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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Unpolitische Briefe ans Wien.

Viel Geld verdienen läßt. "Ich brauche jährlich siebentausend Gulden," sagte
jüngst ein hier ziemlich geschätzter Schriftsteller zu einem unsrer wenigen wahr¬
haften Poeten, "die muß ich mir mit der Feder verdienen." -- "Ich möchte
das nicht alles lesen, was sie für diese siebentausend Gulden schreiben," erwiederte
dieser lächelnd. "Kann man das überhaupt?" fragte ein andrer, jüngerer, der in
die Geheimnisse der Tagesschriftstellerei noch nicht eingeweiht war. Allerdings,
wenn man ehrlich sein will, wenn man nur dann vor das Publikum tritt, wenn
man wirklich etwas zu sagen hat, kaun man es nicht. Und so ist es denn
unsrer Meinung nach für den Dichter wohl besser, wenn er gerade so wie ein
gemeines Menschenkind einen bürgerlichen Beruf ergreift, oder falls er so
beschaulicher Natur ist, daß nnr in wcltabgcwmidter Stille Gedanken und
Worte sich ihm zu einem Werke fügen, so mag er mit dem bescheidensten Lose
genügsam vorlieb nehmen, denn wie die Zeiten heute eben sind, wird er wohl
kaum dem Staate und der Gesellschaft als Dichter soviel zu bieten haben, daß
sie ihm eine glänzende Existenz als Entgelt dafür verschaffen könnten. Bitter
freilich muß es für ihn sein, daß soviele, die nur dem Bedürfnis und dem
Geschmack des Tages dienen, ohne dabei ein sittliches oder ästhetisches Ideal
zu verfolgen, diese Existenz erwerben können, aber dies ist ein sozialer Übelstand,
der einstweilen noch getragen werden muß, anschließen dürfen sie sich deshalb
jener Schaar doch nicht, wenn sie auf den Namen und die Würde eines
Dichters noch ferner Anspruch machen wollen. Der Dichtung dieses Jahr¬
hunderts ist es wohl kaum beschieden, das Höchste zu erreichen; die sich ihr
aber widmen, dürfen das nicht meinen, dürfen sich nicht selbst aufgeben, indem
sie auf den Markt hinabsteigen und mit dem alltäglichen Bedürfnis schnöde
Pallirer.

Von unsern heute lebenden österreichischen Dichtern haben dies leider doch
so manche gethan und scheinen sich recht wohl dabei zu befinden. Andre giebt
es, die sich mit redlichem Bemühen irgendeinem praktischen Zweige menschlicher
Thätigkeit zugewandt haben, die es nicht begreifen, wie man bloß leben könne,
um zu dichten, die nur dichten, weil sie leben; leben aber bedeutet ihnen, thätig
sein. Endlich fehlen auch die nicht, welche fernab von dem Weltgetriebe nach
altem Dichterbrauch dem Murmeln des Baches, dem Gesänge der Vögel und
dem Blühen der Blumen lauschen, welche den menschlichen Schicksalen und
Leidenschaften nachsinnen oder in die ewigen Probleme alles Daseins sich ver¬
senken, ohne Geld und Gut und Ehre und Herrlichkeit der Welt für dies ihr
stilles Thun zu fordern; sie haben entsagt und ohne Haß sich in sich selbst
verschlossen.

Diese dreifache Gliederung der poetischen Zunft ist aber nicht dem deutschen
Österreich allein eigentümlich, auch draußen im Reich scheint sie uns recht
deutlich ausgeprägt zu sein, und auch dies ist beiden Ländern gemeinsam, daß
es jene erste Klasse von Dichtern ist, die in unsern Tagen dem dichterischen


Unpolitische Briefe ans Wien.

Viel Geld verdienen läßt. „Ich brauche jährlich siebentausend Gulden," sagte
jüngst ein hier ziemlich geschätzter Schriftsteller zu einem unsrer wenigen wahr¬
haften Poeten, „die muß ich mir mit der Feder verdienen." — „Ich möchte
das nicht alles lesen, was sie für diese siebentausend Gulden schreiben," erwiederte
dieser lächelnd. „Kann man das überhaupt?" fragte ein andrer, jüngerer, der in
die Geheimnisse der Tagesschriftstellerei noch nicht eingeweiht war. Allerdings,
wenn man ehrlich sein will, wenn man nur dann vor das Publikum tritt, wenn
man wirklich etwas zu sagen hat, kaun man es nicht. Und so ist es denn
unsrer Meinung nach für den Dichter wohl besser, wenn er gerade so wie ein
gemeines Menschenkind einen bürgerlichen Beruf ergreift, oder falls er so
beschaulicher Natur ist, daß nnr in wcltabgcwmidter Stille Gedanken und
Worte sich ihm zu einem Werke fügen, so mag er mit dem bescheidensten Lose
genügsam vorlieb nehmen, denn wie die Zeiten heute eben sind, wird er wohl
kaum dem Staate und der Gesellschaft als Dichter soviel zu bieten haben, daß
sie ihm eine glänzende Existenz als Entgelt dafür verschaffen könnten. Bitter
freilich muß es für ihn sein, daß soviele, die nur dem Bedürfnis und dem
Geschmack des Tages dienen, ohne dabei ein sittliches oder ästhetisches Ideal
zu verfolgen, diese Existenz erwerben können, aber dies ist ein sozialer Übelstand,
der einstweilen noch getragen werden muß, anschließen dürfen sie sich deshalb
jener Schaar doch nicht, wenn sie auf den Namen und die Würde eines
Dichters noch ferner Anspruch machen wollen. Der Dichtung dieses Jahr¬
hunderts ist es wohl kaum beschieden, das Höchste zu erreichen; die sich ihr
aber widmen, dürfen das nicht meinen, dürfen sich nicht selbst aufgeben, indem
sie auf den Markt hinabsteigen und mit dem alltäglichen Bedürfnis schnöde
Pallirer.

Von unsern heute lebenden österreichischen Dichtern haben dies leider doch
so manche gethan und scheinen sich recht wohl dabei zu befinden. Andre giebt
es, die sich mit redlichem Bemühen irgendeinem praktischen Zweige menschlicher
Thätigkeit zugewandt haben, die es nicht begreifen, wie man bloß leben könne,
um zu dichten, die nur dichten, weil sie leben; leben aber bedeutet ihnen, thätig
sein. Endlich fehlen auch die nicht, welche fernab von dem Weltgetriebe nach
altem Dichterbrauch dem Murmeln des Baches, dem Gesänge der Vögel und
dem Blühen der Blumen lauschen, welche den menschlichen Schicksalen und
Leidenschaften nachsinnen oder in die ewigen Probleme alles Daseins sich ver¬
senken, ohne Geld und Gut und Ehre und Herrlichkeit der Welt für dies ihr
stilles Thun zu fordern; sie haben entsagt und ohne Haß sich in sich selbst
verschlossen.

Diese dreifache Gliederung der poetischen Zunft ist aber nicht dem deutschen
Österreich allein eigentümlich, auch draußen im Reich scheint sie uns recht
deutlich ausgeprägt zu sein, und auch dies ist beiden Ländern gemeinsam, daß
es jene erste Klasse von Dichtern ist, die in unsern Tagen dem dichterischen


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[0529] Unpolitische Briefe ans Wien. Viel Geld verdienen läßt. „Ich brauche jährlich siebentausend Gulden," sagte jüngst ein hier ziemlich geschätzter Schriftsteller zu einem unsrer wenigen wahr¬ haften Poeten, „die muß ich mir mit der Feder verdienen." — „Ich möchte das nicht alles lesen, was sie für diese siebentausend Gulden schreiben," erwiederte dieser lächelnd. „Kann man das überhaupt?" fragte ein andrer, jüngerer, der in die Geheimnisse der Tagesschriftstellerei noch nicht eingeweiht war. Allerdings, wenn man ehrlich sein will, wenn man nur dann vor das Publikum tritt, wenn man wirklich etwas zu sagen hat, kaun man es nicht. Und so ist es denn unsrer Meinung nach für den Dichter wohl besser, wenn er gerade so wie ein gemeines Menschenkind einen bürgerlichen Beruf ergreift, oder falls er so beschaulicher Natur ist, daß nnr in wcltabgcwmidter Stille Gedanken und Worte sich ihm zu einem Werke fügen, so mag er mit dem bescheidensten Lose genügsam vorlieb nehmen, denn wie die Zeiten heute eben sind, wird er wohl kaum dem Staate und der Gesellschaft als Dichter soviel zu bieten haben, daß sie ihm eine glänzende Existenz als Entgelt dafür verschaffen könnten. Bitter freilich muß es für ihn sein, daß soviele, die nur dem Bedürfnis und dem Geschmack des Tages dienen, ohne dabei ein sittliches oder ästhetisches Ideal zu verfolgen, diese Existenz erwerben können, aber dies ist ein sozialer Übelstand, der einstweilen noch getragen werden muß, anschließen dürfen sie sich deshalb jener Schaar doch nicht, wenn sie auf den Namen und die Würde eines Dichters noch ferner Anspruch machen wollen. Der Dichtung dieses Jahr¬ hunderts ist es wohl kaum beschieden, das Höchste zu erreichen; die sich ihr aber widmen, dürfen das nicht meinen, dürfen sich nicht selbst aufgeben, indem sie auf den Markt hinabsteigen und mit dem alltäglichen Bedürfnis schnöde Pallirer. Von unsern heute lebenden österreichischen Dichtern haben dies leider doch so manche gethan und scheinen sich recht wohl dabei zu befinden. Andre giebt es, die sich mit redlichem Bemühen irgendeinem praktischen Zweige menschlicher Thätigkeit zugewandt haben, die es nicht begreifen, wie man bloß leben könne, um zu dichten, die nur dichten, weil sie leben; leben aber bedeutet ihnen, thätig sein. Endlich fehlen auch die nicht, welche fernab von dem Weltgetriebe nach altem Dichterbrauch dem Murmeln des Baches, dem Gesänge der Vögel und dem Blühen der Blumen lauschen, welche den menschlichen Schicksalen und Leidenschaften nachsinnen oder in die ewigen Probleme alles Daseins sich ver¬ senken, ohne Geld und Gut und Ehre und Herrlichkeit der Welt für dies ihr stilles Thun zu fordern; sie haben entsagt und ohne Haß sich in sich selbst verschlossen. Diese dreifache Gliederung der poetischen Zunft ist aber nicht dem deutschen Österreich allein eigentümlich, auch draußen im Reich scheint sie uns recht deutlich ausgeprägt zu sein, und auch dies ist beiden Ländern gemeinsam, daß es jene erste Klasse von Dichtern ist, die in unsern Tagen dem dichterischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/529>, abgerufen am 25.08.2024.