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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Um eine perle.

es handle sich zunächst nur um Politik, und so zog sie sich, nachdem sie dem
vornehmen Fremden die Thür des Zimmers leise geöffnet hatte, mit noch¬
maligem Knixen in das Nebengemach zurück.

Auch in dem geräumigen Zimmer, dessen Schwelle Giuseppe Gonzaga nun
mit pochendem Herzen betrat, brannte ein einziges jener mattleuchtenden mehr-
armigen Lcimpchcn, wie sie in den vlivenrcicheren Gegenden Italiens noch jetzt
hie und da im Gebrauche sind und den von dem Mißgernch des Steinöls nur
zu oft daheim belästigten Nordländer durch das goldklare Baumöl anheimeln,
aus dem das Flämmchen des Dochts seine Nahrung zieht. Das Lämpchen
stand auf dem breiten Marmorsims des Kamins. In der Mitte des Zimmers,
dessen Fenstergardinen geschlossen waren, befand sich ein Tisch, um welchen
herum drei oder vier Stühle gestellt waren. Den Boden des Zimmers bedeckte
ein Teppich. Was etwa an Spiegeln oder Bildern an den Wänden hing,
wurde vou der Dunkelheit verschluckt. Selbst daß Florida im Zimmer war,
bemerkte Giuseppe Gonzaga erst, als ein leises Geräusch seinen Blick auf eine
Seitenthür lenkte, die unmittelbar neben einem der Fenster zu der Zimmerreihe
führen mochte, als deren Bewohner kurz zuvor der alte Buouaeolsi gegen die
Störer seiner Nachtruhe protestirt hatte. Floridas Hand ließ soeben den Schlüssel
los, mit dem sie die Thür behutsam verschlossen hatte. Wenige Augenblicke
darauf wandte sich Florida dem Eingetretenen zu. Sie trug wie vorher ein
graues Reisekleid.

Ich habe um Entschuldigung zu bitten, sagte sie mit befangenen nieder¬
ducken, daß ich Euch vorhin nur fast wie eine Stumme Rede stehen konnte.
Mich einem Gonzaga plötzlich so nahe gegenüber zu befinden, das hatte mich in
zu hohem Grade erschreckt, ich vermochte mich nicht zu fassen. Dabei noch der
beängstigende Gedanke an meinen Vater. Eben vorher hatte er mir angesichts
des ehemaligen Besitztums der Cappulleti eine Geschichte erzählt, deren tra¬
gischer Ausgang mich warnen sollte, je die anerzogene Sehen vor den Feinden
unsers Hauses abzustreifen. Und nun auf einmal in meines Vaters Hörbereich
ein Gonzaga, der mir eiuen Ring aufdrängt, der mir einen Ring vom Finger
zieht und gegen den ich die Hilfe meines Vaters doch nicht anrufen kann! Wäre
es zu verwundern gewesen, Signore, wenn mich der Schlag gerührt hätte?

Sie ließ sich auf eiuen Stuhl sinken und machte dem Besucher ein Zeichen,
er möge sich ebenfalls setzen.

Prineipessci, sagte Giuseppe mit bebender Stimme, indem er den Mantel
abwarf und ihr gehorchte, Ihr habt nur zu sehr Recht, ich beging eine sträf¬
liche Unvorsichtigkeit. Wie mein Leben bisher eine Kette von Thorheiten ge¬
wesen ist, für welche einzig ein nahezu kindischer Grad von Todesverachtung
die Erklärung abgeben kann, so übersah ich ganz die Gefahr, in die ich Euch
stürzte, Euch, Priucipessa, für die ich doch hundert Leben hingeben möchte.


Um eine perle.

es handle sich zunächst nur um Politik, und so zog sie sich, nachdem sie dem
vornehmen Fremden die Thür des Zimmers leise geöffnet hatte, mit noch¬
maligem Knixen in das Nebengemach zurück.

Auch in dem geräumigen Zimmer, dessen Schwelle Giuseppe Gonzaga nun
mit pochendem Herzen betrat, brannte ein einziges jener mattleuchtenden mehr-
armigen Lcimpchcn, wie sie in den vlivenrcicheren Gegenden Italiens noch jetzt
hie und da im Gebrauche sind und den von dem Mißgernch des Steinöls nur
zu oft daheim belästigten Nordländer durch das goldklare Baumöl anheimeln,
aus dem das Flämmchen des Dochts seine Nahrung zieht. Das Lämpchen
stand auf dem breiten Marmorsims des Kamins. In der Mitte des Zimmers,
dessen Fenstergardinen geschlossen waren, befand sich ein Tisch, um welchen
herum drei oder vier Stühle gestellt waren. Den Boden des Zimmers bedeckte
ein Teppich. Was etwa an Spiegeln oder Bildern an den Wänden hing,
wurde vou der Dunkelheit verschluckt. Selbst daß Florida im Zimmer war,
bemerkte Giuseppe Gonzaga erst, als ein leises Geräusch seinen Blick auf eine
Seitenthür lenkte, die unmittelbar neben einem der Fenster zu der Zimmerreihe
führen mochte, als deren Bewohner kurz zuvor der alte Buouaeolsi gegen die
Störer seiner Nachtruhe protestirt hatte. Floridas Hand ließ soeben den Schlüssel
los, mit dem sie die Thür behutsam verschlossen hatte. Wenige Augenblicke
darauf wandte sich Florida dem Eingetretenen zu. Sie trug wie vorher ein
graues Reisekleid.

Ich habe um Entschuldigung zu bitten, sagte sie mit befangenen nieder¬
ducken, daß ich Euch vorhin nur fast wie eine Stumme Rede stehen konnte.
Mich einem Gonzaga plötzlich so nahe gegenüber zu befinden, das hatte mich in
zu hohem Grade erschreckt, ich vermochte mich nicht zu fassen. Dabei noch der
beängstigende Gedanke an meinen Vater. Eben vorher hatte er mir angesichts
des ehemaligen Besitztums der Cappulleti eine Geschichte erzählt, deren tra¬
gischer Ausgang mich warnen sollte, je die anerzogene Sehen vor den Feinden
unsers Hauses abzustreifen. Und nun auf einmal in meines Vaters Hörbereich
ein Gonzaga, der mir eiuen Ring aufdrängt, der mir einen Ring vom Finger
zieht und gegen den ich die Hilfe meines Vaters doch nicht anrufen kann! Wäre
es zu verwundern gewesen, Signore, wenn mich der Schlag gerührt hätte?

Sie ließ sich auf eiuen Stuhl sinken und machte dem Besucher ein Zeichen,
er möge sich ebenfalls setzen.

Prineipessci, sagte Giuseppe mit bebender Stimme, indem er den Mantel
abwarf und ihr gehorchte, Ihr habt nur zu sehr Recht, ich beging eine sträf¬
liche Unvorsichtigkeit. Wie mein Leben bisher eine Kette von Thorheiten ge¬
wesen ist, für welche einzig ein nahezu kindischer Grad von Todesverachtung
die Erklärung abgeben kann, so übersah ich ganz die Gefahr, in die ich Euch
stürzte, Euch, Priucipessa, für die ich doch hundert Leben hingeben möchte.


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[0642] Um eine perle. es handle sich zunächst nur um Politik, und so zog sie sich, nachdem sie dem vornehmen Fremden die Thür des Zimmers leise geöffnet hatte, mit noch¬ maligem Knixen in das Nebengemach zurück. Auch in dem geräumigen Zimmer, dessen Schwelle Giuseppe Gonzaga nun mit pochendem Herzen betrat, brannte ein einziges jener mattleuchtenden mehr- armigen Lcimpchcn, wie sie in den vlivenrcicheren Gegenden Italiens noch jetzt hie und da im Gebrauche sind und den von dem Mißgernch des Steinöls nur zu oft daheim belästigten Nordländer durch das goldklare Baumöl anheimeln, aus dem das Flämmchen des Dochts seine Nahrung zieht. Das Lämpchen stand auf dem breiten Marmorsims des Kamins. In der Mitte des Zimmers, dessen Fenstergardinen geschlossen waren, befand sich ein Tisch, um welchen herum drei oder vier Stühle gestellt waren. Den Boden des Zimmers bedeckte ein Teppich. Was etwa an Spiegeln oder Bildern an den Wänden hing, wurde vou der Dunkelheit verschluckt. Selbst daß Florida im Zimmer war, bemerkte Giuseppe Gonzaga erst, als ein leises Geräusch seinen Blick auf eine Seitenthür lenkte, die unmittelbar neben einem der Fenster zu der Zimmerreihe führen mochte, als deren Bewohner kurz zuvor der alte Buouaeolsi gegen die Störer seiner Nachtruhe protestirt hatte. Floridas Hand ließ soeben den Schlüssel los, mit dem sie die Thür behutsam verschlossen hatte. Wenige Augenblicke darauf wandte sich Florida dem Eingetretenen zu. Sie trug wie vorher ein graues Reisekleid. Ich habe um Entschuldigung zu bitten, sagte sie mit befangenen nieder¬ ducken, daß ich Euch vorhin nur fast wie eine Stumme Rede stehen konnte. Mich einem Gonzaga plötzlich so nahe gegenüber zu befinden, das hatte mich in zu hohem Grade erschreckt, ich vermochte mich nicht zu fassen. Dabei noch der beängstigende Gedanke an meinen Vater. Eben vorher hatte er mir angesichts des ehemaligen Besitztums der Cappulleti eine Geschichte erzählt, deren tra¬ gischer Ausgang mich warnen sollte, je die anerzogene Sehen vor den Feinden unsers Hauses abzustreifen. Und nun auf einmal in meines Vaters Hörbereich ein Gonzaga, der mir eiuen Ring aufdrängt, der mir einen Ring vom Finger zieht und gegen den ich die Hilfe meines Vaters doch nicht anrufen kann! Wäre es zu verwundern gewesen, Signore, wenn mich der Schlag gerührt hätte? Sie ließ sich auf eiuen Stuhl sinken und machte dem Besucher ein Zeichen, er möge sich ebenfalls setzen. Prineipessci, sagte Giuseppe mit bebender Stimme, indem er den Mantel abwarf und ihr gehorchte, Ihr habt nur zu sehr Recht, ich beging eine sträf¬ liche Unvorsichtigkeit. Wie mein Leben bisher eine Kette von Thorheiten ge¬ wesen ist, für welche einzig ein nahezu kindischer Grad von Todesverachtung die Erklärung abgeben kann, so übersah ich ganz die Gefahr, in die ich Euch stürzte, Euch, Priucipessa, für die ich doch hundert Leben hingeben möchte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/642>, abgerufen am 22.07.2024.