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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten.

Bundes vergleichen? Wie dem sei, ein großer Prophet ist er, und sein heiliger
Zorn gegen den Reichskanzler ist schon durch die Hinterlist gerechtfertigt, mit
welcher dieser Rickerts Prophezeiungen regelmäßig zu schänden macht. Nur
auf die beiden Schleswig-holsteinischen Bauern hätte Nickert sich nicht berufen
sollen. Denn sind sie Bauern vom Schlage des Herrn Dirichlet, so will ihr
Zeugnis nicht viel besagen, und sind sie echte Bauern, so ist es noch viel
schlimmer, dann vertreten sie ja ihre Standesinteressen, dürfen also von einem
freisinnigen Parlamentarier allenfalls über auswärtige Politik oder über Fragen
des höheren Unterrichts, aber beileibe nicht über bäuerliche Angelegenheiten zum
Worte gelassen werden. Hingegen war das schönste in den beiden langen und
an so vielen Schönheiten reichen Reden zur Verteidigung des von der Regie¬
rung bedrohten Einmaleins folgende Stelle: "Die Danziger Rheder sind viel
zu stolz, die Staatshilfe anzurufen, von der sie doch wissen, daß sie ihnen nichts
helfen kann." Das ist einmal ein vernünftiger Stolz, ein Seitenstück zu dem
jenes Handelsmannes: "Ich bin stolz darauf, ein Jude zu sein, denn warum?
wenn ich auch nicht stolz darauf wäre, wäre ich doch ein Jude, bin ich lieber
gleich stolz darauf." Jetzt wäre ich nur begierig zu erfahren, ob sie auch stolz
sind auf ihren Vertreter, die Rheder?

Schließlich muß ich mich heute eines Auftrages entledigen. Ein im Aus¬
lande lebender Deutscher hat mir ein Schreiben mit der Bitte um Mitteilung
desselben übersandt, weil er glaubt, daß für einen NichtWähler ein Nichtgewählter
das geeignetste Organ sei. Das Schreiben lautet:

Der Telegraph giebt sich zwar zu sehr vielen unnützen Botschaften her,
aber jede scharfsinnige Entdeckung, jeden geistreichen Einfall des Abgeordneten
Richter kann er doch nicht verkünden, so lange für den Allerredseligsten nicht
eigne Kabel gelegt werden. Und da wir schon gewohnt sind, die Spalte der
Telegramme in unsern eignen Zeitungen als das Inhaltsverzeichnis der später
folgenden deutschen Blätter zu betrachten, können uns leicht die wichtigsten Aus¬
sprüche des Prinzen Eugen des armen Ritters entgehen, wenn sie dort nicht
wenigstens mit einem Schlagwort angekiindigt waren. Das Lesen der Zeitungen
nimmt ja ohnehin mehr Zeit weg, als wir eigentlich verantworten tonnen; wer
aber alle Verhandlungen in allen Parlamenten gewissenhaft verfolgen wollte,
müßte an seine Tage noch ein gutes Stück ansetzen lassen. So bin ich erst
spät und ganz zufällig zur Kenntnis der Äußerung E. Richters gelangt, daß
die Deutschen im Auslande sich durch Manifestationen nach dem glorreichen
16. Dezember "unangenehm bemerklich" gemacht hätten. So ungefähr soll der
Ausdruck gelautet haben. Und diese Freude hat uns der Telegraph nicht
gegönnt! Herrn Richter und Konsorten unangenehm zu werden, war gewiß
eine der Absichten bei den erwähnten Manifestationen; er braucht deshalb nicht
eitler zu werden, als er schon sein mag: wir haben ihm nur einen geringen
Teil des schuldigst Dankes abgetragen, da er sich den nationalgesinnten Deutschen


Grenzboten I. 1335. t>0
Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten.

Bundes vergleichen? Wie dem sei, ein großer Prophet ist er, und sein heiliger
Zorn gegen den Reichskanzler ist schon durch die Hinterlist gerechtfertigt, mit
welcher dieser Rickerts Prophezeiungen regelmäßig zu schänden macht. Nur
auf die beiden Schleswig-holsteinischen Bauern hätte Nickert sich nicht berufen
sollen. Denn sind sie Bauern vom Schlage des Herrn Dirichlet, so will ihr
Zeugnis nicht viel besagen, und sind sie echte Bauern, so ist es noch viel
schlimmer, dann vertreten sie ja ihre Standesinteressen, dürfen also von einem
freisinnigen Parlamentarier allenfalls über auswärtige Politik oder über Fragen
des höheren Unterrichts, aber beileibe nicht über bäuerliche Angelegenheiten zum
Worte gelassen werden. Hingegen war das schönste in den beiden langen und
an so vielen Schönheiten reichen Reden zur Verteidigung des von der Regie¬
rung bedrohten Einmaleins folgende Stelle: „Die Danziger Rheder sind viel
zu stolz, die Staatshilfe anzurufen, von der sie doch wissen, daß sie ihnen nichts
helfen kann." Das ist einmal ein vernünftiger Stolz, ein Seitenstück zu dem
jenes Handelsmannes: „Ich bin stolz darauf, ein Jude zu sein, denn warum?
wenn ich auch nicht stolz darauf wäre, wäre ich doch ein Jude, bin ich lieber
gleich stolz darauf." Jetzt wäre ich nur begierig zu erfahren, ob sie auch stolz
sind auf ihren Vertreter, die Rheder?

Schließlich muß ich mich heute eines Auftrages entledigen. Ein im Aus¬
lande lebender Deutscher hat mir ein Schreiben mit der Bitte um Mitteilung
desselben übersandt, weil er glaubt, daß für einen NichtWähler ein Nichtgewählter
das geeignetste Organ sei. Das Schreiben lautet:

Der Telegraph giebt sich zwar zu sehr vielen unnützen Botschaften her,
aber jede scharfsinnige Entdeckung, jeden geistreichen Einfall des Abgeordneten
Richter kann er doch nicht verkünden, so lange für den Allerredseligsten nicht
eigne Kabel gelegt werden. Und da wir schon gewohnt sind, die Spalte der
Telegramme in unsern eignen Zeitungen als das Inhaltsverzeichnis der später
folgenden deutschen Blätter zu betrachten, können uns leicht die wichtigsten Aus¬
sprüche des Prinzen Eugen des armen Ritters entgehen, wenn sie dort nicht
wenigstens mit einem Schlagwort angekiindigt waren. Das Lesen der Zeitungen
nimmt ja ohnehin mehr Zeit weg, als wir eigentlich verantworten tonnen; wer
aber alle Verhandlungen in allen Parlamenten gewissenhaft verfolgen wollte,
müßte an seine Tage noch ein gutes Stück ansetzen lassen. So bin ich erst
spät und ganz zufällig zur Kenntnis der Äußerung E. Richters gelangt, daß
die Deutschen im Auslande sich durch Manifestationen nach dem glorreichen
16. Dezember „unangenehm bemerklich" gemacht hätten. So ungefähr soll der
Ausdruck gelautet haben. Und diese Freude hat uns der Telegraph nicht
gegönnt! Herrn Richter und Konsorten unangenehm zu werden, war gewiß
eine der Absichten bei den erwähnten Manifestationen; er braucht deshalb nicht
eitler zu werden, als er schon sein mag: wir haben ihm nur einen geringen
Teil des schuldigst Dankes abgetragen, da er sich den nationalgesinnten Deutschen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/485>, abgerufen am 22.07.2024.