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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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englische Meile" weit landeinwärts nach dem ostwärts gelegenen Kizil Arven,
Wenn die zentralasiatische Okkupation von Rußland rationell betrieben werden
soll, so wird die erste Aufgabe des transkaspischen Gouvernements in der Fort¬
führung dieser Linie bestehen. Terrainschwierigkeiten stehen diesem Unternehmen
nicht entgegen. Im Frühjahr 1882 bereisten russische Emissäre das Gebiet der
Merwturkmeneu. Die wichtigste!, Dienste dabei leistete ein gewisser Alichanow,
der, aus einem zentralasiatischen Volksstamm hervorgegangen, früher in rus¬
sische,, Diensten stand, wegen eines militärischen Vergehens aber degradirt war.
Durch seine Kenntnis der Landessprachen und Sitten erwies er sich während
der Skobeleffscheu Expedition so nützlich, daß er allmählich seinen frühern Rang
als Rittmeister wiedergewann. Während der nächsten Monate hielt er sich
verkleidet in Maro auf und agitirte unter den Häuptlinge" für die Einverleibung.
Seine Studien über das Land sind in einer "Die Oase Merw" betitelten Schrift
pnblizirt. Neuerdings nimmt er eine hervorragende militärische Stellung in
der Okkupationsarmee ein. Gleichzeitig bereiste der russische Ingenieur Lessar
das turkmenische Grenzgebiet. Ihm verdankte mau die erste" Aufschlüsse über
die geographischen Verhältnisse dieses fast unbekannten Landstriches. Er hielt
darüber im Dezember 1883 einen Vortrag in einer Sitzung der Geographische"
Gesellschaft in Se. Petersburg. In den letzten Monaten dieses Jahres hatte in¬
folge der russischen Agitation die Uneinigkeit der mcrwturkmenischen Häuptlinge
einen Grad erreicht, welcher das Land in einen Zustand der Anarchie versetzte.
Der Moment zum Eingreifen war günstig. Ein russisches Expeditionskorps
unter Führung des Generals Komarow begann im November 1883 den Vor¬
marsch, der in so wenig auffälliger Weise geleitet wurde, daß die am 31. Ja¬
nuar 1884 nach Petersburg gelangende Meldung von der "freiwilligen" Unter¬
werfung mehrerer Stämme in Europa überraschend wirkte. Die englische Regierung,
welche früher auf die Unabhängigkeit des Merwgebietcs großen Wert gelegt
hatte, war infolge der ägyptischen Wirren zu energischem Protest nicht imstande.
Die englische gouvernementale Presse erklärte ihren Lesern, daß dnrch die Ein¬
nahme von Got-Tepe die Situation bereits verändert sei und eine russische
Okkupation von Merw jetzt keine" Grund zur Beunruhigung biete. Auch die
?irr"Z8 sprach sich in gleichem Sinne ans. Man machte in London gute Miene
zu dem kalt avomnxli, und der Nvtcuaustausch mit Se. Petersburg bewahrte
den freundschaftlichen Charakter.

Inzwischen drang General Komarow weiter vor; aber die Gefechte, welche
er in der Umgegend von Maro zu liefern hatte, bewiesen, daß die Unterwerfung
der Turkmenen nicht so freiwillig war, wie die offiziellen Telegramme sie dar¬
stellten Nachdem i" de" letzten Tagen des Februar verschiedene Reitergefechte
bei Karyb-Ala und beim Art Abdal - Topas stattgefunde" hatte", wurde die
russische Abteilung auf ihre", weiteren Vormarsch nach Osten beim Ani Sary-
Khcm in der Nacht vom 2. ans den 3. Mnrz von Merwscheu Turkmenen über-


englische Meile» weit landeinwärts nach dem ostwärts gelegenen Kizil Arven,
Wenn die zentralasiatische Okkupation von Rußland rationell betrieben werden
soll, so wird die erste Aufgabe des transkaspischen Gouvernements in der Fort¬
führung dieser Linie bestehen. Terrainschwierigkeiten stehen diesem Unternehmen
nicht entgegen. Im Frühjahr 1882 bereisten russische Emissäre das Gebiet der
Merwturkmeneu. Die wichtigste!, Dienste dabei leistete ein gewisser Alichanow,
der, aus einem zentralasiatischen Volksstamm hervorgegangen, früher in rus¬
sische,, Diensten stand, wegen eines militärischen Vergehens aber degradirt war.
Durch seine Kenntnis der Landessprachen und Sitten erwies er sich während
der Skobeleffscheu Expedition so nützlich, daß er allmählich seinen frühern Rang
als Rittmeister wiedergewann. Während der nächsten Monate hielt er sich
verkleidet in Maro auf und agitirte unter den Häuptlinge» für die Einverleibung.
Seine Studien über das Land sind in einer „Die Oase Merw" betitelten Schrift
pnblizirt. Neuerdings nimmt er eine hervorragende militärische Stellung in
der Okkupationsarmee ein. Gleichzeitig bereiste der russische Ingenieur Lessar
das turkmenische Grenzgebiet. Ihm verdankte mau die erste» Aufschlüsse über
die geographischen Verhältnisse dieses fast unbekannten Landstriches. Er hielt
darüber im Dezember 1883 einen Vortrag in einer Sitzung der Geographische»
Gesellschaft in Se. Petersburg. In den letzten Monaten dieses Jahres hatte in¬
folge der russischen Agitation die Uneinigkeit der mcrwturkmenischen Häuptlinge
einen Grad erreicht, welcher das Land in einen Zustand der Anarchie versetzte.
Der Moment zum Eingreifen war günstig. Ein russisches Expeditionskorps
unter Führung des Generals Komarow begann im November 1883 den Vor¬
marsch, der in so wenig auffälliger Weise geleitet wurde, daß die am 31. Ja¬
nuar 1884 nach Petersburg gelangende Meldung von der „freiwilligen" Unter¬
werfung mehrerer Stämme in Europa überraschend wirkte. Die englische Regierung,
welche früher auf die Unabhängigkeit des Merwgebietcs großen Wert gelegt
hatte, war infolge der ägyptischen Wirren zu energischem Protest nicht imstande.
Die englische gouvernementale Presse erklärte ihren Lesern, daß dnrch die Ein¬
nahme von Got-Tepe die Situation bereits verändert sei und eine russische
Okkupation von Merw jetzt keine» Grund zur Beunruhigung biete. Auch die
?irr«Z8 sprach sich in gleichem Sinne ans. Man machte in London gute Miene
zu dem kalt avomnxli, und der Nvtcuaustausch mit Se. Petersburg bewahrte
den freundschaftlichen Charakter.

Inzwischen drang General Komarow weiter vor; aber die Gefechte, welche
er in der Umgegend von Maro zu liefern hatte, bewiesen, daß die Unterwerfung
der Turkmenen nicht so freiwillig war, wie die offiziellen Telegramme sie dar¬
stellten Nachdem i» de» letzten Tagen des Februar verschiedene Reitergefechte
bei Karyb-Ala und beim Art Abdal - Topas stattgefunde» hatte», wurde die
russische Abteilung auf ihre», weiteren Vormarsch nach Osten beim Ani Sary-
Khcm in der Nacht vom 2. ans den 3. Mnrz von Merwscheu Turkmenen über-


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[0609] englische Meile» weit landeinwärts nach dem ostwärts gelegenen Kizil Arven, Wenn die zentralasiatische Okkupation von Rußland rationell betrieben werden soll, so wird die erste Aufgabe des transkaspischen Gouvernements in der Fort¬ führung dieser Linie bestehen. Terrainschwierigkeiten stehen diesem Unternehmen nicht entgegen. Im Frühjahr 1882 bereisten russische Emissäre das Gebiet der Merwturkmeneu. Die wichtigste!, Dienste dabei leistete ein gewisser Alichanow, der, aus einem zentralasiatischen Volksstamm hervorgegangen, früher in rus¬ sische,, Diensten stand, wegen eines militärischen Vergehens aber degradirt war. Durch seine Kenntnis der Landessprachen und Sitten erwies er sich während der Skobeleffscheu Expedition so nützlich, daß er allmählich seinen frühern Rang als Rittmeister wiedergewann. Während der nächsten Monate hielt er sich verkleidet in Maro auf und agitirte unter den Häuptlinge» für die Einverleibung. Seine Studien über das Land sind in einer „Die Oase Merw" betitelten Schrift pnblizirt. Neuerdings nimmt er eine hervorragende militärische Stellung in der Okkupationsarmee ein. Gleichzeitig bereiste der russische Ingenieur Lessar das turkmenische Grenzgebiet. Ihm verdankte mau die erste» Aufschlüsse über die geographischen Verhältnisse dieses fast unbekannten Landstriches. Er hielt darüber im Dezember 1883 einen Vortrag in einer Sitzung der Geographische» Gesellschaft in Se. Petersburg. In den letzten Monaten dieses Jahres hatte in¬ folge der russischen Agitation die Uneinigkeit der mcrwturkmenischen Häuptlinge einen Grad erreicht, welcher das Land in einen Zustand der Anarchie versetzte. Der Moment zum Eingreifen war günstig. Ein russisches Expeditionskorps unter Führung des Generals Komarow begann im November 1883 den Vor¬ marsch, der in so wenig auffälliger Weise geleitet wurde, daß die am 31. Ja¬ nuar 1884 nach Petersburg gelangende Meldung von der „freiwilligen" Unter¬ werfung mehrerer Stämme in Europa überraschend wirkte. Die englische Regierung, welche früher auf die Unabhängigkeit des Merwgebietcs großen Wert gelegt hatte, war infolge der ägyptischen Wirren zu energischem Protest nicht imstande. Die englische gouvernementale Presse erklärte ihren Lesern, daß dnrch die Ein¬ nahme von Got-Tepe die Situation bereits verändert sei und eine russische Okkupation von Merw jetzt keine» Grund zur Beunruhigung biete. Auch die ?irr«Z8 sprach sich in gleichem Sinne ans. Man machte in London gute Miene zu dem kalt avomnxli, und der Nvtcuaustausch mit Se. Petersburg bewahrte den freundschaftlichen Charakter. Inzwischen drang General Komarow weiter vor; aber die Gefechte, welche er in der Umgegend von Maro zu liefern hatte, bewiesen, daß die Unterwerfung der Turkmenen nicht so freiwillig war, wie die offiziellen Telegramme sie dar¬ stellten Nachdem i» de» letzten Tagen des Februar verschiedene Reitergefechte bei Karyb-Ala und beim Art Abdal - Topas stattgefunde» hatte», wurde die russische Abteilung auf ihre», weiteren Vormarsch nach Osten beim Ani Sary- Khcm in der Nacht vom 2. ans den 3. Mnrz von Merwscheu Turkmenen über-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/609>, abgerufen am 23.07.2024.