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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Äußere und innere Kolonisation.

wenn die Negierung diesen Kolonisten gewisse Vorteile (z, B, Steuerfreiheit für
eine Reihe von Jahren) gewährt und den Erwerb des Grundbesitzes nach Mög¬
lichkeit erleichtert. Letzteres führt uns auf die dritte Frage,

Diese dritte Frage ist leicht zu lösen, wenn wir die Geschichte als Lehr¬
meisterin nehmen und so handeln, wie unsre Väter gehandelt haben. Fast alle
ihre großen Kolonisationen, mochten sie dem Zweck der Germanisirung oder der
Urbarmachung wüster Landstriche dienen, sind in der Weise vor sich gegangen,
daß den Ansiedlern ihr Grundbesitz in der Form der Erbzinsleihe oder der
Erbpacht übertragen wurde. Diese Vesitzformen sind zwar jetzt aus dem preu¬
ßischen Recht verbannt, aber mit Unrecht. Erbpacht und Erbzinsleihe -- im
Grunde dasselbe -- sind in Preußen wie in andern deutschen Staaten bei Ge¬
legenheit der Schöpfung der großen, im allgemeinen segensreichen Ablösuugs-
gesetze "im Rausch" (At venin vorbo) mit abgeschafft worden. Man lese die
Kammerverhandlungen jener Zeit, die Motive der Gesetzentwürfe, und man
wird finden, daß es nicht "der übermächtig drängende Wille des Volkes," nicht
Klagen der Erbpächter oder Erbverpächter gewesen find, welche zur Beseitigung
der Erbpacht geführt haben. Sie siel mit den andern "schädlichen Neallasten."
An eine Reform der Erbpacht hat niemand gedacht. Nur diese, nicht aber die
einfache Abschaffung wäre am Platze gewesen, wenn es galt, die thatsächlich
vorhandenen Mängel des Shstems zu beseitigen. Selbstverständlich kaun nur
an die Einführung einer reformirten Erbpacht, die von allen überflüssigen Zu¬
thaten und schädlichen Bestimmungen gereinigt, deren Wesen aber wie früher
in der Überlassung von Grundbesitz gegen Zahlung einer einseitig nicht künd¬
baren Rente bestehen muß, gedacht werden.^)

Die wesentlichsten Vorteile der Erbpacht sind die, daß der Erbpächter sich,
ohne über erhebliche Kapitalien zu verfügen und ohne die Sorge vor einer
ungelegener, vielleicht noch mit einer Steigerung des Zinsfußes zusammen¬
treffenden Kündigung der zur Deckung des Restes eines Kaufschillings auf¬
genommenen Hypothekarschulden, in den eigentümlichen Besitz eines Landgutes
setzen tan". Von jeglicher Kapitalanzcchlnug kauu freilich nur in dem Falle
abgesehen werden, daß der Erbpachten bloßen Grund und Boden erwirbt und
selbst die nötigen Gebäude errichtet, Inventar anschafft :c. Wo es sich wie in
unserm Falle um möglichste Erleichterung der Ausiedlungsbedingungeu oder um
Urbarmachung von Grundflächen handelt, die erst nach und nach reichlicher
Frucht tragen, wird die Gewährung von Freijahren oder eine allmähliche
Steigerung des Zinses bis zu der für die Dauer festgesetzte" Höhe desselben gute
Dienste leisten.

Wir verhehlen uns nicht, daß die vorgeschlagene Maßregel ans erheblichen
Widerstand stoßen würde, ganz abgesehen davon, daß der Zweck der Germani-



*) Vergl. die Schrift von W, Ruprecht, Die Erbpacht. Ein Beitrag zur Geschichte und
Reform derselben, insbesondre in Deutschland. Göttinnen, 1W2.
Grenzboten I. 138it. 77
Äußere und innere Kolonisation.

wenn die Negierung diesen Kolonisten gewisse Vorteile (z, B, Steuerfreiheit für
eine Reihe von Jahren) gewährt und den Erwerb des Grundbesitzes nach Mög¬
lichkeit erleichtert. Letzteres führt uns auf die dritte Frage,

Diese dritte Frage ist leicht zu lösen, wenn wir die Geschichte als Lehr¬
meisterin nehmen und so handeln, wie unsre Väter gehandelt haben. Fast alle
ihre großen Kolonisationen, mochten sie dem Zweck der Germanisirung oder der
Urbarmachung wüster Landstriche dienen, sind in der Weise vor sich gegangen,
daß den Ansiedlern ihr Grundbesitz in der Form der Erbzinsleihe oder der
Erbpacht übertragen wurde. Diese Vesitzformen sind zwar jetzt aus dem preu¬
ßischen Recht verbannt, aber mit Unrecht. Erbpacht und Erbzinsleihe — im
Grunde dasselbe — sind in Preußen wie in andern deutschen Staaten bei Ge¬
legenheit der Schöpfung der großen, im allgemeinen segensreichen Ablösuugs-
gesetze „im Rausch" (At venin vorbo) mit abgeschafft worden. Man lese die
Kammerverhandlungen jener Zeit, die Motive der Gesetzentwürfe, und man
wird finden, daß es nicht „der übermächtig drängende Wille des Volkes," nicht
Klagen der Erbpächter oder Erbverpächter gewesen find, welche zur Beseitigung
der Erbpacht geführt haben. Sie siel mit den andern „schädlichen Neallasten."
An eine Reform der Erbpacht hat niemand gedacht. Nur diese, nicht aber die
einfache Abschaffung wäre am Platze gewesen, wenn es galt, die thatsächlich
vorhandenen Mängel des Shstems zu beseitigen. Selbstverständlich kaun nur
an die Einführung einer reformirten Erbpacht, die von allen überflüssigen Zu¬
thaten und schädlichen Bestimmungen gereinigt, deren Wesen aber wie früher
in der Überlassung von Grundbesitz gegen Zahlung einer einseitig nicht künd¬
baren Rente bestehen muß, gedacht werden.^)

Die wesentlichsten Vorteile der Erbpacht sind die, daß der Erbpächter sich,
ohne über erhebliche Kapitalien zu verfügen und ohne die Sorge vor einer
ungelegener, vielleicht noch mit einer Steigerung des Zinsfußes zusammen¬
treffenden Kündigung der zur Deckung des Restes eines Kaufschillings auf¬
genommenen Hypothekarschulden, in den eigentümlichen Besitz eines Landgutes
setzen tan». Von jeglicher Kapitalanzcchlnug kauu freilich nur in dem Falle
abgesehen werden, daß der Erbpachten bloßen Grund und Boden erwirbt und
selbst die nötigen Gebäude errichtet, Inventar anschafft :c. Wo es sich wie in
unserm Falle um möglichste Erleichterung der Ausiedlungsbedingungeu oder um
Urbarmachung von Grundflächen handelt, die erst nach und nach reichlicher
Frucht tragen, wird die Gewährung von Freijahren oder eine allmähliche
Steigerung des Zinses bis zu der für die Dauer festgesetzte» Höhe desselben gute
Dienste leisten.

Wir verhehlen uns nicht, daß die vorgeschlagene Maßregel ans erheblichen
Widerstand stoßen würde, ganz abgesehen davon, daß der Zweck der Germani-



*) Vergl. die Schrift von W, Ruprecht, Die Erbpacht. Ein Beitrag zur Geschichte und
Reform derselben, insbesondre in Deutschland. Göttinnen, 1W2.
Grenzboten I. 138it. 77
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[0621] Äußere und innere Kolonisation. wenn die Negierung diesen Kolonisten gewisse Vorteile (z, B, Steuerfreiheit für eine Reihe von Jahren) gewährt und den Erwerb des Grundbesitzes nach Mög¬ lichkeit erleichtert. Letzteres führt uns auf die dritte Frage, Diese dritte Frage ist leicht zu lösen, wenn wir die Geschichte als Lehr¬ meisterin nehmen und so handeln, wie unsre Väter gehandelt haben. Fast alle ihre großen Kolonisationen, mochten sie dem Zweck der Germanisirung oder der Urbarmachung wüster Landstriche dienen, sind in der Weise vor sich gegangen, daß den Ansiedlern ihr Grundbesitz in der Form der Erbzinsleihe oder der Erbpacht übertragen wurde. Diese Vesitzformen sind zwar jetzt aus dem preu¬ ßischen Recht verbannt, aber mit Unrecht. Erbpacht und Erbzinsleihe — im Grunde dasselbe — sind in Preußen wie in andern deutschen Staaten bei Ge¬ legenheit der Schöpfung der großen, im allgemeinen segensreichen Ablösuugs- gesetze „im Rausch" (At venin vorbo) mit abgeschafft worden. Man lese die Kammerverhandlungen jener Zeit, die Motive der Gesetzentwürfe, und man wird finden, daß es nicht „der übermächtig drängende Wille des Volkes," nicht Klagen der Erbpächter oder Erbverpächter gewesen find, welche zur Beseitigung der Erbpacht geführt haben. Sie siel mit den andern „schädlichen Neallasten." An eine Reform der Erbpacht hat niemand gedacht. Nur diese, nicht aber die einfache Abschaffung wäre am Platze gewesen, wenn es galt, die thatsächlich vorhandenen Mängel des Shstems zu beseitigen. Selbstverständlich kaun nur an die Einführung einer reformirten Erbpacht, die von allen überflüssigen Zu¬ thaten und schädlichen Bestimmungen gereinigt, deren Wesen aber wie früher in der Überlassung von Grundbesitz gegen Zahlung einer einseitig nicht künd¬ baren Rente bestehen muß, gedacht werden.^) Die wesentlichsten Vorteile der Erbpacht sind die, daß der Erbpächter sich, ohne über erhebliche Kapitalien zu verfügen und ohne die Sorge vor einer ungelegener, vielleicht noch mit einer Steigerung des Zinsfußes zusammen¬ treffenden Kündigung der zur Deckung des Restes eines Kaufschillings auf¬ genommenen Hypothekarschulden, in den eigentümlichen Besitz eines Landgutes setzen tan». Von jeglicher Kapitalanzcchlnug kauu freilich nur in dem Falle abgesehen werden, daß der Erbpachten bloßen Grund und Boden erwirbt und selbst die nötigen Gebäude errichtet, Inventar anschafft :c. Wo es sich wie in unserm Falle um möglichste Erleichterung der Ausiedlungsbedingungeu oder um Urbarmachung von Grundflächen handelt, die erst nach und nach reichlicher Frucht tragen, wird die Gewährung von Freijahren oder eine allmähliche Steigerung des Zinses bis zu der für die Dauer festgesetzte» Höhe desselben gute Dienste leisten. Wir verhehlen uns nicht, daß die vorgeschlagene Maßregel ans erheblichen Widerstand stoßen würde, ganz abgesehen davon, daß der Zweck der Germani- *) Vergl. die Schrift von W, Ruprecht, Die Erbpacht. Ein Beitrag zur Geschichte und Reform derselben, insbesondre in Deutschland. Göttinnen, 1W2. Grenzboten I. 138it. 77

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/621>, abgerufen am 22.07.2024.