte niemand dem Legaten auch nur Quartier geben, so
viel Geld er auch bot; unbezahlbar ist die Geschichte von dem Franziskaner,
der in Ulm solange keine Zuhörer finden konnte, als er orthodox predigte, aber
alsbald ans der ganzen Gegend Zulauf bekam, als er anfing, Luthers Sätze
zu verteidigen; selbst Herzog Georg von Sachsen hat mit voller Energie die
zahllosen von Rom aus geübten Erpressungen getadelt und eine durchgreifende
Reform der Kirche gefordert; gerade er, welcher gegen Luther aufgestanden war,
ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, daß antilutherisch noch lange nicht papistisch
im Sinne des damaligen "romanistischen" Wesens war.

Aber ganz anders lag die Sache bei Karl dem Fünften. Sein Erzieher
war jener Bischof Hadrian von Utrecht gewesen, der später als Papst Hadrian
der Sechste so eifrig bemüht war, die Sache der kirchlichen Reform mit den
Mitteln der Hierarchie, mit absoluter Ausstoßung aller Ketzereien und aller
Ketzer zu betreiben. Was wir hiernach schon vermuten dürfen, das wird durch
alle Berichte Aleanders ans Worms. an deren Ehrlichkeit zu zweifeln nicht der
geringste Grund vorliegt, bis zum Übermaß bestätigt: Karl der Fünfte war so
gesinnt, wie er es am Abend jenes denkwürdigen 18. April 1521 aussprach,
Luther sollte ihn nicht zum Ketzer machen. Alecmder, der den Eindruck des "großen
Hciresiarchen" auf so viele Mitglieder des Reichstags wahrnahm, fühlte sich
ganz aufgerichtet durch das Benehmen dieses "wahrhaft katholischen" Fürsten;
was an religiösem Ernst und Empfinden in Karl dem Fünften lebte, das trieb
ihn eher von Luther hinweg als zu Luther hin. "Kaiserliche Majestät, schreibt




*) Vergl. das eben erschienene Werk von H. Baumgarten, Karl der Fünfte. Erster
Band. Stuttgart, Cotta, 138S, ein Werk, das Gründlichkeit der Forschung mit dem vollsten
Reize der Erztthlung verbindet; es liest sich an vielen Stellen so fesselnd wie ein Roman.
**) Vergl. Bakar, NoiMmsnt" rstorm-i-tioirig I,uttiors,rio, Regensburg, 1884, und
Brieger, Alecmder und Luther 1521, Gotha, 1884.
Uarl der Fünfte und die deutsche Nation.

So waren die Hoffnungen vieler im Sommer 1519. Je jünger der König
noch war, dessen wohl 1517 gefertigtes Bild in der Pariser Nationalbibliothek
eher auf einen Dreizehnjährigen, als auf einen siebzehnjährigen schließen läßt,*)
desto idealer angelegt, desto begeisterungsfähiger mußte er ja noch sein, desto
offener, desto wagemutiger für religiöse Reform. Nicht zwei Jahre vergingen,
und die Optimisten waren gründlich enttäuscht.

Wie war dies zugegangen?

Da ist nun erstlich sicher, daß von vornherein ein gewaltiger Fehler der
Rechnung darin steckte, daß man Karl überhaupt eine innerliche Verwandtschaft
mit den Ideen zutraute, welche damals unsre Nation in ihren tiefsten Tiefen
aufwühlten. „In Deutschland, bezeugt der Legat Alecmder, schrieen Bäume und
Steine nach Luther"; das Schisma unter Heinrich dem Vierten gegen Gregor
den Siebenten erschien ihm, wie wir aus seinen 1884 vollständiger als seither
herausgegebenen Berichten wissen,**) als ein Kinderspiel gegen die jetzige Be¬
wegung; in Worms wollte niemand dem Legaten auch nur Quartier geben, so
viel Geld er auch bot; unbezahlbar ist die Geschichte von dem Franziskaner,
der in Ulm solange keine Zuhörer finden konnte, als er orthodox predigte, aber
alsbald ans der ganzen Gegend Zulauf bekam, als er anfing, Luthers Sätze
zu verteidigen; selbst Herzog Georg von Sachsen hat mit voller Energie die
zahllosen von Rom aus geübten Erpressungen getadelt und eine durchgreifende
Reform der Kirche gefordert; gerade er, welcher gegen Luther aufgestanden war,
ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, daß antilutherisch noch lange nicht papistisch
im Sinne des damaligen „romanistischen" Wesens war.

Aber ganz anders lag die Sache bei Karl dem Fünften. Sein Erzieher
war jener Bischof Hadrian von Utrecht gewesen, der später als Papst Hadrian
der Sechste so eifrig bemüht war, die Sache der kirchlichen Reform mit den
Mitteln der Hierarchie, mit absoluter Ausstoßung aller Ketzereien und aller
Ketzer zu betreiben. Was wir hiernach schon vermuten dürfen, das wird durch
alle Berichte Aleanders ans Worms. an deren Ehrlichkeit zu zweifeln nicht der
geringste Grund vorliegt, bis zum Übermaß bestätigt: Karl der Fünfte war so
gesinnt, wie er es am Abend jenes denkwürdigen 18. April 1521 aussprach,
Luther sollte ihn nicht zum Ketzer machen. Alecmder, der den Eindruck des „großen
Hciresiarchen" auf so viele Mitglieder des Reichstags wahrnahm, fühlte sich
ganz aufgerichtet durch das Benehmen dieses „wahrhaft katholischen" Fürsten;
was an religiösem Ernst und Empfinden in Karl dem Fünften lebte, das trieb
ihn eher von Luther hinweg als zu Luther hin. „Kaiserliche Majestät, schreibt




*) Vergl. das eben erschienene Werk von H. Baumgarten, Karl der Fünfte. Erster
Band. Stuttgart, Cotta, 138S, ein Werk, das Gründlichkeit der Forschung mit dem vollsten
Reize der Erztthlung verbindet; es liest sich an vielen Stellen so fesselnd wie ein Roman.
**) Vergl. Bakar, NoiMmsnt» rstorm-i-tioirig I,uttiors,rio, Regensburg, 1884, und
Brieger, Alecmder und Luther 1521, Gotha, 1884.
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[0671] Uarl der Fünfte und die deutsche Nation. So waren die Hoffnungen vieler im Sommer 1519. Je jünger der König noch war, dessen wohl 1517 gefertigtes Bild in der Pariser Nationalbibliothek eher auf einen Dreizehnjährigen, als auf einen siebzehnjährigen schließen läßt,*) desto idealer angelegt, desto begeisterungsfähiger mußte er ja noch sein, desto offener, desto wagemutiger für religiöse Reform. Nicht zwei Jahre vergingen, und die Optimisten waren gründlich enttäuscht. Wie war dies zugegangen? Da ist nun erstlich sicher, daß von vornherein ein gewaltiger Fehler der Rechnung darin steckte, daß man Karl überhaupt eine innerliche Verwandtschaft mit den Ideen zutraute, welche damals unsre Nation in ihren tiefsten Tiefen aufwühlten. „In Deutschland, bezeugt der Legat Alecmder, schrieen Bäume und Steine nach Luther"; das Schisma unter Heinrich dem Vierten gegen Gregor den Siebenten erschien ihm, wie wir aus seinen 1884 vollständiger als seither herausgegebenen Berichten wissen,**) als ein Kinderspiel gegen die jetzige Be¬ wegung; in Worms wollte niemand dem Legaten auch nur Quartier geben, so viel Geld er auch bot; unbezahlbar ist die Geschichte von dem Franziskaner, der in Ulm solange keine Zuhörer finden konnte, als er orthodox predigte, aber alsbald ans der ganzen Gegend Zulauf bekam, als er anfing, Luthers Sätze zu verteidigen; selbst Herzog Georg von Sachsen hat mit voller Energie die zahllosen von Rom aus geübten Erpressungen getadelt und eine durchgreifende Reform der Kirche gefordert; gerade er, welcher gegen Luther aufgestanden war, ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, daß antilutherisch noch lange nicht papistisch im Sinne des damaligen „romanistischen" Wesens war. Aber ganz anders lag die Sache bei Karl dem Fünften. Sein Erzieher war jener Bischof Hadrian von Utrecht gewesen, der später als Papst Hadrian der Sechste so eifrig bemüht war, die Sache der kirchlichen Reform mit den Mitteln der Hierarchie, mit absoluter Ausstoßung aller Ketzereien und aller Ketzer zu betreiben. Was wir hiernach schon vermuten dürfen, das wird durch alle Berichte Aleanders ans Worms. an deren Ehrlichkeit zu zweifeln nicht der geringste Grund vorliegt, bis zum Übermaß bestätigt: Karl der Fünfte war so gesinnt, wie er es am Abend jenes denkwürdigen 18. April 1521 aussprach, Luther sollte ihn nicht zum Ketzer machen. Alecmder, der den Eindruck des „großen Hciresiarchen" auf so viele Mitglieder des Reichstags wahrnahm, fühlte sich ganz aufgerichtet durch das Benehmen dieses „wahrhaft katholischen" Fürsten; was an religiösem Ernst und Empfinden in Karl dem Fünften lebte, das trieb ihn eher von Luther hinweg als zu Luther hin. „Kaiserliche Majestät, schreibt *) Vergl. das eben erschienene Werk von H. Baumgarten, Karl der Fünfte. Erster Band. Stuttgart, Cotta, 138S, ein Werk, das Gründlichkeit der Forschung mit dem vollsten Reize der Erztthlung verbindet; es liest sich an vielen Stellen so fesselnd wie ein Roman. **) Vergl. Bakar, NoiMmsnt» rstorm-i-tioirig I,uttiors,rio, Regensburg, 1884, und Brieger, Alecmder und Luther 1521, Gotha, 1884.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/671>, abgerufen am 23.07.2024.