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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Aarl der Fünfte und die deutsche Nation.

neunzehnjährige -- "katholische König" Karl der Erste von Spanien, der
Enkel des verstorbenen Kaisers Maximilians des Ersten; ihm wandten sich alle
nationalen Sympathien und alle Gefühle dynastischer Anhänglichkeit zu; am
28. Juni 1519 fiel die Wahl aller Kurfürsten in der Bartholomäuskirche zu
Frankfurt auf ihn; selbst Richard Greiffenklcm, Erzbischof von Trier, hatte die
Sache des Welschen verlassen: "es war bedenklich, schreibt der Engländer Pace
schon im Anfang Juni aus Köln, auch nur ein gutes Wort von einem Franzosen
zu reden"; er fand "das ganze Volk bereit, all sein Gut und Blut gegen den
Franzosen aufzuwenden, wenn er gewählt wird."

Aber es waren nicht bloß die nationalen Empfindungen, nicht bloß die
Stimme altgewohnter Anhänglichkeit an das Haus Habsburg, welche Karl den
Ersten, nach deutscher Rechnung Karl den Fünften, so populär in Deutschland
machten. Was man von ihm erwartete, das lehren die Worte Luthers, der den
jungen Kaiser als "das junge edle Blut" begrüßte; das lehrt das fast
schwärmerische Angebot Ulrichs von Hütten: "Tag und Nacht will ich dir dienen
ohne Lohn; manchen stolzen Helden will ich dir aufwecken; du sollst der Haupt¬
mann sein, Anfänger und Vollender, es fehlt nur an deinem Gebot." Solche
Hoffnungen machten sich umso entschiedner geltend, als jedermann wußte, daß
der Papst Leo der Zehnte trotz aller dringlichen Gründe, die Karl den Fünften
der Kurie hätten empfehlen sollen, sich doch für Franz den Ersten entschieden,
für ihn bis hart vor der Entscheidung gearbeitet hatte. Niemand konnte mit
mehr Nachdruck und Aussicht auf Erfolg der steigenden türkischen Flut einen
Damm entgegenstellen als der katholische König, welcher Neapel und Sizilien
beherrschte, welcher nach Nordafrika übergriff: von niemand ließ sich auch
besserer Wille dazu voraussetzen. Aber gerade der König von Neapel, dessen
Grenzpfähle so nahe bei der ewigen Stadt standen, sollte nicht Kaiser werden,
damit er nicht allzumächtig werde und den Papst in Rom erdrücke; die Rücksicht
auf die weltliche Macht, nebenbei mediceische Hausinteressen hatten in Leo dem
Zehnten die Stimme verstummen lassen, die sich im Herzen des Oberhirten der
Gläubigen Hütte damals vor allem, die sich Hütte allein regen sollen. Der Papst
war unterlegen, sein Kandidat war gänzlich zurückgewiesen worden; was war
natürlicher, als daß man in Deutschland annahm, der neue Kaiser werde seine
Rache nehmen, wo er es so trefflich konnte, auf kirchlichem Gebiete, er werde auf
die Begünstigung Franz' des Ersten mit der Begünstigung Luthers antworten.
Ja, wie wir aus den Wormser Verhandlungen wissen, man hoffte Luther zu
einem räsonnabeln, politisch überlegten Vorgehen zu bringen; man hoffte ihn
in die nationale Phalanx einzureihen, welche der Kurie 1518 die "hundert
Gravamina der alemannischen Nation" entgegengeschleudert hatte; man hoffte
den regellosen Freischärler in einen disziplinirten Soldaten zu verwandeln;
weshalb sollte es nicht gelingen, nach allem vorausgegangenen Karl den Fünften
zum Alexander dieser antikurialen Phalanx zu gewinnen?


Aarl der Fünfte und die deutsche Nation.

neunzehnjährige — „katholische König" Karl der Erste von Spanien, der
Enkel des verstorbenen Kaisers Maximilians des Ersten; ihm wandten sich alle
nationalen Sympathien und alle Gefühle dynastischer Anhänglichkeit zu; am
28. Juni 1519 fiel die Wahl aller Kurfürsten in der Bartholomäuskirche zu
Frankfurt auf ihn; selbst Richard Greiffenklcm, Erzbischof von Trier, hatte die
Sache des Welschen verlassen: „es war bedenklich, schreibt der Engländer Pace
schon im Anfang Juni aus Köln, auch nur ein gutes Wort von einem Franzosen
zu reden"; er fand „das ganze Volk bereit, all sein Gut und Blut gegen den
Franzosen aufzuwenden, wenn er gewählt wird."

Aber es waren nicht bloß die nationalen Empfindungen, nicht bloß die
Stimme altgewohnter Anhänglichkeit an das Haus Habsburg, welche Karl den
Ersten, nach deutscher Rechnung Karl den Fünften, so populär in Deutschland
machten. Was man von ihm erwartete, das lehren die Worte Luthers, der den
jungen Kaiser als „das junge edle Blut" begrüßte; das lehrt das fast
schwärmerische Angebot Ulrichs von Hütten: „Tag und Nacht will ich dir dienen
ohne Lohn; manchen stolzen Helden will ich dir aufwecken; du sollst der Haupt¬
mann sein, Anfänger und Vollender, es fehlt nur an deinem Gebot." Solche
Hoffnungen machten sich umso entschiedner geltend, als jedermann wußte, daß
der Papst Leo der Zehnte trotz aller dringlichen Gründe, die Karl den Fünften
der Kurie hätten empfehlen sollen, sich doch für Franz den Ersten entschieden,
für ihn bis hart vor der Entscheidung gearbeitet hatte. Niemand konnte mit
mehr Nachdruck und Aussicht auf Erfolg der steigenden türkischen Flut einen
Damm entgegenstellen als der katholische König, welcher Neapel und Sizilien
beherrschte, welcher nach Nordafrika übergriff: von niemand ließ sich auch
besserer Wille dazu voraussetzen. Aber gerade der König von Neapel, dessen
Grenzpfähle so nahe bei der ewigen Stadt standen, sollte nicht Kaiser werden,
damit er nicht allzumächtig werde und den Papst in Rom erdrücke; die Rücksicht
auf die weltliche Macht, nebenbei mediceische Hausinteressen hatten in Leo dem
Zehnten die Stimme verstummen lassen, die sich im Herzen des Oberhirten der
Gläubigen Hütte damals vor allem, die sich Hütte allein regen sollen. Der Papst
war unterlegen, sein Kandidat war gänzlich zurückgewiesen worden; was war
natürlicher, als daß man in Deutschland annahm, der neue Kaiser werde seine
Rache nehmen, wo er es so trefflich konnte, auf kirchlichem Gebiete, er werde auf
die Begünstigung Franz' des Ersten mit der Begünstigung Luthers antworten.
Ja, wie wir aus den Wormser Verhandlungen wissen, man hoffte Luther zu
einem räsonnabeln, politisch überlegten Vorgehen zu bringen; man hoffte ihn
in die nationale Phalanx einzureihen, welche der Kurie 1518 die „hundert
Gravamina der alemannischen Nation" entgegengeschleudert hatte; man hoffte
den regellosen Freischärler in einen disziplinirten Soldaten zu verwandeln;
weshalb sollte es nicht gelingen, nach allem vorausgegangenen Karl den Fünften
zum Alexander dieser antikurialen Phalanx zu gewinnen?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/670>, abgerufen am 22.07.2024.