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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Um eine perle.

hineingebaut, die auf den großen, jetzt Piazza Vittorio Emanuele (früher
Piazza Brä) benannten Platz münden. Von der Via Leoni, wo das Albergo
Sanmichele lag, hatte man bis zu dem Amphitheater nur wenige hundert Schritt
zu gehen. Aber der alte Buouaeolsi schlug zunächst den Weg nach einer
seitab führenden Richtung ein.

Verona ist, Gott sei Dank, nicht Mantua, sagte er zu der neben ihm
schreitenden Tochter gewandt, und machte nach nochmaligem Umherblicken ein
Zeichen, die Cameriera möge den Dvppelschleier Floridas lüften, damit ihre
Verschleierung, ans ein einziges ganz dünnes Seidengewebe beschränkt, nicht mehr
den Genuß der Sehenswürdigkeiten Veronas beeinträchtige. Die hiesigen Gon-
zagas sind machtlos, wenn nicht gar ausgestorben; wir können durch diese
Straßen wandeln, ohne von Spähern umlauert zu werden. Unser nächster
Gang gelte daher den Manen der Scaliger. Sie waren Ghibellinen wie unsre
Vorfahren. Die Zeitverhältnisse haben uns Überlebende auf die Seite der
Guelfen gedrängt, wenn auch nur in unsern Herzen, denn wir sind ja nur noch
Phantome, Schemen, wandelnde Leichen! Aber unsre teuersten Erinnerungen,
Tochter, du weißt es, sind mit den Ghibellinen durch die Scaliger verknüpft,
waren sie es doch, mit deren Hilfe der nichtswürdige Sohn des greisen Pinamonte
Vuvnaeolsi, des einstigen Stifters unsrer Dynastie, von dem Neffen dieses
Trefflicher zur rechten Zeit vom Throne gestoßen wurde, sodaß sich die schon
aufsässig gewordenen Mcmtuaner mit dem Namen Buonacolsi wieder aussöhnten,
nachdem ihn jener Unmensch durch die Einkerkerung Pincunontes, seines Vaters,
befleckt hatte. O, über die mißrateneu Kiuder! Meine Augen füllen sich mit
Thränen, so oft ich der Thatsache gedenke, daß ein Vuvnaeolsi durch seinen
leiblichen Sohn ins Gefängnis gestoßen wurde. O, über die Kinder, denen das
Silberhaar ihrer Eltern nicht heilig ist!

Florida ergriff die Hand ihres Vaters und preßte sie an ihre Lippen. Sie
hörte nicht zum erstenmale Worte dieser Art. Allemal schnitten sie ihr ins
Herz. Was sie auch heute nur zu antworten vermochte, waren sanft begütigende
Versicherungen ihrer kindlichen Liebe. Aber wider Willen dachte sie dann mit
einem unterdrückten Seufzer im Stille,,: Wer weiß freilich, wie alles zusammen¬
hing ! Mich jammert der Vater, den der Sohn einkerkerte, aber fast noch mehr
der Sohn selbst, der sich so schwer verging. Wie viel Steine sind wohl seitdem
auf ihn geworfen worden, und wer vermag doch zu sagen, ob er allein der
Schuldige war?

Unweit des Kirchleins Santa Maria Antica, wohin man unterwegs war,
sollte, so hieß es, Santa Enfemici, die Schutzpatronin der Cameriera, ein Gottes¬
haus haben, und die letztere begann daher mit Lazzaro zu flüstern, denn sie hätte
gern dahin einen Abstecher gemacht. Aber die umwölkte Stiru des alten Herr"
verhieß für ein etwaiges Urlaubsgesuch der Cameriera nichts gutes, und so fügte
sie sich gleich Lazzaro in das herkömmliche Muß, Teilnahme zu zeigen für Dinge


Um eine perle.

hineingebaut, die auf den großen, jetzt Piazza Vittorio Emanuele (früher
Piazza Brä) benannten Platz münden. Von der Via Leoni, wo das Albergo
Sanmichele lag, hatte man bis zu dem Amphitheater nur wenige hundert Schritt
zu gehen. Aber der alte Buouaeolsi schlug zunächst den Weg nach einer
seitab führenden Richtung ein.

Verona ist, Gott sei Dank, nicht Mantua, sagte er zu der neben ihm
schreitenden Tochter gewandt, und machte nach nochmaligem Umherblicken ein
Zeichen, die Cameriera möge den Dvppelschleier Floridas lüften, damit ihre
Verschleierung, ans ein einziges ganz dünnes Seidengewebe beschränkt, nicht mehr
den Genuß der Sehenswürdigkeiten Veronas beeinträchtige. Die hiesigen Gon-
zagas sind machtlos, wenn nicht gar ausgestorben; wir können durch diese
Straßen wandeln, ohne von Spähern umlauert zu werden. Unser nächster
Gang gelte daher den Manen der Scaliger. Sie waren Ghibellinen wie unsre
Vorfahren. Die Zeitverhältnisse haben uns Überlebende auf die Seite der
Guelfen gedrängt, wenn auch nur in unsern Herzen, denn wir sind ja nur noch
Phantome, Schemen, wandelnde Leichen! Aber unsre teuersten Erinnerungen,
Tochter, du weißt es, sind mit den Ghibellinen durch die Scaliger verknüpft,
waren sie es doch, mit deren Hilfe der nichtswürdige Sohn des greisen Pinamonte
Vuvnaeolsi, des einstigen Stifters unsrer Dynastie, von dem Neffen dieses
Trefflicher zur rechten Zeit vom Throne gestoßen wurde, sodaß sich die schon
aufsässig gewordenen Mcmtuaner mit dem Namen Buonacolsi wieder aussöhnten,
nachdem ihn jener Unmensch durch die Einkerkerung Pincunontes, seines Vaters,
befleckt hatte. O, über die mißrateneu Kiuder! Meine Augen füllen sich mit
Thränen, so oft ich der Thatsache gedenke, daß ein Vuvnaeolsi durch seinen
leiblichen Sohn ins Gefängnis gestoßen wurde. O, über die Kinder, denen das
Silberhaar ihrer Eltern nicht heilig ist!

Florida ergriff die Hand ihres Vaters und preßte sie an ihre Lippen. Sie
hörte nicht zum erstenmale Worte dieser Art. Allemal schnitten sie ihr ins
Herz. Was sie auch heute nur zu antworten vermochte, waren sanft begütigende
Versicherungen ihrer kindlichen Liebe. Aber wider Willen dachte sie dann mit
einem unterdrückten Seufzer im Stille,,: Wer weiß freilich, wie alles zusammen¬
hing ! Mich jammert der Vater, den der Sohn einkerkerte, aber fast noch mehr
der Sohn selbst, der sich so schwer verging. Wie viel Steine sind wohl seitdem
auf ihn geworfen worden, und wer vermag doch zu sagen, ob er allein der
Schuldige war?

Unweit des Kirchleins Santa Maria Antica, wohin man unterwegs war,
sollte, so hieß es, Santa Enfemici, die Schutzpatronin der Cameriera, ein Gottes¬
haus haben, und die letztere begann daher mit Lazzaro zu flüstern, denn sie hätte
gern dahin einen Abstecher gemacht. Aber die umwölkte Stiru des alten Herr»
verhieß für ein etwaiges Urlaubsgesuch der Cameriera nichts gutes, und so fügte
sie sich gleich Lazzaro in das herkömmliche Muß, Teilnahme zu zeigen für Dinge


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/491>, abgerufen am 22.07.2024.