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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Zur Revision manchesterlicher Lehren.

bessern Ausbildung und sittlichen Hebung der Arbeiter durch Gewährung von
Wohnungen, Bädern, Leihbibliotheken u. s. w.

Die moderne Industrie kann ohne die umfassendste Anwendung von Ma¬
schinen garnicht gedacht werden. Menschenhände, und gäbe es deren noch
tausendmal mehr, würden garnicht imstande sein, die nötige Kraft zu liefern;
die Zerstörung auch mir eines kleinen Teils der Maschinen würde den Hungertod
unzählbarer Arbeiter zur unmittelbaren Folge haben. Im Gegenteil sind die
Maschinen die größten Segenspender für die Arbeiter, sie ermöglichen die Be¬
schäftigung von mehr Menschen und Beschäftigung in einer menschenwürdigeren
Weise. Auch wird kaum bestritten werden können, daß das Bestreben der
modernen Industrie, die rohe Kraft durch Maschinen zu bewirken, nur auf die
Klasse von Arbeitern nachteilig wirkt, welche eben nur rohe Kraft verrichten
können. Der Heizer einer Dampfmaschine wird besser bezahlt als derjenige, der
den Gaul an einem ungefügen Göpelwerk beaufsichtigt oder selbst im Rade geht;
der Führer einer Lokomotive hat einen viel höhern Gehalt als ein Postillon oder
ein Kutscher, und es sind hente wohl mehr Lokomotivführer beschäftigt, als vor
achtzig Jahren Postillone und Fuhrleute für den Transport von Personen und
Gütern auf unsern Landstraßen erforderlich waren.

Was also die Arbeiter zur Produktion außer ihren Händen mitbringen
müssen -- und darin eben unterscheidet sich die Gegenwart von der Vergangen¬
heit --, sind Werkzeuge und Intelligenz, und es kann gar kein Zweifel darüber
bestehen, daß diese Leistungen von den Unternehmern auch wirklich bezahlt werden.
Allerdings entstehen dadurch gewisse Abstufungen unter den Arbeitern, die so
bedeutend sind, daß der Gebrauch des gemeinsamen Namens "Arbeiter" un¬
passend wird und, wie wir dies täglich sehen, zu den ärgsten Irrtümern und
Fehlschlüssen Anlaß giebt. Was würden z. B. Feinschmiedc, künstlerisch ge¬
bildete Glasarbeiter und andre dazu sagen, wenn man sie mit gewöhnlichen
Erdarbeitern ans eine Stufe setzen wollte, und welche Unterschiede ergiebt die
Vergleichiiug ihrer Lohnsätze? In den höhern Stufen der Arbeiter finden wir
Familien in nahezu behaglicher Existenz, denen auch edlere Genüsse nicht un¬
zugänglich sind und die imstande sind, einen Sparpfennig für schlimme Zeiten
zurückzulegen. Auch ist kein Grund, daran zu zweifeln, daß es acht den ver¬
einigten Anstrengungen der Arbeitgeber und -nehmer, der Gesellschaft und des
Staates gelingen sollte, die Lage dieser Klassen noch weiter zu verbessern und
gegen Unfälle zu sichern. Auch sehen wir alle die genannten Faktoren, einem
mächtigei: Zuge der Zeit gehorchend, auf diesem Wege vorwärts schreiten. Bei
tiefern Stufen der Arbeiterklassen wird man größeren, zum Teil unbesiegbaren
Schwierigkeiten begegnen, wenn Sittlichkeit und Bildung noch zu niedrig stehen
oder die betreffende Industrie noch auf einer Stufe verharrt, wo der Mensch
nur gleich einer Naturkraft benutzt wird und willenlos ausgebeutet werden kann.
Diese Klassen mögen als die Opfer einer gewerblichen Übergangsperiode gelten,


Zur Revision manchesterlicher Lehren.

bessern Ausbildung und sittlichen Hebung der Arbeiter durch Gewährung von
Wohnungen, Bädern, Leihbibliotheken u. s. w.

Die moderne Industrie kann ohne die umfassendste Anwendung von Ma¬
schinen garnicht gedacht werden. Menschenhände, und gäbe es deren noch
tausendmal mehr, würden garnicht imstande sein, die nötige Kraft zu liefern;
die Zerstörung auch mir eines kleinen Teils der Maschinen würde den Hungertod
unzählbarer Arbeiter zur unmittelbaren Folge haben. Im Gegenteil sind die
Maschinen die größten Segenspender für die Arbeiter, sie ermöglichen die Be¬
schäftigung von mehr Menschen und Beschäftigung in einer menschenwürdigeren
Weise. Auch wird kaum bestritten werden können, daß das Bestreben der
modernen Industrie, die rohe Kraft durch Maschinen zu bewirken, nur auf die
Klasse von Arbeitern nachteilig wirkt, welche eben nur rohe Kraft verrichten
können. Der Heizer einer Dampfmaschine wird besser bezahlt als derjenige, der
den Gaul an einem ungefügen Göpelwerk beaufsichtigt oder selbst im Rade geht;
der Führer einer Lokomotive hat einen viel höhern Gehalt als ein Postillon oder
ein Kutscher, und es sind hente wohl mehr Lokomotivführer beschäftigt, als vor
achtzig Jahren Postillone und Fuhrleute für den Transport von Personen und
Gütern auf unsern Landstraßen erforderlich waren.

Was also die Arbeiter zur Produktion außer ihren Händen mitbringen
müssen — und darin eben unterscheidet sich die Gegenwart von der Vergangen¬
heit —, sind Werkzeuge und Intelligenz, und es kann gar kein Zweifel darüber
bestehen, daß diese Leistungen von den Unternehmern auch wirklich bezahlt werden.
Allerdings entstehen dadurch gewisse Abstufungen unter den Arbeitern, die so
bedeutend sind, daß der Gebrauch des gemeinsamen Namens „Arbeiter" un¬
passend wird und, wie wir dies täglich sehen, zu den ärgsten Irrtümern und
Fehlschlüssen Anlaß giebt. Was würden z. B. Feinschmiedc, künstlerisch ge¬
bildete Glasarbeiter und andre dazu sagen, wenn man sie mit gewöhnlichen
Erdarbeitern ans eine Stufe setzen wollte, und welche Unterschiede ergiebt die
Vergleichiiug ihrer Lohnsätze? In den höhern Stufen der Arbeiter finden wir
Familien in nahezu behaglicher Existenz, denen auch edlere Genüsse nicht un¬
zugänglich sind und die imstande sind, einen Sparpfennig für schlimme Zeiten
zurückzulegen. Auch ist kein Grund, daran zu zweifeln, daß es acht den ver¬
einigten Anstrengungen der Arbeitgeber und -nehmer, der Gesellschaft und des
Staates gelingen sollte, die Lage dieser Klassen noch weiter zu verbessern und
gegen Unfälle zu sichern. Auch sehen wir alle die genannten Faktoren, einem
mächtigei: Zuge der Zeit gehorchend, auf diesem Wege vorwärts schreiten. Bei
tiefern Stufen der Arbeiterklassen wird man größeren, zum Teil unbesiegbaren
Schwierigkeiten begegnen, wenn Sittlichkeit und Bildung noch zu niedrig stehen
oder die betreffende Industrie noch auf einer Stufe verharrt, wo der Mensch
nur gleich einer Naturkraft benutzt wird und willenlos ausgebeutet werden kann.
Diese Klassen mögen als die Opfer einer gewerblichen Übergangsperiode gelten,


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[0569] Zur Revision manchesterlicher Lehren. bessern Ausbildung und sittlichen Hebung der Arbeiter durch Gewährung von Wohnungen, Bädern, Leihbibliotheken u. s. w. Die moderne Industrie kann ohne die umfassendste Anwendung von Ma¬ schinen garnicht gedacht werden. Menschenhände, und gäbe es deren noch tausendmal mehr, würden garnicht imstande sein, die nötige Kraft zu liefern; die Zerstörung auch mir eines kleinen Teils der Maschinen würde den Hungertod unzählbarer Arbeiter zur unmittelbaren Folge haben. Im Gegenteil sind die Maschinen die größten Segenspender für die Arbeiter, sie ermöglichen die Be¬ schäftigung von mehr Menschen und Beschäftigung in einer menschenwürdigeren Weise. Auch wird kaum bestritten werden können, daß das Bestreben der modernen Industrie, die rohe Kraft durch Maschinen zu bewirken, nur auf die Klasse von Arbeitern nachteilig wirkt, welche eben nur rohe Kraft verrichten können. Der Heizer einer Dampfmaschine wird besser bezahlt als derjenige, der den Gaul an einem ungefügen Göpelwerk beaufsichtigt oder selbst im Rade geht; der Führer einer Lokomotive hat einen viel höhern Gehalt als ein Postillon oder ein Kutscher, und es sind hente wohl mehr Lokomotivführer beschäftigt, als vor achtzig Jahren Postillone und Fuhrleute für den Transport von Personen und Gütern auf unsern Landstraßen erforderlich waren. Was also die Arbeiter zur Produktion außer ihren Händen mitbringen müssen — und darin eben unterscheidet sich die Gegenwart von der Vergangen¬ heit —, sind Werkzeuge und Intelligenz, und es kann gar kein Zweifel darüber bestehen, daß diese Leistungen von den Unternehmern auch wirklich bezahlt werden. Allerdings entstehen dadurch gewisse Abstufungen unter den Arbeitern, die so bedeutend sind, daß der Gebrauch des gemeinsamen Namens „Arbeiter" un¬ passend wird und, wie wir dies täglich sehen, zu den ärgsten Irrtümern und Fehlschlüssen Anlaß giebt. Was würden z. B. Feinschmiedc, künstlerisch ge¬ bildete Glasarbeiter und andre dazu sagen, wenn man sie mit gewöhnlichen Erdarbeitern ans eine Stufe setzen wollte, und welche Unterschiede ergiebt die Vergleichiiug ihrer Lohnsätze? In den höhern Stufen der Arbeiter finden wir Familien in nahezu behaglicher Existenz, denen auch edlere Genüsse nicht un¬ zugänglich sind und die imstande sind, einen Sparpfennig für schlimme Zeiten zurückzulegen. Auch ist kein Grund, daran zu zweifeln, daß es acht den ver¬ einigten Anstrengungen der Arbeitgeber und -nehmer, der Gesellschaft und des Staates gelingen sollte, die Lage dieser Klassen noch weiter zu verbessern und gegen Unfälle zu sichern. Auch sehen wir alle die genannten Faktoren, einem mächtigei: Zuge der Zeit gehorchend, auf diesem Wege vorwärts schreiten. Bei tiefern Stufen der Arbeiterklassen wird man größeren, zum Teil unbesiegbaren Schwierigkeiten begegnen, wenn Sittlichkeit und Bildung noch zu niedrig stehen oder die betreffende Industrie noch auf einer Stufe verharrt, wo der Mensch nur gleich einer Naturkraft benutzt wird und willenlos ausgebeutet werden kann. Diese Klassen mögen als die Opfer einer gewerblichen Übergangsperiode gelten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/569>, abgerufen am 22.07.2024.