Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.Ungehaltene Acten eines Nichtgewählten. unangenehm zu machen pflegt, beinahe so oft er den Mund aufthut. Wenn Ungehaltene Acten eines Nichtgewählten. unangenehm zu machen pflegt, beinahe so oft er den Mund aufthut. Wenn <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0486" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195162"/> <fw type="header" place="top"> Ungehaltene Acten eines Nichtgewählten.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1755" prev="#ID_1754"> unangenehm zu machen pflegt, beinahe so oft er den Mund aufthut. Wenn<lb/> er uns übrigens das Recht abgesprochen hat, in solchen Fragen mitzusprechen,<lb/> weil wir keine Steuern zahlen, so hat er vergessen, daß viele Deutsche im Aus¬<lb/> lande sich bereit erklärten, die ungeheure Summe, welche das Deutschland der<lb/> Herren Richter und Windthorst nicht aufbringen kann, aus ihrer Tasche zu<lb/> decken. Über den erhabenen Standpunkt der Betrachtung dieser ganzen An¬<lb/> gelegenheit natürlich kein Wort. Ich habe leider den Lessing nicht zur Hand,<lb/> um wörtlich zu zitiren, aber mir klingt die Abfertigung des Marchese Marinelli<lb/> im Ohre: „Darüber zu streiten — mit Ihnen!" Einen guten Rat indessen<lb/> möchte ich dem Herrn Richter zukommen lassein er sollte einmal ins Ausland<lb/> gehen! Nicht mit einem Rundrcisebillet, nicht einzig, um im Kreise von Ge¬<lb/> sinnungsgenossen das tausendmal Geredete abermals zu reden; nein, um unter<lb/> Fremden zu leben und ein nützliches Tagewerk zu verrichten. Vielleicht thäte<lb/> ihm das gut. Ich habe solche klimatische Kuren vielfältig von dem besten Erfolge<lb/> gekrönt gesehen. Nicht alle, das versteht sich — bei weit vorgeschrittener<lb/> Schwindsucht versagen ja auch Kairo und Madeira häufig. Aber wenn des<lb/> Lebens Kern noch nicht zerstört ist, gesunden die meisten. Da kommt bei so<lb/> manchem, der alles Nationale längst „überwunden" zu haben glaubte und bei<lb/> dem Worte Vaterland nur mitleidig zu lächeln liebte, die ursprüngliche Natur<lb/> wieder zum Durchbruch. Da wird einer, dem es Gewohnheit geworden war,<lb/> alles Heimische mit Verachtung und Hohn zu besprechen, zu dessen entschiedenem<lb/> Verteidiger gegen Haß und Unkenntnis der Fremden. Da lernen viele beschämt<lb/> wieder Anhänglichkeit an den Boden, der sich nach Danton nicht an den Schuh¬<lb/> sohlen mitnehmen läßt. Da sehen sie, wie in jedem andern Lande alle Parteien<lb/> zusammenstehen, sobald die nationale Größe und Ehre ins Spiel kommt, mit<lb/> welcher Art von Achtung der Fremdling behandelt wird, der sich durch Verun¬<lb/> glimpfung seiner Heimat angenehm zu macheu sucht; da empfinden sie mit Stolz<lb/> alle Mißgunst, welcher der Deutsche heute begegnet, alles Gekläffe in Nähe und<lb/> Ferne allein als den Beweis dafür, daß Deutschland „reitet." Das kollegiale<lb/> Anerbieten des Herrn Wörmann, ihn zum Besitzer einer afrikanischen Insel zu<lb/> machen, auf welcher er den parlamentarischen Musterstaat etabliren könnte,<lb/> scheint Herr Richter nicht angenommen zu haben. Allein er braucht auch gar¬<lb/> nicht so weit zu wandern. In jeder Himmelsrichtung könnte schon beim Über¬<lb/> schreiten der Grenze die Schule für ihn beginnen; und wenn er so aus einer<lb/> Entfernung von hundert oder etlichen hundert Meilen beobachten würde, wie<lb/> seine guten Freunde darüber verhandeln, ob denn das reitende Deutschland<lb/> wirklich Sattel und Zaum und Sporen nötig habe, und ob es nicht Luxus, ja<lb/> sogar gefährlich sei, das Pferd zu beschlagen, sintemalen der wißbegierige Wolf<lb/> der Fabel, welcher den unter dem Huf des Pferdes angebrachten Namen lesen<lb/> möchte, von dem Hufeisen arg zugerichtet werden könnte: dann würde er vielleicht<lb/> Neigung verspüren, sich seinen guten Freunden unangenehm bemerklich zu machen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0486]
Ungehaltene Acten eines Nichtgewählten.
unangenehm zu machen pflegt, beinahe so oft er den Mund aufthut. Wenn
er uns übrigens das Recht abgesprochen hat, in solchen Fragen mitzusprechen,
weil wir keine Steuern zahlen, so hat er vergessen, daß viele Deutsche im Aus¬
lande sich bereit erklärten, die ungeheure Summe, welche das Deutschland der
Herren Richter und Windthorst nicht aufbringen kann, aus ihrer Tasche zu
decken. Über den erhabenen Standpunkt der Betrachtung dieser ganzen An¬
gelegenheit natürlich kein Wort. Ich habe leider den Lessing nicht zur Hand,
um wörtlich zu zitiren, aber mir klingt die Abfertigung des Marchese Marinelli
im Ohre: „Darüber zu streiten — mit Ihnen!" Einen guten Rat indessen
möchte ich dem Herrn Richter zukommen lassein er sollte einmal ins Ausland
gehen! Nicht mit einem Rundrcisebillet, nicht einzig, um im Kreise von Ge¬
sinnungsgenossen das tausendmal Geredete abermals zu reden; nein, um unter
Fremden zu leben und ein nützliches Tagewerk zu verrichten. Vielleicht thäte
ihm das gut. Ich habe solche klimatische Kuren vielfältig von dem besten Erfolge
gekrönt gesehen. Nicht alle, das versteht sich — bei weit vorgeschrittener
Schwindsucht versagen ja auch Kairo und Madeira häufig. Aber wenn des
Lebens Kern noch nicht zerstört ist, gesunden die meisten. Da kommt bei so
manchem, der alles Nationale längst „überwunden" zu haben glaubte und bei
dem Worte Vaterland nur mitleidig zu lächeln liebte, die ursprüngliche Natur
wieder zum Durchbruch. Da wird einer, dem es Gewohnheit geworden war,
alles Heimische mit Verachtung und Hohn zu besprechen, zu dessen entschiedenem
Verteidiger gegen Haß und Unkenntnis der Fremden. Da lernen viele beschämt
wieder Anhänglichkeit an den Boden, der sich nach Danton nicht an den Schuh¬
sohlen mitnehmen läßt. Da sehen sie, wie in jedem andern Lande alle Parteien
zusammenstehen, sobald die nationale Größe und Ehre ins Spiel kommt, mit
welcher Art von Achtung der Fremdling behandelt wird, der sich durch Verun¬
glimpfung seiner Heimat angenehm zu macheu sucht; da empfinden sie mit Stolz
alle Mißgunst, welcher der Deutsche heute begegnet, alles Gekläffe in Nähe und
Ferne allein als den Beweis dafür, daß Deutschland „reitet." Das kollegiale
Anerbieten des Herrn Wörmann, ihn zum Besitzer einer afrikanischen Insel zu
machen, auf welcher er den parlamentarischen Musterstaat etabliren könnte,
scheint Herr Richter nicht angenommen zu haben. Allein er braucht auch gar¬
nicht so weit zu wandern. In jeder Himmelsrichtung könnte schon beim Über¬
schreiten der Grenze die Schule für ihn beginnen; und wenn er so aus einer
Entfernung von hundert oder etlichen hundert Meilen beobachten würde, wie
seine guten Freunde darüber verhandeln, ob denn das reitende Deutschland
wirklich Sattel und Zaum und Sporen nötig habe, und ob es nicht Luxus, ja
sogar gefährlich sei, das Pferd zu beschlagen, sintemalen der wißbegierige Wolf
der Fabel, welcher den unter dem Huf des Pferdes angebrachten Namen lesen
möchte, von dem Hufeisen arg zugerichtet werden könnte: dann würde er vielleicht
Neigung verspüren, sich seinen guten Freunden unangenehm bemerklich zu machen.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |