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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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andres als die Nähe des Geliebten, als einen Rasensitz an seiner Seite, als
eine Hütte, die sie und ihn gegen Sturm und Regen und gegen neugierige
Blicke schützte, als ein Büchlein, dessen Murmeln das Getöse der fernen Stadt
übertönte, als einen alten Baum mit weiten, dichtbelaubten Ästen und einem
Bilde der Gütigen, der Gnadenreicher, der alles Mitfühlenden und ach, doch
hoffentlich auch wohl alles Verzeihenden, zu der sie gemeinsam die Hände im
Gebet erheben konnten! Aber freilich der Vater, der von ihr Hintergangene
Vater!

Und ihre Thränen tropften auf die silberbeschlagene Reitgerte, und das
Wappen in dem Silberbeschlag sah sie strafend an, bis es vor ihren Augen ver¬
schwamm.

Ich war es freilich der Ehre unsers Hauses schuldig, begann der Alte zwischen
dem Ablesen des Neisegebets von neuem, der Schmuck mußte endlich einmal
wieder kompletirt werden. Und nach einer Weile fuhr er in einem liebreicheren
Tone fort: Erinnerst du dich eines Knaben, der, als du ein kleines, kleines
Kind warst, mit seinem Vater, meinem seligen Neffen Vittorio Buonacolst, öfter
zu uns kam? Er war zwei Jahre dir im Alter voraus. Du hast damals viel mit
ihm in dem Saale, wo das Bild deiner Urgroßmutter hängt, gespielt, am
meisten, wenn ich mich recht besinne, Maulesel und Pferd oder wie nanntet ihr
es sonst? Deine in Gott ruhende Mutter war seine Pate.

Florida war mit ihren Gedanken noch immer weit ab. Sie hatte geglaubt,
der Vater habe von einem Schutzpatron geredet, dessen Name ihm entfallen sei,
und da sie nicht verraten mochte, daß sie nicht zugehört hatte, antwortete sie
aufs Geratewohl: Meint Ihr Sant' Abbondio, Vater?

Der Alte klatschte schmunzelnd seinem Rappen den Rücken. Nun, ob er
dereinst kcmonisirt werden wird, sagte er, das wollen wir der Zukunft über¬
lassen. Dn weißt, mein seliger Vetter Vittorio hatte allerdings den Knaben
der heiligen Kirche verlobt, sehr gegen meinen Willen, denn die schon so arg
zusammengeschmolzene männliche Nachkommenschaft unsers Stammes wurde da¬
durch wieder um zwei Augen reduzirt. Dann ist meinem armen Vetter ja
sein Liebling gestorben, sein Taddeo, setzte der Alte mit einem tiefen Seufzer
hinzu, wenige Mouate, nachdem Vittorio eben jenen jüngeren Knaben, um
Taddeo am Leben zu erhalten, dem geistlichen Stande verlobt hatte. Und somit
blieb ich -- ein Priester zählt ja nicht mit -- der letzte männliche Träger
unsers erlauchten Namens. Nun höre -- denn wozu es dir länger ver¬
schweigen? -- was mich bewogen hat, nach Jahren des Daheimsttzens wieder
in den Sattel zu steigen und zu Ehren unsrer Schmuckkammer mit dir den
langen Ritt nach Verona zu machen. Er schob sein Gebetbuch in die Tasche
und sammelte sich, indem er nach Lazzaro und Eufemia Umschau hielt.

Florida hatte, wie sie merkte, ohne wirklich bei der Sache gewesen zu sein,
schon bei der ersten Frage bewußtlos zugehört und den heiligen Abbondio auf


andres als die Nähe des Geliebten, als einen Rasensitz an seiner Seite, als
eine Hütte, die sie und ihn gegen Sturm und Regen und gegen neugierige
Blicke schützte, als ein Büchlein, dessen Murmeln das Getöse der fernen Stadt
übertönte, als einen alten Baum mit weiten, dichtbelaubten Ästen und einem
Bilde der Gütigen, der Gnadenreicher, der alles Mitfühlenden und ach, doch
hoffentlich auch wohl alles Verzeihenden, zu der sie gemeinsam die Hände im
Gebet erheben konnten! Aber freilich der Vater, der von ihr Hintergangene
Vater!

Und ihre Thränen tropften auf die silberbeschlagene Reitgerte, und das
Wappen in dem Silberbeschlag sah sie strafend an, bis es vor ihren Augen ver¬
schwamm.

Ich war es freilich der Ehre unsers Hauses schuldig, begann der Alte zwischen
dem Ablesen des Neisegebets von neuem, der Schmuck mußte endlich einmal
wieder kompletirt werden. Und nach einer Weile fuhr er in einem liebreicheren
Tone fort: Erinnerst du dich eines Knaben, der, als du ein kleines, kleines
Kind warst, mit seinem Vater, meinem seligen Neffen Vittorio Buonacolst, öfter
zu uns kam? Er war zwei Jahre dir im Alter voraus. Du hast damals viel mit
ihm in dem Saale, wo das Bild deiner Urgroßmutter hängt, gespielt, am
meisten, wenn ich mich recht besinne, Maulesel und Pferd oder wie nanntet ihr
es sonst? Deine in Gott ruhende Mutter war seine Pate.

Florida war mit ihren Gedanken noch immer weit ab. Sie hatte geglaubt,
der Vater habe von einem Schutzpatron geredet, dessen Name ihm entfallen sei,
und da sie nicht verraten mochte, daß sie nicht zugehört hatte, antwortete sie
aufs Geratewohl: Meint Ihr Sant' Abbondio, Vater?

Der Alte klatschte schmunzelnd seinem Rappen den Rücken. Nun, ob er
dereinst kcmonisirt werden wird, sagte er, das wollen wir der Zukunft über¬
lassen. Dn weißt, mein seliger Vetter Vittorio hatte allerdings den Knaben
der heiligen Kirche verlobt, sehr gegen meinen Willen, denn die schon so arg
zusammengeschmolzene männliche Nachkommenschaft unsers Stammes wurde da¬
durch wieder um zwei Augen reduzirt. Dann ist meinem armen Vetter ja
sein Liebling gestorben, sein Taddeo, setzte der Alte mit einem tiefen Seufzer
hinzu, wenige Mouate, nachdem Vittorio eben jenen jüngeren Knaben, um
Taddeo am Leben zu erhalten, dem geistlichen Stande verlobt hatte. Und somit
blieb ich — ein Priester zählt ja nicht mit — der letzte männliche Träger
unsers erlauchten Namens. Nun höre — denn wozu es dir länger ver¬
schweigen? — was mich bewogen hat, nach Jahren des Daheimsttzens wieder
in den Sattel zu steigen und zu Ehren unsrer Schmuckkammer mit dir den
langen Ritt nach Verona zu machen. Er schob sein Gebetbuch in die Tasche
und sammelte sich, indem er nach Lazzaro und Eufemia Umschau hielt.

Florida hatte, wie sie merkte, ohne wirklich bei der Sache gewesen zu sein,
schon bei der ersten Frage bewußtlos zugehört und den heiligen Abbondio auf


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[0647] andres als die Nähe des Geliebten, als einen Rasensitz an seiner Seite, als eine Hütte, die sie und ihn gegen Sturm und Regen und gegen neugierige Blicke schützte, als ein Büchlein, dessen Murmeln das Getöse der fernen Stadt übertönte, als einen alten Baum mit weiten, dichtbelaubten Ästen und einem Bilde der Gütigen, der Gnadenreicher, der alles Mitfühlenden und ach, doch hoffentlich auch wohl alles Verzeihenden, zu der sie gemeinsam die Hände im Gebet erheben konnten! Aber freilich der Vater, der von ihr Hintergangene Vater! Und ihre Thränen tropften auf die silberbeschlagene Reitgerte, und das Wappen in dem Silberbeschlag sah sie strafend an, bis es vor ihren Augen ver¬ schwamm. Ich war es freilich der Ehre unsers Hauses schuldig, begann der Alte zwischen dem Ablesen des Neisegebets von neuem, der Schmuck mußte endlich einmal wieder kompletirt werden. Und nach einer Weile fuhr er in einem liebreicheren Tone fort: Erinnerst du dich eines Knaben, der, als du ein kleines, kleines Kind warst, mit seinem Vater, meinem seligen Neffen Vittorio Buonacolst, öfter zu uns kam? Er war zwei Jahre dir im Alter voraus. Du hast damals viel mit ihm in dem Saale, wo das Bild deiner Urgroßmutter hängt, gespielt, am meisten, wenn ich mich recht besinne, Maulesel und Pferd oder wie nanntet ihr es sonst? Deine in Gott ruhende Mutter war seine Pate. Florida war mit ihren Gedanken noch immer weit ab. Sie hatte geglaubt, der Vater habe von einem Schutzpatron geredet, dessen Name ihm entfallen sei, und da sie nicht verraten mochte, daß sie nicht zugehört hatte, antwortete sie aufs Geratewohl: Meint Ihr Sant' Abbondio, Vater? Der Alte klatschte schmunzelnd seinem Rappen den Rücken. Nun, ob er dereinst kcmonisirt werden wird, sagte er, das wollen wir der Zukunft über¬ lassen. Dn weißt, mein seliger Vetter Vittorio hatte allerdings den Knaben der heiligen Kirche verlobt, sehr gegen meinen Willen, denn die schon so arg zusammengeschmolzene männliche Nachkommenschaft unsers Stammes wurde da¬ durch wieder um zwei Augen reduzirt. Dann ist meinem armen Vetter ja sein Liebling gestorben, sein Taddeo, setzte der Alte mit einem tiefen Seufzer hinzu, wenige Mouate, nachdem Vittorio eben jenen jüngeren Knaben, um Taddeo am Leben zu erhalten, dem geistlichen Stande verlobt hatte. Und somit blieb ich — ein Priester zählt ja nicht mit — der letzte männliche Träger unsers erlauchten Namens. Nun höre — denn wozu es dir länger ver¬ schweigen? — was mich bewogen hat, nach Jahren des Daheimsttzens wieder in den Sattel zu steigen und zu Ehren unsrer Schmuckkammer mit dir den langen Ritt nach Verona zu machen. Er schob sein Gebetbuch in die Tasche und sammelte sich, indem er nach Lazzaro und Eufemia Umschau hielt. Florida hatte, wie sie merkte, ohne wirklich bei der Sache gewesen zu sein, schon bei der ersten Frage bewußtlos zugehört und den heiligen Abbondio auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/647>, abgerufen am 22.07.2024.