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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Um eine perle.

und Personen, die einst für die Vorfahren ihres Herrn von Bedeutung gewesen
sein mochten, bei denen aber sie sowohl wie ihr grauköpfiger Kollege sich
herzlich wenig zu denken vermochte.

Desto feierlicher war die Stimmung des alten Vnonacvlsi, Die zum Teil
mit prächtigen Denkmälern bedeckten Gräber des berühmten Veroneser Fürsten¬
geschlechtes liegen in einem gartenartigen Vorhofe des Kirchlein Santa Maria
Antica; dieser ist von einem eisernen Geländer umgeben, dessen Hauptverzierung
in regelmäßiger Wiederholung das schon erwähnte Wappen mit der Leiter ist.

Nur Florida durfte dem alten Buonacolsi in diesen geweihten Raum folgen.
Er hatte sein schneeweißes Haupt ehrfurchtsvoll entblößt und blickte wohlgefällig
auf das Niederknieen der Tochter. Im siebzehnten Gesange von Dantes Paradies
feiert Dante ?as Andenken Cangrnndes des Ersten, des Gönners so vieler Ge¬
lehrten und Dichter, des gastlichen Beschützers so manches politischen Flüchtlings,
darunter auch des großen Florentiner Dichters selbst:


1/0 xrimc> tuo riKiMo o it zzrimo QLtolln
Lkr", I->, oortsÄ", <Jo1 grau I,c>ends,rclo
<Aw' w sulln, LvlÜÄ xort^ it snow uoosllo.

(Die erste Zuflucht und das erste Obdach
Wird dir der mächtige Lombarde bieten,
Der auf der Leiter führt den heil'gen Vogel.)


Der Vater Floridas sagte diese Verse halblaut vor sich hin und kam dabei
auf die Leiter zu sprechen, die er nicht nach der volkstümlichen Auslegung ge¬
deutet wissen wollte -- ein so vornehmes Geschlecht, sagte er, könne unmöglich
von einem gemeinen Leiterhändler abstammen --, sondern in der er vielmehr
das stolze Bewußtsein des echten Ritters erblicke, der dem Kaiser zwar zu immer
höherem Aufsteigen die Leiter halte, aber auch kühn ausspreche, daß ihm der
Kaiser für diesen Dienst verpflichtet zu bleiben habe.

Lange blieb der Greis vor jedem einzelnen Denkmale stehen. Er kannte
die Geschichte sämtlicher Scaliger und wußte mit wenigen Worten, oft mit ta¬
delnden, zu schildern, wie und was sie gewesen waren. Verächtlich sprach er
von dem Verschwender Cangrande dem Zweiten, mit Absehen von dem Bruder^
mörder Cansignore, mit Schauder von Cansignores Söhnen, in denen das
brudermörderischc Beispiel des Vaters nachgewirkt habe.

Florida ersehnte ein Ende dieses den Vater so tief erregenden Anblickes
unter Bestatteten, an denen er dennoch, da sie Scaliger gewesen waren, abge¬
sehen von den Flecken ihres Bildes, mit Ehrfurcht hing.

Endlich riß er sich von den alten Bundesgenossen seiner Vorfahren los.

Aber nochmals hielt er Florida, die an das Sinken der Sonne mahnte,
vor den Wappen fest, über die er schon so manches geredet hatte. Es war das
erstemal, daß er auf die fröhlich, vielleicht leichtfertig gemutete Urgroßmutter
Floridas zu sprechen kam, auf die Veltliueriu Vittoria Buonacolsi. Er hatte


Um eine perle.

und Personen, die einst für die Vorfahren ihres Herrn von Bedeutung gewesen
sein mochten, bei denen aber sie sowohl wie ihr grauköpfiger Kollege sich
herzlich wenig zu denken vermochte.

Desto feierlicher war die Stimmung des alten Vnonacvlsi, Die zum Teil
mit prächtigen Denkmälern bedeckten Gräber des berühmten Veroneser Fürsten¬
geschlechtes liegen in einem gartenartigen Vorhofe des Kirchlein Santa Maria
Antica; dieser ist von einem eisernen Geländer umgeben, dessen Hauptverzierung
in regelmäßiger Wiederholung das schon erwähnte Wappen mit der Leiter ist.

Nur Florida durfte dem alten Buonacolsi in diesen geweihten Raum folgen.
Er hatte sein schneeweißes Haupt ehrfurchtsvoll entblößt und blickte wohlgefällig
auf das Niederknieen der Tochter. Im siebzehnten Gesange von Dantes Paradies
feiert Dante ?as Andenken Cangrnndes des Ersten, des Gönners so vieler Ge¬
lehrten und Dichter, des gastlichen Beschützers so manches politischen Flüchtlings,
darunter auch des großen Florentiner Dichters selbst:


1/0 xrimc> tuo riKiMo o it zzrimo QLtolln
Lkr», I->, oortsÄ», <Jo1 grau I,c>ends,rclo
<Aw' w sulln, LvlÜÄ xort^ it snow uoosllo.

(Die erste Zuflucht und das erste Obdach
Wird dir der mächtige Lombarde bieten,
Der auf der Leiter führt den heil'gen Vogel.)


Der Vater Floridas sagte diese Verse halblaut vor sich hin und kam dabei
auf die Leiter zu sprechen, die er nicht nach der volkstümlichen Auslegung ge¬
deutet wissen wollte — ein so vornehmes Geschlecht, sagte er, könne unmöglich
von einem gemeinen Leiterhändler abstammen —, sondern in der er vielmehr
das stolze Bewußtsein des echten Ritters erblicke, der dem Kaiser zwar zu immer
höherem Aufsteigen die Leiter halte, aber auch kühn ausspreche, daß ihm der
Kaiser für diesen Dienst verpflichtet zu bleiben habe.

Lange blieb der Greis vor jedem einzelnen Denkmale stehen. Er kannte
die Geschichte sämtlicher Scaliger und wußte mit wenigen Worten, oft mit ta¬
delnden, zu schildern, wie und was sie gewesen waren. Verächtlich sprach er
von dem Verschwender Cangrande dem Zweiten, mit Absehen von dem Bruder^
mörder Cansignore, mit Schauder von Cansignores Söhnen, in denen das
brudermörderischc Beispiel des Vaters nachgewirkt habe.

Florida ersehnte ein Ende dieses den Vater so tief erregenden Anblickes
unter Bestatteten, an denen er dennoch, da sie Scaliger gewesen waren, abge¬
sehen von den Flecken ihres Bildes, mit Ehrfurcht hing.

Endlich riß er sich von den alten Bundesgenossen seiner Vorfahren los.

Aber nochmals hielt er Florida, die an das Sinken der Sonne mahnte,
vor den Wappen fest, über die er schon so manches geredet hatte. Es war das
erstemal, daß er auf die fröhlich, vielleicht leichtfertig gemutete Urgroßmutter
Floridas zu sprechen kam, auf die Veltliueriu Vittoria Buonacolsi. Er hatte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/492>, abgerufen am 22.07.2024.