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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Um eine Perle.

die Lippen bekommen, weil ihr eine blasse Erinnerung an den gleichnamigen
Knaben, den kleinen Abbondio Buvnaeolsi, durch den Sinn gezogen war.

Der liebreiche Ton ihres Vaters beunruhigte sie jetzt nicht wenig, und sie
sagte: Diese Range mit dem heiligen Abbondio zusammenzuwerfen, war frei¬
lich recht sinnlos, Vater. Ihr erinnert Euch, daß er mir meine schönste Puppe
wegnahm, und daß er sie, mir zum Tort, dann sogar in den Mineio warf,
wo sie unter den Mühlrädern jämmerlich ihr Leben endete.

?0?Mo1lÄ! lächelte der Alte.

Er war blatternarbig, glaubte Florida hinzufügen zu müssen, nud wie er
mir jetzt in der Erinnerung vorschwebt, mochte an ihm nichts zu loben sein
als seine Zähne, soweit man sie nämlich nicht zu kosten bekam. Mich hat er
für alle Zeit gegen alles, was Zähne zeigt, mit Angst und Schrecken erfüllt.
Hier am Oberarm trage ich noch die Spuren. Man kann doch wohl Maul¬
esel und Pferd spielen, ohne zu beißen. Ich war das Pferd und schlug mir
hinten aus. Aber er -- nun, das weiß ich, mir graust, wenn ich an die
Fastenpredigten denke, mit denen er dereinst den armen Leuten die Hölle heizen
wird!

Lospstto al L^ovo, lachte der Alte, du hast, wie ich sehe, ihn wenigstens
lebendig genug vor Augen. Was übrigens die Fastenpredigten betrifft, die
wird er nicht halten.

Er nimmt nicht die Weihen?

Durch eine besondre Vergünstigung unsers heiligen Vaters wird das Ge¬
lübde meines Vetters Vittorio entkräftet werden.

Und Abbondio?

Mehr brauchst du für heute noch nicht zu erfahren.

Die Kavalkade war am Thor angelangt, an der Porta Vescovile, denn
bis jetzt befand man sich noch innerhalb der Festung.

Lazzaro war mit einer Volte seines Fuchses an die Spitze des Zuges
galoppirt, um das Öffnen des Thores zu veranlassen. Der griesgrämige Wacht¬
posten, ein nur schlechtes Italienisch redender Waadtläuder mit Blechhaube,
Radschloßbüchse und Hellebarde, wies die Zumutung aber kurzweg ab, indem
er, ohne sein Hin- und Herstapfen einzustellen, über die Achsel gen Osten deu¬
tete, wo allerdings nur erst ein mattes Rot das Näherrücken des Tagesgestirns
verkündete.

Auf der andern Seite des Thores lagerten, wie sich durch die Schie߬
scharten der Umwallung scheu ließ, Bauern und Bäuerinnen ans der gemüse¬
reichen Umgegend, der Stunde harrend, wo sie mit ihren beladenen Eseln Einlaß
fänden.

Der alte Buonaeolsi sah eine Weile dem Parlamentiren Lazzaros aus der
Ferne zu. Dann sprengte er selbst ärgerlich vor und suchte hoch aus dem
Sattel dem Waadtläuder zu Gemüte zu führen, daß es nicht schicklich sei, Per-


Um eine Perle.

die Lippen bekommen, weil ihr eine blasse Erinnerung an den gleichnamigen
Knaben, den kleinen Abbondio Buvnaeolsi, durch den Sinn gezogen war.

Der liebreiche Ton ihres Vaters beunruhigte sie jetzt nicht wenig, und sie
sagte: Diese Range mit dem heiligen Abbondio zusammenzuwerfen, war frei¬
lich recht sinnlos, Vater. Ihr erinnert Euch, daß er mir meine schönste Puppe
wegnahm, und daß er sie, mir zum Tort, dann sogar in den Mineio warf,
wo sie unter den Mühlrädern jämmerlich ihr Leben endete.

?0?Mo1lÄ! lächelte der Alte.

Er war blatternarbig, glaubte Florida hinzufügen zu müssen, nud wie er
mir jetzt in der Erinnerung vorschwebt, mochte an ihm nichts zu loben sein
als seine Zähne, soweit man sie nämlich nicht zu kosten bekam. Mich hat er
für alle Zeit gegen alles, was Zähne zeigt, mit Angst und Schrecken erfüllt.
Hier am Oberarm trage ich noch die Spuren. Man kann doch wohl Maul¬
esel und Pferd spielen, ohne zu beißen. Ich war das Pferd und schlug mir
hinten aus. Aber er — nun, das weiß ich, mir graust, wenn ich an die
Fastenpredigten denke, mit denen er dereinst den armen Leuten die Hölle heizen
wird!

Lospstto al L^ovo, lachte der Alte, du hast, wie ich sehe, ihn wenigstens
lebendig genug vor Augen. Was übrigens die Fastenpredigten betrifft, die
wird er nicht halten.

Er nimmt nicht die Weihen?

Durch eine besondre Vergünstigung unsers heiligen Vaters wird das Ge¬
lübde meines Vetters Vittorio entkräftet werden.

Und Abbondio?

Mehr brauchst du für heute noch nicht zu erfahren.

Die Kavalkade war am Thor angelangt, an der Porta Vescovile, denn
bis jetzt befand man sich noch innerhalb der Festung.

Lazzaro war mit einer Volte seines Fuchses an die Spitze des Zuges
galoppirt, um das Öffnen des Thores zu veranlassen. Der griesgrämige Wacht¬
posten, ein nur schlechtes Italienisch redender Waadtläuder mit Blechhaube,
Radschloßbüchse und Hellebarde, wies die Zumutung aber kurzweg ab, indem
er, ohne sein Hin- und Herstapfen einzustellen, über die Achsel gen Osten deu¬
tete, wo allerdings nur erst ein mattes Rot das Näherrücken des Tagesgestirns
verkündete.

Auf der andern Seite des Thores lagerten, wie sich durch die Schie߬
scharten der Umwallung scheu ließ, Bauern und Bäuerinnen ans der gemüse¬
reichen Umgegend, der Stunde harrend, wo sie mit ihren beladenen Eseln Einlaß
fänden.

Der alte Buonaeolsi sah eine Weile dem Parlamentiren Lazzaros aus der
Ferne zu. Dann sprengte er selbst ärgerlich vor und suchte hoch aus dem
Sattel dem Waadtläuder zu Gemüte zu führen, daß es nicht schicklich sei, Per-


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[0648] Um eine Perle. die Lippen bekommen, weil ihr eine blasse Erinnerung an den gleichnamigen Knaben, den kleinen Abbondio Buvnaeolsi, durch den Sinn gezogen war. Der liebreiche Ton ihres Vaters beunruhigte sie jetzt nicht wenig, und sie sagte: Diese Range mit dem heiligen Abbondio zusammenzuwerfen, war frei¬ lich recht sinnlos, Vater. Ihr erinnert Euch, daß er mir meine schönste Puppe wegnahm, und daß er sie, mir zum Tort, dann sogar in den Mineio warf, wo sie unter den Mühlrädern jämmerlich ihr Leben endete. ?0?Mo1lÄ! lächelte der Alte. Er war blatternarbig, glaubte Florida hinzufügen zu müssen, nud wie er mir jetzt in der Erinnerung vorschwebt, mochte an ihm nichts zu loben sein als seine Zähne, soweit man sie nämlich nicht zu kosten bekam. Mich hat er für alle Zeit gegen alles, was Zähne zeigt, mit Angst und Schrecken erfüllt. Hier am Oberarm trage ich noch die Spuren. Man kann doch wohl Maul¬ esel und Pferd spielen, ohne zu beißen. Ich war das Pferd und schlug mir hinten aus. Aber er — nun, das weiß ich, mir graust, wenn ich an die Fastenpredigten denke, mit denen er dereinst den armen Leuten die Hölle heizen wird! Lospstto al L^ovo, lachte der Alte, du hast, wie ich sehe, ihn wenigstens lebendig genug vor Augen. Was übrigens die Fastenpredigten betrifft, die wird er nicht halten. Er nimmt nicht die Weihen? Durch eine besondre Vergünstigung unsers heiligen Vaters wird das Ge¬ lübde meines Vetters Vittorio entkräftet werden. Und Abbondio? Mehr brauchst du für heute noch nicht zu erfahren. Die Kavalkade war am Thor angelangt, an der Porta Vescovile, denn bis jetzt befand man sich noch innerhalb der Festung. Lazzaro war mit einer Volte seines Fuchses an die Spitze des Zuges galoppirt, um das Öffnen des Thores zu veranlassen. Der griesgrämige Wacht¬ posten, ein nur schlechtes Italienisch redender Waadtläuder mit Blechhaube, Radschloßbüchse und Hellebarde, wies die Zumutung aber kurzweg ab, indem er, ohne sein Hin- und Herstapfen einzustellen, über die Achsel gen Osten deu¬ tete, wo allerdings nur erst ein mattes Rot das Näherrücken des Tagesgestirns verkündete. Auf der andern Seite des Thores lagerten, wie sich durch die Schie߬ scharten der Umwallung scheu ließ, Bauern und Bäuerinnen ans der gemüse¬ reichen Umgegend, der Stunde harrend, wo sie mit ihren beladenen Eseln Einlaß fänden. Der alte Buonaeolsi sah eine Weile dem Parlamentiren Lazzaros aus der Ferne zu. Dann sprengte er selbst ärgerlich vor und suchte hoch aus dem Sattel dem Waadtläuder zu Gemüte zu führen, daß es nicht schicklich sei, Per-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/648>, abgerufen am 22.07.2024.