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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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In der That, sie sieht blühend gesund aus, meinte dieser, heiter ist sie
auch, ihr Wesen einnehmend und ohne Gefallsucht; wird wohl seine Tochter sein.

Auf die kann sich Pipin etwas zu gute thun, bemerkte wieder der andre
und schwieg dann, worauf der Arzt in der abgebrochenen naturwissenschaftlichen
Erörterung fortfuhr.

Pipin aber schmunzelte über das Wohlgefallen, das der Stabsoffizier an
seiner Tochter fand. Seine Freude darüber war deutlich sichtbar. Er betei¬
ligte sich nicht an ihrem lebhaften Gespräche, sondern ließ die heitern Ton¬
wellen desselben nur sein Ohr umspielen, während er, nach links und rechts
wie nach oben blickend, der festlichen Stimmung sich hingab.

Im Verlaufe des Wcchselgespräches waren Barbara und ihr Begleiter ans
die Tagcsfestlichkeiten gekommen. Dabei äußerte der Offizier, das Fräulein
würde auf dem Balle Wohl kaum all deu Huldigungen gerecht werden können,
die ihr soeben in Aussicht gestellt worden seien. Barbara meinte, sie würde
am liebsten von dein Balle wegbleiben. Dies bezweifelte jedoch der Herr,
worauf sie erklärte, Tanz und Spiel habe sie daheim genug, und da auch das
nicht geglaubt zu werden schien, eiferte sie: Ich rechne bei diesem akademischen
Feste auf ganz andre Genüsse.

Dies klang freilich etwas altklug oder blaustrümpfig, aber die Art, wie
das Mädchen es vorbrachte, wie die leichtgemutc schlanke Gestalt dabei den
veilchenblauen Saum hob und munter über die Unebenheiten des Pflasters
hinwcgeilte, mußte vom Gegenteil überzeugen. Auch der Stabsoffizier wurde
durch jene Äußerung nur angeregt, nicht verstimmt. Durch Hinundherfragen
stellte er noch folgendes fest. Ihr Vater halte gern an studentischen Erinne¬
rungen fest und habe sie den akademischen Interessen zugeführt; sie wohne all¬
jährlich den Rcdccckten in der Aula der Hauptstadt bei, sei vor zwei Jahren
mit zu dein Stiftungsfeste der "Teutonen" gereist und habe von dort die er-
hebcnstcn Eindrücke mit in die Heimat gebracht. Hieran knüpfte der Offizier
die Mitteilung, daß bei dem heutigen Feste gerade der Nedelust vorschrifts¬
mäßig ziemlich enge Schranken gesetzt seien; die Damen seien von dem Morgen¬
vortrage im Schulsaale wie vou dem Diner ausgeschlossen, sodaß eine Hoffnung
in dieser Beziehung sich wenig erfüllen dürfte. Sein wohlgemeinter Rat ging
nun dahin, sie möge lieber die sonst gebotenen Lustbarkeiten mitnehmen und aus
ihnen ihrem Gedenkbuche ein liebes Blatt beizufügen trachten.

Inzwischen war der Zug bei dem Klvsterschulgebäude angelangt. Die An¬
gekommenen breiteten sich in dem langen Flur und den Scitcngüugen aus.
Hier bildeten sich Ansammlungen von Festgenosscn und Stadtbewohnern, das
Wiedersehen und Wiederfinden wurde fortgesetzt, ein Jneinanderfluten der Meu-
fchenwogcn ging vor sich. Ihnen allen war etwa noch eine halbe Stunde der
Vereinigung geboten, bis die Schulglocke die Berufenen von den Unberufenen
sondern sollte.


In der That, sie sieht blühend gesund aus, meinte dieser, heiter ist sie
auch, ihr Wesen einnehmend und ohne Gefallsucht; wird wohl seine Tochter sein.

Auf die kann sich Pipin etwas zu gute thun, bemerkte wieder der andre
und schwieg dann, worauf der Arzt in der abgebrochenen naturwissenschaftlichen
Erörterung fortfuhr.

Pipin aber schmunzelte über das Wohlgefallen, das der Stabsoffizier an
seiner Tochter fand. Seine Freude darüber war deutlich sichtbar. Er betei¬
ligte sich nicht an ihrem lebhaften Gespräche, sondern ließ die heitern Ton¬
wellen desselben nur sein Ohr umspielen, während er, nach links und rechts
wie nach oben blickend, der festlichen Stimmung sich hingab.

Im Verlaufe des Wcchselgespräches waren Barbara und ihr Begleiter ans
die Tagcsfestlichkeiten gekommen. Dabei äußerte der Offizier, das Fräulein
würde auf dem Balle Wohl kaum all deu Huldigungen gerecht werden können,
die ihr soeben in Aussicht gestellt worden seien. Barbara meinte, sie würde
am liebsten von dein Balle wegbleiben. Dies bezweifelte jedoch der Herr,
worauf sie erklärte, Tanz und Spiel habe sie daheim genug, und da auch das
nicht geglaubt zu werden schien, eiferte sie: Ich rechne bei diesem akademischen
Feste auf ganz andre Genüsse.

Dies klang freilich etwas altklug oder blaustrümpfig, aber die Art, wie
das Mädchen es vorbrachte, wie die leichtgemutc schlanke Gestalt dabei den
veilchenblauen Saum hob und munter über die Unebenheiten des Pflasters
hinwcgeilte, mußte vom Gegenteil überzeugen. Auch der Stabsoffizier wurde
durch jene Äußerung nur angeregt, nicht verstimmt. Durch Hinundherfragen
stellte er noch folgendes fest. Ihr Vater halte gern an studentischen Erinne¬
rungen fest und habe sie den akademischen Interessen zugeführt; sie wohne all¬
jährlich den Rcdccckten in der Aula der Hauptstadt bei, sei vor zwei Jahren
mit zu dein Stiftungsfeste der „Teutonen" gereist und habe von dort die er-
hebcnstcn Eindrücke mit in die Heimat gebracht. Hieran knüpfte der Offizier
die Mitteilung, daß bei dem heutigen Feste gerade der Nedelust vorschrifts¬
mäßig ziemlich enge Schranken gesetzt seien; die Damen seien von dem Morgen¬
vortrage im Schulsaale wie vou dem Diner ausgeschlossen, sodaß eine Hoffnung
in dieser Beziehung sich wenig erfüllen dürfte. Sein wohlgemeinter Rat ging
nun dahin, sie möge lieber die sonst gebotenen Lustbarkeiten mitnehmen und aus
ihnen ihrem Gedenkbuche ein liebes Blatt beizufügen trachten.

Inzwischen war der Zug bei dem Klvsterschulgebäude angelangt. Die An¬
gekommenen breiteten sich in dem langen Flur und den Scitcngüugen aus.
Hier bildeten sich Ansammlungen von Festgenosscn und Stadtbewohnern, das
Wiedersehen und Wiederfinden wurde fortgesetzt, ein Jneinanderfluten der Meu-
fchenwogcn ging vor sich. Ihnen allen war etwa noch eine halbe Stunde der
Vereinigung geboten, bis die Schulglocke die Berufenen von den Unberufenen
sondern sollte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/60>, abgerufen am 22.07.2024.