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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Peter der Große in neuer Beleuchtung.

Technischen. So fern ihm aller äußere Schein lag, wenn er als Zar auf der
Werft das Beil oder bei einem Brande den Löscheimer handhabte, so wenig
begriff er das innere Wesen des Staats - oder Volkslebens. Für den
nächstliegenden Zweck griff er nach dem nächstliegenden Mittel, ohne sich viel
um tiefere Ursachen und weitere Wirkungen zu kümmern. "Brauchte er Arbeiter,
so ließ er sie in den nächsten Provinzen aufgreifen, brauchte er Geld, so be¬
steuerte er Waaren oder Menschen. . . . Wenn es sich um die Befriedigung seiner
augenblicklichen Bedürfnisse handelte, galt ihm selbst die Heiligkeit des Eigen¬
tums nicht sonderlich viel. Die ethischen Grundempfindungen mangelten ihm
in der Stacitsknnst sowohl wie ihm persönlichen Leben. Die geselligen Formen
wurden durchaus geändert, . . . dafür aber, daß nicht feinerer Geschmack sich
darin ausbreitete, sorgte Peter selbst durch die Rohheit seiner Umgangsformen
und Gelage. Er brachte die Sitte ans Europa herüber, wie er sie dort gerade
fand, gerade verderbt genug, um seiner derben Sinnlichkeit zu genügen. . . .
Die wüste Lasterhaftigkeit, welche sich nach Peter am zarischen Hofe breitmachte,
floß bequem durch die weite Öffnung daher, die der Zar in die alte strenge,
wenn auch rohe Ordnung des Familienlebens gebrochen hatte."

Ebenso mechanisch wie die Sitten übertrug der Reformator auch Ein¬
richtungen des Westens auf sein ganz unvorbereitetes Land. Die Flotte machte
er holländisch, das Heer deutsch, die Zentralregierung schwedisch. Fand er
irgendwo eine gut arbeitende Anstalt, so wurde ihr Organismus durch einen
Ukas in Rußland eingeführt, oder man packte an Ort und Stelle im Westen
eine Anzahl von Beamten oder Handwerkern ans und schaffte sie nach Tula
oder Moskau, wo sie dann dasselbe leisten sollten wie daheim. Peter "hatte
die rasche Fassungsgabe, welche wir auch heute an den Russen bewundern, der
von seinem Gute am Don, wo er niemals Maschinen oder Fabriken gesehen,
nach dem Westen kommt und sich in kürzester Zeit mit den Vorteilen . . . aller
möglichen industriellen Erfindungen bekannt macht; er hatte aber auch die ganze
Oberflächlichkeit an sich, mit der dieser heutige Gutsbesitzer meint, es bedürfe
nur des Geldes, um belgische industrielle Kultur zu erwerben und an den Don
zu versetzen."

Die auswärtige Politik des Reformators verfolgte ähnliche Ziele wie die
innere. Er trat als Eroberer auf, um seinem Volke neue Erwerbsquellen zu
öffnen und neue Kulturelemente in sein Reich zu ziehen. Er eroberte vor
allem Küstenländer, um Häfen und die Aussicht auf Schiffahrt zu gewinnen.
Aber mit Unrecht schreibt man seiner äußeren Politik weitausschauende Plan¬
mäßigkeit zu. Sie gründete sich nach der Meinung des Verfassers "auf seine
unmittelbaren natürlichen Anlagen und Leidenschaften, sie wurde gehalten von
praktischer Klugheit und außerordentlicher Thatkraft." Es war ein Verdienst,
überhaupt zu regieren, wo die Vorgänger dies fast garnicht gethan hatten; aber
die Art, wie er regierte, hatte mehr von der praktischen Fertigkeit des Hand-


Peter der Große in neuer Beleuchtung.

Technischen. So fern ihm aller äußere Schein lag, wenn er als Zar auf der
Werft das Beil oder bei einem Brande den Löscheimer handhabte, so wenig
begriff er das innere Wesen des Staats - oder Volkslebens. Für den
nächstliegenden Zweck griff er nach dem nächstliegenden Mittel, ohne sich viel
um tiefere Ursachen und weitere Wirkungen zu kümmern. „Brauchte er Arbeiter,
so ließ er sie in den nächsten Provinzen aufgreifen, brauchte er Geld, so be¬
steuerte er Waaren oder Menschen. . . . Wenn es sich um die Befriedigung seiner
augenblicklichen Bedürfnisse handelte, galt ihm selbst die Heiligkeit des Eigen¬
tums nicht sonderlich viel. Die ethischen Grundempfindungen mangelten ihm
in der Stacitsknnst sowohl wie ihm persönlichen Leben. Die geselligen Formen
wurden durchaus geändert, . . . dafür aber, daß nicht feinerer Geschmack sich
darin ausbreitete, sorgte Peter selbst durch die Rohheit seiner Umgangsformen
und Gelage. Er brachte die Sitte ans Europa herüber, wie er sie dort gerade
fand, gerade verderbt genug, um seiner derben Sinnlichkeit zu genügen. . . .
Die wüste Lasterhaftigkeit, welche sich nach Peter am zarischen Hofe breitmachte,
floß bequem durch die weite Öffnung daher, die der Zar in die alte strenge,
wenn auch rohe Ordnung des Familienlebens gebrochen hatte."

Ebenso mechanisch wie die Sitten übertrug der Reformator auch Ein¬
richtungen des Westens auf sein ganz unvorbereitetes Land. Die Flotte machte
er holländisch, das Heer deutsch, die Zentralregierung schwedisch. Fand er
irgendwo eine gut arbeitende Anstalt, so wurde ihr Organismus durch einen
Ukas in Rußland eingeführt, oder man packte an Ort und Stelle im Westen
eine Anzahl von Beamten oder Handwerkern ans und schaffte sie nach Tula
oder Moskau, wo sie dann dasselbe leisten sollten wie daheim. Peter „hatte
die rasche Fassungsgabe, welche wir auch heute an den Russen bewundern, der
von seinem Gute am Don, wo er niemals Maschinen oder Fabriken gesehen,
nach dem Westen kommt und sich in kürzester Zeit mit den Vorteilen . . . aller
möglichen industriellen Erfindungen bekannt macht; er hatte aber auch die ganze
Oberflächlichkeit an sich, mit der dieser heutige Gutsbesitzer meint, es bedürfe
nur des Geldes, um belgische industrielle Kultur zu erwerben und an den Don
zu versetzen."

Die auswärtige Politik des Reformators verfolgte ähnliche Ziele wie die
innere. Er trat als Eroberer auf, um seinem Volke neue Erwerbsquellen zu
öffnen und neue Kulturelemente in sein Reich zu ziehen. Er eroberte vor
allem Küstenländer, um Häfen und die Aussicht auf Schiffahrt zu gewinnen.
Aber mit Unrecht schreibt man seiner äußeren Politik weitausschauende Plan¬
mäßigkeit zu. Sie gründete sich nach der Meinung des Verfassers „auf seine
unmittelbaren natürlichen Anlagen und Leidenschaften, sie wurde gehalten von
praktischer Klugheit und außerordentlicher Thatkraft." Es war ein Verdienst,
überhaupt zu regieren, wo die Vorgänger dies fast garnicht gethan hatten; aber
die Art, wie er regierte, hatte mehr von der praktischen Fertigkeit des Hand-


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[0634] Peter der Große in neuer Beleuchtung. Technischen. So fern ihm aller äußere Schein lag, wenn er als Zar auf der Werft das Beil oder bei einem Brande den Löscheimer handhabte, so wenig begriff er das innere Wesen des Staats - oder Volkslebens. Für den nächstliegenden Zweck griff er nach dem nächstliegenden Mittel, ohne sich viel um tiefere Ursachen und weitere Wirkungen zu kümmern. „Brauchte er Arbeiter, so ließ er sie in den nächsten Provinzen aufgreifen, brauchte er Geld, so be¬ steuerte er Waaren oder Menschen. . . . Wenn es sich um die Befriedigung seiner augenblicklichen Bedürfnisse handelte, galt ihm selbst die Heiligkeit des Eigen¬ tums nicht sonderlich viel. Die ethischen Grundempfindungen mangelten ihm in der Stacitsknnst sowohl wie ihm persönlichen Leben. Die geselligen Formen wurden durchaus geändert, . . . dafür aber, daß nicht feinerer Geschmack sich darin ausbreitete, sorgte Peter selbst durch die Rohheit seiner Umgangsformen und Gelage. Er brachte die Sitte ans Europa herüber, wie er sie dort gerade fand, gerade verderbt genug, um seiner derben Sinnlichkeit zu genügen. . . . Die wüste Lasterhaftigkeit, welche sich nach Peter am zarischen Hofe breitmachte, floß bequem durch die weite Öffnung daher, die der Zar in die alte strenge, wenn auch rohe Ordnung des Familienlebens gebrochen hatte." Ebenso mechanisch wie die Sitten übertrug der Reformator auch Ein¬ richtungen des Westens auf sein ganz unvorbereitetes Land. Die Flotte machte er holländisch, das Heer deutsch, die Zentralregierung schwedisch. Fand er irgendwo eine gut arbeitende Anstalt, so wurde ihr Organismus durch einen Ukas in Rußland eingeführt, oder man packte an Ort und Stelle im Westen eine Anzahl von Beamten oder Handwerkern ans und schaffte sie nach Tula oder Moskau, wo sie dann dasselbe leisten sollten wie daheim. Peter „hatte die rasche Fassungsgabe, welche wir auch heute an den Russen bewundern, der von seinem Gute am Don, wo er niemals Maschinen oder Fabriken gesehen, nach dem Westen kommt und sich in kürzester Zeit mit den Vorteilen . . . aller möglichen industriellen Erfindungen bekannt macht; er hatte aber auch die ganze Oberflächlichkeit an sich, mit der dieser heutige Gutsbesitzer meint, es bedürfe nur des Geldes, um belgische industrielle Kultur zu erwerben und an den Don zu versetzen." Die auswärtige Politik des Reformators verfolgte ähnliche Ziele wie die innere. Er trat als Eroberer auf, um seinem Volke neue Erwerbsquellen zu öffnen und neue Kulturelemente in sein Reich zu ziehen. Er eroberte vor allem Küstenländer, um Häfen und die Aussicht auf Schiffahrt zu gewinnen. Aber mit Unrecht schreibt man seiner äußeren Politik weitausschauende Plan¬ mäßigkeit zu. Sie gründete sich nach der Meinung des Verfassers „auf seine unmittelbaren natürlichen Anlagen und Leidenschaften, sie wurde gehalten von praktischer Klugheit und außerordentlicher Thatkraft." Es war ein Verdienst, überhaupt zu regieren, wo die Vorgänger dies fast garnicht gethan hatten; aber die Art, wie er regierte, hatte mehr von der praktischen Fertigkeit des Hand-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/634>, abgerufen am 23.07.2024.