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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Aus dem Jahre

darischen Versammlungen im großen Stile gab, und eine Rede von Odilon
Barrot oder von Thiers war für die damaligen politischen Kannegießer ein
wichtigeres Ereignis, als für die heutigen eine Rede von Virchow oder Richter,
Auch stand die damalige Generation noch viel mehr unter dem gewaltigen Ein¬
drucke der Revolutionszeit und der napoleonischen Zeit als die jetzige; von 1848
bis zum Beginn der Freiheitskriege war es ja nicht länger als von 1848 bis
jetzt. Noch war es jedem gegenwärtig, welch eine Gewalt der französischen
Volkskraft innewohnen könne/ und man bangte bei dem Gedanken, daß sich diese
wieder einmal in wildem Rausche erhebe. Man hatte sich zwar lange daran
gewöhnt, auf die Schlauheit des Königs Louis Philipp zu bauen und der guten
Zuversicht zu sein, daß, so lange er lebe, es ihm gelingen werde, den Riesen
niederzuhalten und alle Kriegsgefahren glücklich zu umschiffen; erst mit seinem
Tode, so meinte man allgemein, werde eine neue, schlimme Zeit über die Welt
kommen. Umso überraschter war man, als diese vielgepriesene Schlauheit schou
bei den ersten Regungen des Riesen gänzlich versagte, und als er das Ruder
des französischen Staatsschiffes scheu im Stiche ließ.

Die Nachricht, in Frankreich sei die Republik erklärt, ward daher nicht
aufgenommen, wie wir heutigen Tages die Nachricht von einer in einem Nachbar¬
staate vorgekommenen Staatsverändernng aufnehmen -- selbst die grause Kunde
von dein Kaisermorde in Rußland hat uns vor etlichen Jahren trotz aller be¬
gleitenden Umstände nicht so im Innersten erregen und aufschrecken können. Im
Februar 1848 fühlte jeder im Volke bis in die abgelegensten Dörfer hinein,
daß es sich um ein Ereignis handle, welches in sein eigenstes persönliches Leben
hineingreifen würde, und daß es gleichbedeutend mit Krieg und Graus sei, da
Man sich eine französische Republik nicht als einen friedlichen Nachbarn unsrer
ehrwürdigen Monarchie denken konnte.

Preußen hatte damals noch keine elektrischen Telegraphen zur Verfügung,
sondern begnügte sich für seine Zwecke mit dem optischen Telegraphen, der in
Abständen von etwa einer halben Meile von Berlin bis Aachen auf eigens
dazu erbauten Telcgraphenhäusern stand und durch die verschiedne Stellung der
sechs Arme alle Nachrichten, wenn auch in etwas langsamer und von dem
Wetter abhängiger Weise übermitteln konnte. Diese Linie endete in Berlin auf
dem nach der Dorotheenftmße hin gelegenen Flügel des Akademiegebäudes.
sodaß man von der Ecke der Linden aus die Bewegungen des Telegraphen
wahrnehmen konnte. In gewöhnlichen Zeiten sah man nur selten einmal, daß
sich die großen Arme rechts und links ausstreckten, nud niemand pflegte davon
weiter Notiz zu nehmen, da die Zeichen ja nur für die wenigen Eingeweihten
verstündlich waren. Mit den letzten Februartagen aber begann der Telegraph
unablässig vom ersten Morgenlichte bis in die Abenddämmerung hinein zu
arbeiten, und ebenso lange stand eine gaffende, unruhige und fortwährend
wechselnde Menge an der Lindenecke und starrte nach den auf- und abklappenden


Aus dem Jahre

darischen Versammlungen im großen Stile gab, und eine Rede von Odilon
Barrot oder von Thiers war für die damaligen politischen Kannegießer ein
wichtigeres Ereignis, als für die heutigen eine Rede von Virchow oder Richter,
Auch stand die damalige Generation noch viel mehr unter dem gewaltigen Ein¬
drucke der Revolutionszeit und der napoleonischen Zeit als die jetzige; von 1848
bis zum Beginn der Freiheitskriege war es ja nicht länger als von 1848 bis
jetzt. Noch war es jedem gegenwärtig, welch eine Gewalt der französischen
Volkskraft innewohnen könne/ und man bangte bei dem Gedanken, daß sich diese
wieder einmal in wildem Rausche erhebe. Man hatte sich zwar lange daran
gewöhnt, auf die Schlauheit des Königs Louis Philipp zu bauen und der guten
Zuversicht zu sein, daß, so lange er lebe, es ihm gelingen werde, den Riesen
niederzuhalten und alle Kriegsgefahren glücklich zu umschiffen; erst mit seinem
Tode, so meinte man allgemein, werde eine neue, schlimme Zeit über die Welt
kommen. Umso überraschter war man, als diese vielgepriesene Schlauheit schou
bei den ersten Regungen des Riesen gänzlich versagte, und als er das Ruder
des französischen Staatsschiffes scheu im Stiche ließ.

Die Nachricht, in Frankreich sei die Republik erklärt, ward daher nicht
aufgenommen, wie wir heutigen Tages die Nachricht von einer in einem Nachbar¬
staate vorgekommenen Staatsverändernng aufnehmen — selbst die grause Kunde
von dein Kaisermorde in Rußland hat uns vor etlichen Jahren trotz aller be¬
gleitenden Umstände nicht so im Innersten erregen und aufschrecken können. Im
Februar 1848 fühlte jeder im Volke bis in die abgelegensten Dörfer hinein,
daß es sich um ein Ereignis handle, welches in sein eigenstes persönliches Leben
hineingreifen würde, und daß es gleichbedeutend mit Krieg und Graus sei, da
Man sich eine französische Republik nicht als einen friedlichen Nachbarn unsrer
ehrwürdigen Monarchie denken konnte.

Preußen hatte damals noch keine elektrischen Telegraphen zur Verfügung,
sondern begnügte sich für seine Zwecke mit dem optischen Telegraphen, der in
Abständen von etwa einer halben Meile von Berlin bis Aachen auf eigens
dazu erbauten Telcgraphenhäusern stand und durch die verschiedne Stellung der
sechs Arme alle Nachrichten, wenn auch in etwas langsamer und von dem
Wetter abhängiger Weise übermitteln konnte. Diese Linie endete in Berlin auf
dem nach der Dorotheenftmße hin gelegenen Flügel des Akademiegebäudes.
sodaß man von der Ecke der Linden aus die Bewegungen des Telegraphen
wahrnehmen konnte. In gewöhnlichen Zeiten sah man nur selten einmal, daß
sich die großen Arme rechts und links ausstreckten, nud niemand pflegte davon
weiter Notiz zu nehmen, da die Zeichen ja nur für die wenigen Eingeweihten
verstündlich waren. Mit den letzten Februartagen aber begann der Telegraph
unablässig vom ersten Morgenlichte bis in die Abenddämmerung hinein zu
arbeiten, und ebenso lange stand eine gaffende, unruhige und fortwährend
wechselnde Menge an der Lindenecke und starrte nach den auf- und abklappenden


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[0519] Aus dem Jahre darischen Versammlungen im großen Stile gab, und eine Rede von Odilon Barrot oder von Thiers war für die damaligen politischen Kannegießer ein wichtigeres Ereignis, als für die heutigen eine Rede von Virchow oder Richter, Auch stand die damalige Generation noch viel mehr unter dem gewaltigen Ein¬ drucke der Revolutionszeit und der napoleonischen Zeit als die jetzige; von 1848 bis zum Beginn der Freiheitskriege war es ja nicht länger als von 1848 bis jetzt. Noch war es jedem gegenwärtig, welch eine Gewalt der französischen Volkskraft innewohnen könne/ und man bangte bei dem Gedanken, daß sich diese wieder einmal in wildem Rausche erhebe. Man hatte sich zwar lange daran gewöhnt, auf die Schlauheit des Königs Louis Philipp zu bauen und der guten Zuversicht zu sein, daß, so lange er lebe, es ihm gelingen werde, den Riesen niederzuhalten und alle Kriegsgefahren glücklich zu umschiffen; erst mit seinem Tode, so meinte man allgemein, werde eine neue, schlimme Zeit über die Welt kommen. Umso überraschter war man, als diese vielgepriesene Schlauheit schou bei den ersten Regungen des Riesen gänzlich versagte, und als er das Ruder des französischen Staatsschiffes scheu im Stiche ließ. Die Nachricht, in Frankreich sei die Republik erklärt, ward daher nicht aufgenommen, wie wir heutigen Tages die Nachricht von einer in einem Nachbar¬ staate vorgekommenen Staatsverändernng aufnehmen — selbst die grause Kunde von dein Kaisermorde in Rußland hat uns vor etlichen Jahren trotz aller be¬ gleitenden Umstände nicht so im Innersten erregen und aufschrecken können. Im Februar 1848 fühlte jeder im Volke bis in die abgelegensten Dörfer hinein, daß es sich um ein Ereignis handle, welches in sein eigenstes persönliches Leben hineingreifen würde, und daß es gleichbedeutend mit Krieg und Graus sei, da Man sich eine französische Republik nicht als einen friedlichen Nachbarn unsrer ehrwürdigen Monarchie denken konnte. Preußen hatte damals noch keine elektrischen Telegraphen zur Verfügung, sondern begnügte sich für seine Zwecke mit dem optischen Telegraphen, der in Abständen von etwa einer halben Meile von Berlin bis Aachen auf eigens dazu erbauten Telcgraphenhäusern stand und durch die verschiedne Stellung der sechs Arme alle Nachrichten, wenn auch in etwas langsamer und von dem Wetter abhängiger Weise übermitteln konnte. Diese Linie endete in Berlin auf dem nach der Dorotheenftmße hin gelegenen Flügel des Akademiegebäudes. sodaß man von der Ecke der Linden aus die Bewegungen des Telegraphen wahrnehmen konnte. In gewöhnlichen Zeiten sah man nur selten einmal, daß sich die großen Arme rechts und links ausstreckten, nud niemand pflegte davon weiter Notiz zu nehmen, da die Zeichen ja nur für die wenigen Eingeweihten verstündlich waren. Mit den letzten Februartagen aber begann der Telegraph unablässig vom ersten Morgenlichte bis in die Abenddämmerung hinein zu arbeiten, und ebenso lange stand eine gaffende, unruhige und fortwährend wechselnde Menge an der Lindenecke und starrte nach den auf- und abklappenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/519>, abgerufen am 22.07.2024.